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Fachtag: Inklusives Arbeiten – Vom Rechtsanspruch in die Realität (25.10.2022)

In Artikel 27 der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN BRK) erkennen die Vertragsstaaten das gleiche Recht von Menschen mit Behinderungen auf Arbeit an, einschließlich der Möglichkeit, den Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen, die frei gewählt wird. Allerdings haben Menschen mit Beeinträchtigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt oftmals geringe Chancen auf Beschäftigung.

Was ist nötig, um inklusives Arbeiten voranzubringen? Welche guten Beispiele gibt es? Welche rechtlichen Änderungen sind nötig? Diese und andere Fragen wurden im Rahmen des Fachtags intensiv diskutiert.

Den Auftakt gestaltete Doris Haake, Gründungsmitglied von „Mensch zuerst – Netzwerk People First Deutschland e.V.“ in einem Gespräch mit Angelika Thielicke, Vorstandsvorsitzende der BAG Unterstützte Beschäftigung. Frau Haake gab durch einen Bericht von ihren Erfahrungen bei der Arbeitsplatzsuche, von Praktika, Arbeitsassistenz, beruflicher Bildung in und außerhalb einer Werkstatt für behinderte Menschen und ihrer gegenwärtigen Tätigkeit in der Geschäftsstelle der Hamburger Arbeitsassistenz einen praxisnahen Einstieg aus Selbstvertretungsperspektive.

Anschließend wurde in drei getrennten Arbeitsgruppen zu konkreten Instrumenten der Teilhabe am Arbeitsleben diskutiert. Zum Budget für Arbeit informierten Olaf Bauch (Landschaftsverband Rheinland) und Ottmar Miles-Paul (Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland e. V. - ISL). Es wurde deutlich, dass die Zugangsvoraussetzungen zum Budget abgesenkt werden müssten, z.B. indem die Zusage einer Arbeitgeberin bzw. eines Arbeitgebers für ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis mit einer tarifvertraglichen oder ortsüblichen Entlohnung nicht weiter Voraussetzung für die Nutzung eines Budgets bleibt. Als Instrument bietet es sich darüber hinaus für einen größeren Personenkreis an. Als weiteres Problem in der Anwendung des Budgets für Arbeit wurde Art und Höhe der Förderung genannt. Die Deckelung des Lohnkostenzuschusses schließt den Zugang zu bestimmten Tätigkeiten aus. Zum anderen wird über die Pauschalen, die zur Finanzierung der notwendigen individuellen Anleitung und Begleitung von vielen Leistungsträgern ausschließlich angeboten werden, der individuelle Bedarf vielfach nicht passgenau abgedeckt. Gerade Anleitung und Begleitung sind ein Garant für die erfolgreiche und langfristige Sicherung eines Arbeitsplatzes über ein Budget für Arbeit.

Eine weitere Arbeitsgruppe widmete sich der verbesserten Absicherung von Inklusionsfirmen. Claudia Rustige, Geschäftsführerin der BAG Inklusionsfirmen informierte in einem einführenden Vortrag über die Herausforderungen, mit denen sich Inklusionsunternehmen gegenwärtig konfrontiert sehen. Notwendig sei unter anderem, die Umsatzsteuerprivilegierung gemeinnütziger Unternehmen verbindlich zu regeln, den Zugang zur Wirtschaftsförderung zu ermöglichen, eine inklusive Vergabepraxis öffentlicher Auftraggeber zu fördern und die kooperative Beschäftigung von Inklusionsunternehmen mit anderen Unternehmen zu ermöglichen. Die Förderung von Inklusionsunternehmen erfolgt aus Mitteln der Ausgleichsabgabe. Weil diese Mittel begrenzt sind, sind auch dem Ausbau von Inklusionsunternehmen Grenzen gesetzt. Um Inklusionsunternehmen krisenfest zu finanzieren, ihren Ausbau und den Aufbau neuer Unternehmen zu fördern sei eine Finanzierung durch Steuermittel zu ermöglichen.

