Alternative zum Leerlauf - mit dem neuen Rechtsanspruch auf Fort- und Weiterbildung zum Berufsabschluss kommen
Seit Ende Mai haben Menschen ohne Berufsabschluss einen Rechtsanspruch auf eine Fort- und Weiterbildung. Damit wurde eine alten Forderung des Paritätischen umgesetzt. Besonders in der Corona-Zeit ergeben sich durch das neue „Arbeit-von-morgen-Gesetz“ ganz neue Möglichkeiten – auch für die Betriebe, meint Tina Hofmann.
Etwas im Leben verpasst? Wenn es dabei um einen Berufsabschluss geht, lässt sich der auch noch im späteren Erwachsenenalter und quasi ohne Altersbeschränkung nachholen. 17 Prozent der Erwachsenen im Alter von 25 bis unter 65 Jahren hatten im Jahr 2018 keinen beruflichen Bildungsabschluss.
Arbeitnehmer*innen und Arbeitslose, die über keinen Berufsabschluss verfügen, haben seit kurzem einen grundsätzlichen Rechtsanspruch auf eine Fort- und Weiterbildung, die sie zum Berufsabschluss führt; Kostenübernahme inklusive. Das sieht das Ende Mai in Kraft getretene „Gesetz zur Förderung der beruflichen Weiterbildung im Strukturwandel und zur Weiterentwicklung der Ausbildungsförderung“ – kurz „Arbeit-von-morgen-Gesetz“ vor. Der neue Rechtsanspruch zielt auch ab auf Personen, die ihren Berufsabschluss im Ausland erworben haben und die Anerkennung dieses Abschlusses in Deutschland anstreben. Wer bereits über einen Berufsabschluss verfügt, aber jahrelang (mindestens vier Jahre lang) lediglich eine Helfertätigkeit ausgeübt hat und deshalb nicht mehr seinen erlernten Beruf ausüben kann, bekommt die Chance auf einen neuen Berufsabschluss.
Viele Kosten werden übernommen
Die Förderung für die Weiterbildung umfasst in der Regel die vollständige Übernahme der Lehrgangskosten, die Erstattung von Fahrtkosten sowie Kinderbetreuungskosten. Wer aus Arbeitslosigkeit in eine Fort- und Weiterbildung startet, behält sein monatliches Arbeitslosengeld bzw. die Leistungen aus der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Arbeitnehmer*innen müssen keine Lohneinbußen während einer berufsbegleitenden Weiterbildung hinnehmen, denn der Arbeitgeber kann den Lohn in Weiterbildungszeiten zu 100 Prozent weiterzahlen und einen entsprechend hohen Zuschuss von der Agentur für Arbeit bzw. Jobcenter bekommen. So umfassend die Förderung auch angelegt ist; voraussetzungslos ist sie nicht. Der Rechtsanspruch auf Förderung ist vielmehr daran geknüpft, dass man grundsätzlich geeignet ist, den angestrebten Beruf auszuüben, die längere Fort- und Weiterbildung durchhalten kann und in dem gelernten Beruf mit hoher Wahrscheinlichkeit unterkommen wird.
Der Berufsabschluss bringt viele Vorteile. Mit dem Berufsabschluss in der Tasche ist das Risiko, im Verlauf seines Erwerbslebens arbeitslos zu werden, viel geringer, als wenn man zu den „Geringqualifizierten“ zählt. Die Arbeitslosenquote von Geringqualifizierten lag im Jahr 2018 mit 18,3 Prozent rund sechs Mal höher als bei Personen mit abgeschlossener Berufsausbildung und diese Kluft wird im zukünftig stärker digitalisierten Arbeitsmarkt absehbar noch größer werden. Die Chancen auf eine stabile und nicht nur existenzsichernde, sondern sogar gut bezahlte Beschäftigung steigen mit dem Qualifikationsniveau. Der Berufsabschluss ist die Eintrittskarte in eine berufliche Rolle, die bestenfalls Identität und gesellschaftliche Anerkennung stiftet. Arbeitslose, die heute viel zu oft im Hamsterrad von kurzfristiger Beschäftigung und erneuter Arbeitslosigkeit drehen, können mit einer abschlussbezogenen Fort- und Weiterbildung bessere Jobperspektiven bekommen.
Paritätische Forderung umgesetzt
Aus diesen Gründen hat sich der Paritätische seit längerem für die Schaffung eines Rechtsanspruchs auf Förderung zum Berufsabschluss eingesetzt und die Neuregelung im „Arbeit-von-Morgen-Gesetz“ unterstützt; allerdings hat der Verband großzügigere Zugangsvoraussetzungen für die Förderung und eine bessere finanzielle Absicherung von arbeitslosen Menschen während der Fort- und Weiterbildung gefordert.
Ganz neue Herausforderungen, aber wohlmöglich auch Chancen für die Realisierung des Rechtsanspruchs ergeben sich in den aktuellen Zeiten der Corona-Pandemie. Arbeitgeber, die aktuell eine nicht zu starke wirtschaftliche Flaute in ihrem Betrieb erleben und mittelfristigen Fachkräftebedarf haben, könnten gerade diese Zeit für die Qualifizierung ihrer Mitarbeiter*innen nutzen. Die Förderung zum Berufsabschluss kann schrittweise über „Teilqualifikationen“ oder “Ausbildungssteine“ erfolgen und es Arbeitnehmer*innen so erleichtern, sich berufsbegleitend fortzubilden. Arbeitslose, die für eine Fort- und Weiterbildung zum Berufsabschluss in Frage kommen und sich dafür interessieren, sollten aktiv auf ihre zuständige Arbeitsagentur oder Jobcenter zugehen.
Eine Weiterbildungsberatung ist Voraussetzung für die Förderung und kann unter den aktuellen coronabedingten Einschränkungen von den meisten Arbeitsagenturen und Jobcentern zumindest telefonisch angeboten werden. Weitere Informationen und Unterstützung ist etwa bei den von Bundesländern oder Kommunen geförderten Weiterbildungsberatungsstellen, den Beratungsangeboten der Kammern oder bei Bildungsträgern zu bekommen. Die Bildungsträger im Paritätischen haben sich den aktuellen Verhältnissen angepasst und bieten verstärkt digitale Angebote bzw. Kurse an, die zumindest teilweise digital ablaufen. Wer damit nicht auf Anhieb zurechtkommt, erhält Unterstützung und kann sich begleiten lassen. Den neu geschaffene Rechtsanspruch auf Fort- und Weiterbildung bietet Chancen für viele auf einen „späten“ Berufsabschluss und es lohnt sich, ihn aktiv zu nutzen
Autorin:
Tina Hofmann ist Referentin für Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik beim Paritätischen Gesamtverband
Dieser Beitrag erschien zuerst als Blogbeitrag auf der Website www.der-paritaetische.de