Zum Gedenken an die Opfer von Patient*innenmorden und Zwangssterilisationen im Nationalsozialismus
Schätzungsweise 300 000 Menschen mit Beeinträchtigung oder psychischer Erkrankung wurden im Zuge der nationalsozialistischen "Euthanasie"-Morde getötet. Etwa 400 000 Menschen wurden auf Grundlage des "Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" ab 1934 gegen ihren Willen sterilisiert. Im Rahmen einer Gedenkveranstaltung disktutierten am 6. September rund 80 Personen die Notwendigkeit, sie als Opfer des Nationalsozialismus offiziell anzuerkennen.
Ausgehend von einer "Petition zur politischen Opfer Anerkennung der ermordeten Menschen in der Psychiatrie mit Beginn der T4-Aktion" diskutierten Selbstvertreter*innen, Angehörige, Politiker*innen und Teilnehmende über die Verbindungslinien zwischen der Anerkennung der Opfer und aktuellen politischen Entwicklungen. Es sei wichtig, den Menschen endlich ihre Würde wieder zu geben, erklärt Martina Heland-Graef, Vorstandsmitglied des Dachverbands Gemeindepsychiatrie und 1. Vorsitzende der Ruth Fricke Stiftung ihre Motivation, die Petition einzureichen. Podiumsgäste und Pubikum begrüßten übereinstimmend die Initiative für die Petition und sehen weiterhin großen Bedarf an Kampagnen zur Entstigmatisierung psychisch erkrankter Menschen. Sabine Haller, Genesungsbegleiterin und für Kellerkinder e.V. Mitglied im erweiterten Vorstand der DGSP verwies in diesem Zusammenhang auf die Verknüpfung zwischen Gewaltverbrechen und psychischen Erkrankungen, die in der journalistischen Berichterstattung häufig gezogen werde.
In der Auseinandersetzung mit den Gründen, aus denen die Anerkennung insbesonderer dieser Opfergruppe so lange Zeit in Anspruch nehme, verwies Katrin Vogler, Bundestagsabgeordnete der LINKEN, auf die Biografien der Täter und die Interessen ihrer Berufsverbände. Kirsten Kappert-Gonther, Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen und Vorsitzende des Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages, erläuterterte den aktuellen Stand des interfraktionellen Antrags "Opfer von NS-„Euthanasie“ und Zwangssterilisation – Aufarbeitung intensivieren", der gegenwärtig im Bundestag debattiert wird. Die Petition, die inhaltlich weitergehend sei, sei in diesem Prozess eine gute Unterstützung.
Gegenstand der Diskussion waren auch aktuelle medizinische und gesellschaftliche Entwicklungen. So verwies ein Teilnehmer gleich zu Beginn auf die Debatte um die Äußerungen des inzwischen seines Amtes enthobenen Chef der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen. Dieser hatte im Editorial des Verbandsmagazins Mai/Juni 2024 eine Vision von Eugenik "in ihrem besten und humansten Sinne" skizziert. Das solche Perspektiven zur Veröffentlichung kämen, sei Indikator für eine gesellschaftliche Schieflage. Die Frage nach einem "lebenswerten Leben" werde aktuell in verschiedenen gesellschaftlichen Debatten gestellt und teilweise neu beantwortet - verwiesen wurde hier unter anderem auf die Auseinandersetzungen um pränatale Diagnostik und den assistierten Suizid. In Erinnerung an die Gewalttaten im Nationalsozialismus und angesichts des erstarkenden Rechtsextremismus, der schleppenden Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen und dem immer stärker spürbaren finanziellen Druck in vielen Bereichen der Teilhabe, Gesundheit und sozialen Sicherung gelte es, gemeinsam gegen das Vergessen zu arbeiten.
Im Anschluss an die Veranstaltung gedachten die Teilnehmenden am "Gedenkort für die Opfer der NS-"Euthanasie"-Morde" in der Tiergartenstraße 4 den Opfern. Zu den Biografien der Opfer finden sich Informationen auf der Internetseite Gedenkort T4.
Die Petition kann noch bis zum 17. Oktober 2024 auf dem Portal des Deutschen Bundestages mitgezeichnet werden. Nebenstehend finden Sie eine Unterschriftenliste zum Ausdrucken. Ausgefüllte Unterschriftenlisten können bis zum 17. Oktober geschickt werden an:
Sekretariat des Petitionsausschusses
Platz der Republik 1
11011 Berlin
Oliver Busse (Caritasverband Oberhausen) und Annett Löwe (CBP) haben eine Erklärung der Petition in Einfacher Sprache verfasst. Die Erklärung ist dieser Fachinformation beigefügt.
Der Paritätische Gesamtverband hat als Mitglied des sog. "Kontaktgesprächs Psychiatrie" die Veranstaltung mit ausgerichtet.