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Abschlussbericht der Kommission „Verlässlicher Generationenvertrag“ ist eine Enttäuschung

Der am 27. März 2020 vorgelegte Abschlussbericht der Kommission „Verlässlicher Generationenvertrag“ liefert keine Antworten und falsche Fragen. Eine Paritätische Perspektive auf das enttäuschende Ergebnis.

Die Einrichtung von Rentenkommissionen gehört wie das ewig grüßende Murmeltier zu den wiederkehrenden Phänomenen. Der Erkenntnisgewinn durch solche Kommissionen steht dabei stets im Hintergrund: Zum einen erarbeiten Kommissionen keine überraschenden Zahlen, denn wer in 67 Jahren Rente bezieht, ist heute schon geboren. Zum anderen mangelt es gerade in der Alterssicherung nicht an Reformvorschlägen. Die Zusammensetzung der Kommission, die aus fünf aktiven bzw. ehemaligen Politiker*innen, drei Wissenschaftler*innen und den zwei Vertreter*innen von Arbeitgebenden und Gewerkschaften bestand, zeigt, dass das Ziel dieser Kommission vor allem die Fortsetzung der Koalitionsverhandlungen mit anderen Mitteln war. Überraschend am Bericht der Kommission „Verlässlicher Generationenvertrag“, der am 27. März vorgelegt wurde, sind nicht einzelne Vorschläge, sondern allenfalls die übergroße Zurückhaltung dabei, überhaupt etwas Aussagekräftiges zu formulieren. Mit das Beste, was man über den Bericht sagen kann, ist, dass mit dem Mangel an konkreten Vorschlägen auch wenig Falsches formuliert wurde. 
 

Alterssicherungspolitik ist Verteilungspolitik

In der politischen und medialen Diskussion wird häufig so getan, als ob nur eine Alterssicherungspolitik, die auf eine starke gesetzliche Rentenversicherung setzt, Kosten verursache. Die Realität ist jedoch eine ganz andere: Jede Form von Alterssicherungspolitik, die vor Armut schützen soll, muss finanziert werden. Die entscheidende Frage ist, wer das zu welchen Anteilen finanzieren soll. Alterssicherungspolitik ist deshalb noch viel stärker als andere Politikbereiche Verteilungspolitik, nicht nur für einen kleinen Teil der Bevölkerung, sondern allein mit Blick auf die laufenden Renten ganz direkt für fast ein Viertel der Bevölkerung. Das berühmte Diktum Gerhard Mackenroths aus dem Jahr 1952, dass „aller Sozialaufwand immer aus dem Volkseinkommen der laufenden Periode gedeckt werden muss“, ist unverändert aktuell. Die Festlegung niedriger Rentenbeitragssätze bedeutet deshalb auch nie eine Ersparnis, sondern schlicht, dass jemand anders die Rechnung zahlen muss. Die Stärkung der privaten Altersvorsorge bedeutet in der Regel, dass die Versicherten notwendige Altersvorsorge alleine finanzieren müssen, und das über private Versicherungen, die hohe Abschluss- und Verwaltungskosten erheben, schon seit Jahren keine oder sehr niedrige Zinsen erwirtschaften, deren Leistungen intransparent und deren Leistungsversprechen ungewiss ist. Welcher junge Menschen kann denn mit 20 Jahren beurteilen, welche Sicherheit ihm ein Versicherungsabschluss nahezu ein halbes Jahrhundert später beschert?

Die Rentenversicherung bietet demgegenüber eine viel größere Sicherheit, indem sie allen Versicherten garantiert, dass sie am wachsenden Wohlstand teilhaben. Ab Juli 2020 steigen die gesetzlichen Renten im Westen  um 3,45 Prozent, im Osten um knapp 4,2 Prozent. Von vergleichbaren Steigerungen sind die geförderten Produkte der privaten Altersvorsorge weit entfernt, ohne die staatliche Förderung der privaten Altersvorsorge würden sich zahlreiche Verträge gar nicht mehr lohnen. Auch bei den Leistungen ist die gesetzliche Rentenversicherung deutlich im Vorteil, denn bei ihr sind Rehabilitationsleistungen,  die Absicherung für Angehörige im Todesfall und das Risiko der Erwerbsminderung mit abgedeckt.

Das öffentliche Bild der Rentenversicherung ist durch neoliberale Erzählungen immer noch schwer beschädigt. Die genannten Argumente, aber auch das neue Anlageverhalten einkommensstarker Personengruppen, sprechen eine andere Sprache. Längst schon gelten freiwillige Einzahlungen in die gesetzliche Rentenversicherung bei denen, die es sich leisten können und die dazu berechtigt sind, als anderen Anlagemöglichkeiten ungleich überlegener Anlagemöglichkeit. Gerade einkommensarme  Menschen dagegen werden immer noch aufgefordert, in die kostenstarke und leistungsschwache private Vorsorge einzuzahlen. Der Paritätische fordert dagegen eine Alterssicherungspolitik, in der alle für alle einstehen, und das mit und in der gesetzlichen Rentenversicherung. In eine solche Erwerbstätigenversicherung sollen künftig alle einzahlen, auch Beamte und Selbstständige, darunter auch die, die bisher in berufsständischen Alterssicherungssystemen versichert sind.
 