Möglichkeiten und Hemmnisse, Zuverdienstbeschäftigung als Angebot der Teilhabe an Arbeit zu stärken, war Thema der dritten Arbeitsgruppe. Michael Scheer, Geschäftsführer der Gesellschaft für integrative Beschäftigung in Bremen erläuterte einführend, dass der Bedarf an solchen Angeboten gegenwärtig nicht gedeckt wird. Deutschlandweit existieren nur etwa 220 Anbieter, die sich zudem in ihrer Nähe zum allgemeinen Arbeitsmarkt und in ihrer Sozialraumorientierung teilweise unterscheiden. Idealerweise nehmen sie mit konkurrenzfähigen Produkten und Dienstleistungen am Wettbewerb teil. Damit Zuverdienstbeschäftigung als regelhaftes Teilhabeangebot zur Verfügung steht, bedürfe es einer eindeutigen gesetzlichen Verankerung sowie verlässlichen Finanzierung dieses Angebotes. Es müsse sichergestellt sein, dass Zuverdienstbeschäftigung niedrigschwellig zugänglich bleibt. Eine Beantragung von Leistungen des SGB IX dürfe daher keine Voraussetzung werden.

Am Nachmittag wurden in einer ersten Podiumsrunde drei Beispiele guter Praxis vorgestellt. Monika Labruier, Geschäftsführerin der ProjektRouter gGmbH aus Köln gab einen Einblick in ihre Praxis als Inklusionsdienstleister in einem inklusiven Unternehmensnetzwerk. Carolin Baier berichtete von der Arbeit der Perspektiva Fulda. Getragen von einem breiten Gesellschafterkreis regionaler Unternehmen vermittelt und begleitet Perspektiva betriebliche Ausbildungs- und Arbeitsplätze für junge Menschen mit Behinderungen. Dorothea Jäckel stellte ihre Arbeit am Vivantes Klinikum Am Urban in Berlin vor. Über „Individual Placement and Support (IPS)“ vermittelt das Klinikum Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen in betriebliche Arbeit.

In der anschließenden Diskussion wurde deutlich, dass der Ausbau solcher Angebote durch eine noch immer fest im System der Teilhabeleistungen verankerte Institutionenzentrierung erschwert wird. Notwendig wäre stattdessen eine verlässliche Koppelung der Nachteilsausgleiche in individuell angepasster Höhe an die Person. Berichtet wurde weniger von Vorbehalten bei Unternehmen, behinderte Menschen einzustellen als von der Notwendigkeit, sie bei Antragstellung, Vermittlung und Begleitung gut zu unterstützen.

Im Rahmen der zweiten Podiumsrunde diskutierten Takis Mehmet Ali (SPD Bundestagsfraktion), Claudia Rustige (BAG IF), Ottmar Miles-Paul (ISL) und Carola Pohlen (Paritätischer Gesamtverband) notwendige Schritte mit Blick auf die Förderung eines inklusiven Arbeitsmarktes. Im Fokus standen eine Reihe von Eckpunkten zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarktes, die das Bundesministerium für Arbeit und Soziales in verschiedenen Zusammenhängen in der Vorwoche der Veranstaltung vorgestellt hatte. Mehrere Teilnehmende wiesen in diesem Zusammenhang auf die Bedeutung inklusiver Bildung und Ausbildung hin.

In seiner Abschlussrede forderte Arthur Hackenthal (Blogger und Inklusions-Aktivist) Inklusion in allen Lebensbereichen. Es müsse allen Menschen möglich werden, einen Schulabschluss zu machen und einen Arbeitsplatz auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu finden. Anträge müssten in Leichter Sprache verfügbar sein und Entscheidungen über Teilhabeleistungen schneller getroffen werden.

Im Rahmen der Veranstaltung wurde deutlich, dass neben den konkreten Verbesserungen einzelner Instrumente inklusiven Arbeitens ein Paradigmenwechsel nötig ist: Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben müssen grundsätzlich so ausgerichtet werden, dass sie den Menschen mit Behinderung zum Ausgangspunkt nehmen. Alle Versuche, dieses Ziel zu erreichen, endeten bisher mit der Einführung weiterer Instrumente zur Teilhabe am Arbeitsleben, die für bestimmte Zielgruppen ihre Berechtigung haben, den Arbeitsmarkt aber nicht hinreichend inklusiv gestalten. Unter Mitarbeit von Menschen mit Behinderung und ihrer Verbände, Vertreter*innen inklusionserfahrener Organisationen aus der Praxis, Unternehmen des allgemeinen Arbeitsmarkts, Werkstätten für Menschen mit Behinderungen, Wohlfahrtsverbänden sowie Schwerbehindertenvertreter*innen und Werkstatträten sollte ausgearbeitet werden, wie sich der nicht inklusive Arbeitsmarkt zu einem allgemeinen inklusiven Arbeitsmarkt mit gleichwertigen Zugangsmöglichkeiten für alle Menschen entwickeln kann.