Verlässlicher Generationenvertrag? Von wegen!

Wie steht es nun um die Empfehlungen der Kommission „Verlässlicher Generationenvertrag“? Festzustellen ist zuallererst, dass die Verlässlichkeit des Generationenvertrages offenbar an niedrigen Beiträgen zur Rentenversicherung und an niedrigen Gesamtsozialversicherungsbeiträgen gemessen wird. Die Folgen von niedrigen Beiträgen und einem niedrigen Rentenniveau werden ausgeblendet. Derart kurzsichtig würde aus guten Gründen niemand die eigene Altersvorsorge planen. Auch sonst ist der Bericht eine Enttäuschung. Nach fast zweijähriger Tätigkeit legt die Kommission nur sehr allgemeine Empfehlungen vor und verzichtet dabei vollständig auf Empfehlungen zur Bekämpfung der stark angestiegenen Altersarmut. Zu einem „verlässlichen Generationenvertrag“  gehört  vor allem, dass die Rente am Ende eines langjährigen Arbeitslebens im Alter sowie bei Erwerbsminderung zu einem Leben ohne Armut ausreichen muss. Eine armutsfeste Mindestrente für langjährige Beitragszahlende und Erwerbsgeminderte würde dem ebenso dienen wie eine Anhebung des Rentenniveaus auf 53 Prozent, dem Stand zur Jahrtausendwende. Für die Menschen ist das aus den genannten Gründen besser und gleichzeitig günstiger, als immer höhere Zusatzbeiträge in eine unverändert ineffiziente und unsicher private Vorsorge investieren zu müssen.

Die Kommission sollte Empfehlungen für die Rente ab 2025 abgeben. Schon im Koalitionsvertrag war damit die Erwartung verbunden, mit einer „doppelten Haltelinie – für Rentenniveau und Beitragssätze“ zu arbeiten. Die Kommission hat nun nur für den Zeitraum von 2026 bis 2032 eine konkrete Empfehlung ausgesprochen, und zwar in Form von Korridoren: das Rentenniveau soll in dieser Zeit zwischen 44 und 49 Prozent liegen, die Beiträge zwischen 20 und 24 Prozent. Das ist deshalb eine Nullempfehlung, weil nach dem Rentenversicherungsbericht 2019 für diesen Zeitraum als Prognose ein Rentenniveau zwischen 47,2 - 44,9 Prozent vorhergesagt wird, bei den Beiträgen Werte zwischen 19,9 und 21,7 Prozent. Die Kommission empfiehlt, was ohnehin erwartet wird.

Die Kommission schlägt mehrheitlich vor, dass Standardrentenniveau langfristig mit 47 Entgeltpunkten zu berechnen, statt bisher 45. Begründet wird das mit der Anhebung der Regelaltersgrenze von 65 auf 67. Das ist aber pure Kosmetik, denn die Leistungen steigen nicht, dass Rentenniveau würde aber dadurch etwa zwei Prozentpunkte höher ausgewiesen. Da schon jetzt mehr als die Hälfte der jüngeren Jahrgänge Hochschulzugangsberechtigungen erwerben, Bildungszeiten aber nicht mehr rentenrechtlich angerechnet werden, ist es künftig viel schwerer, auf die für die Standardrenten nötigen Jahre an Beitragszahlung zu kommen. Für die Folgejahre gibt es lockerere Empfehlungen, darum soll sich aber insbesondere ein zu gründender Rentenbeirat kümmern.
 

Armutspolitisch ein Totalausfall

Altersarmut ist längst kein Randphänomen mehr. Dass die Armutsquote von Rentner*innen sowie Pensionär*innen von 10,7 Prozent im Jahr 2005 auf 16,1 Prozent im Jahr 2018 gestiegen ist und bei isolierter Betrachtung der Rentner*innen sogar bei 19,5 Prozent liegt, ist ein Alarmsignal. Dass sich die Zahl der Empfänger von Grundsicherung im Alter seit 2003 von 257.734 auf 559.419 im Jahr 2018 mehr als verdoppelt hat, ist ein zusätzliches Armutszeugnis, zumal nach aktuellen Berechnungen des DIW davon etwa 62 Prozent der Berechtigten ihre Ansprüche gar nicht wahrnehmen. Armutspolitisch ist der Bericht jedoch ein Totalausfall und zeugt angesichts der deutlich gewachsenen Altersarmut von Ignoranz. Im Bericht kommt „Armut“ auf 127 Seiten nur dreimal vor,  zweimal in der Form, dass man sich mit „Armutsvermeidung“ beschäftigt habe, einmal mit dem Hinweis, ein Obligatorium helfe nicht gegen Altersarmut. Wenn man sich aber mit Armutsvermeidung tatsächlich beschäftigt hat, warum gibt es dann keine Empfehlungen zu deren Vermeidung? Forderungen und Empfehlungen zur Armutsbekämpfung fehlen völlig, dabei ist die die Vermeidung von Altersarmut ein zentrales Element eines wirklich verlässlichen Generationenvertrages.

Zwar wird festgestellt, dass die Rentenversicherung der Kern der Alterssicherung ist, auch ein Bekenntnis zum Umlageverfahren wird formuliert. Es wird aber gleichzeitig auch gefordert, die „Auswirkungen auf Arbeitsmarkt und Wettbewerbsfähigkeit“ zu berücksichtigen und dabei auf die „Gesamtsozialversicherungsbeiträge“ zu schauen. Aus der Perspektive der Versicherten wäre dagegen der Blick auf das Verhältnis von Gesamtbelastung durch notwendige Vorsorgebeiträge (inkl. der Kosten für private Vorsorge) im Verhältnis zu den zu erwarteten Leistungen wichtig gewesen. Dass keine weitere Anhebung des Renteneintrittsalters gefordert wird, ist das Mindeste, da bspw. Pflegekräfte und viele andere Berufe schon heute keine Chance haben, überhaupt das bestehende Renteneintrittsalter zu erreichen. Für Menschen, die das nicht schaffen, enthält der Bericht keine Empfehlungen.
 

Keine Rentenversicherung für alle

Die Kommission spricht sich nicht für die Einbeziehung von Beamtinnen und Beamten in die Rentenversicherung aus, auch ausdrücklich nicht für die der Abgeordneten. Selbstständige sollen „gründerfreundlich“ in die Rentenversicherung einbezogen werden. An den bestehenden berufsständischen Alterssicherungszweigen, wo häufig besonders einkommensstarke Gruppen außerhalb der Rentenversicherung abgesichert sind, soll nicht gerührt werden. Aus Sicht des Paritätischen muss die Rentenversicherung jedoch eine Versicherung für alle sein. Das Beispiel von Ländern wie etwa Österreich zeigt, dass diese Form der solidarischen Alterssicherung besonders leistungsfähig ist. Die Einbeziehung weiterer Personengruppen, etwa neu verbeamteter Personen, bringt zusätzliche Beitragseinnahmen, während die Auszahlungen erst sehr viel später und unter demographisch günstigeren Bedingungen anfallen. Der demographische Wandel lässt sich so auch in der Alterssicherung leichter bewältigen.

Die Kommission stellt die Förderung privater Altersvorsorge nicht in Frage, sondern will sie verbessern, und etwa den Sonderabgabenabzug im Steuerrecht auf 4 Prozent der Beitragsbemessungsgrenze erhöhen.  Sie hätte gerne, dass die Kosten von Riester-Verträgen geringer werden, und will Angebote auf einer Plattform sammeln und dabei Produktstandards einführen. Nach Auffassung des Paritätischen sollte die steuerliche Privilegierung privater Vorsorge, von denen einkommensstarke Gruppen überproportional profitieren, eingestellt werden. Stattdessen sind besonders von Altersarmut bedrohte Gruppen besser abzusichern.

Als neue Bezugsgrößen, über die im Rentenversicherungsbericht berichtet werden soll, sollen Gesamtsozialversicherungsbeitrag und Abstand der durchschnittlichen Standardrente zum durchschnittlichen Bedarf eingeführt werden.  Die Mindestrücklage zur Rentenversicherung soll auf 0,3 Monatsausgaben erhöht werden. Auch andere Forderungen bleiben eher allgemein, sind aber natürlich trotzdem richtig. Mehr Prävention, bessere Rehabilitation, mehr Beschäftigung und ein Gender Check, der der notwendigen Stärkung der Ansprüche von Frauen dienen soll, zähen dazu.   Der Bericht ist damit eine Enttäuschung.

Der DGB, der über sein Bundesvorstandsmitglied, die Sozialexpertin Annelie Buntenbach, in der Kommission vertreten war, hat an vielen Stellen Schlimmeres verhindert und parallel zum Kommissionsbericht einen eigenen Bericht vorgelegt. In seiner Stellungnahme betont er, dass zu den Versäumnissen der Kommission zähle, viele Akteure nicht oder nur unzureichend einbezogen zu haben, „als allererstes die Sozial- und Wohlfahrtsverbände, um einen Blick hinein in die gesellschaftliche Realität zu werfen“. Nach dem Abdanken der Rentenversicherung ist es nun eine gemeinsame Aufgabe, an einem tatsächlich verlässlichen Generationenvertrag zu arbeiten. Die ausformulierten Vorschläge des Paritätischen dazu liegen längst auf dem Tisch.

Autor:
Dr. Joachim Rock ist Abteilungsleiter für Arbeit, Soziales und Europa im Paritätischen Gesamtverband e.V.

Dieser Beitrag erschien zuerst als Blogbeitrag auf der Website www.der-paritaetische.de