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Aus der Zeit gefallen: Was 15 Jahre nach Inkrafttreten des Hartz-IV-Systems ansteht

Mit der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zum Hartz IV-System ist vor fünfzehn Jahren ein eigentümliches Zwitterwesen entstanden, das 33 Änderungsgesetze später immer noch keine gute Gestalt angenommen hat.

Das  Bundesverfassungsgericht hat erst kürzlich wesentliche Teile der bislang geltenden Sanktionsregelungen im Kernbereich des „Förderns und Forderns“ für verfassungswidrig erklärt und das System dort in seine Schranken gewiesen, wo mit Sanktionen besonders scharfe Einschnitte in das soziokulturelle Existenzminimum und ohne Rücksicht auf individuelle Härtefälle vollzogen wurde. Jetzt ist wieder der Gesetzgeber am Zuge.

Hartz IV bedeutet Armut

Das Hartz IV-System hat im Verlauf seines fünfzehnjährigen Bestehens in der Gesellschaft und insbesondere unter Betroffenen nur wenig Akzeptanz erfahren. Ein Leben mit Hartz IV bedeutet, eine Existenz in Armut zu führen. Die Leistungen zur Existenzsicherung sind so unzureichend und knapp bemessen, dass sie mit materiellem Mangel, finanzieller Bedrängnis und eingeschränkter sozialer Teilhabe einhergehen; das betrifft aktuell auch rund 1,9 Mio. Kinder und Jugendliche (unter 18 Jahren).

Für viel zu viele Menschen hat sich der Bezug von Hartz IV-Leistungen nicht nur als vorübergehende Krisensituation in ihrem Leben, sondern als belastender Dauerzustand eingestellt. Von den rund  5,5 Millionen Hartz-IV-Empfänger/innen  waren zuletzt 42 Prozent bereits seit vier Jahren hilfebedürftig. Armut und soziale Ausgrenzung fräsen sich über die Zeit hinweg viel tiefer in das Leben der Betroffenen ein. In den letzten Jahren hat sich vielerorts die Situation am Wohnungsmarkt so zugespitzt, dass vor allem einkommensschwache Familien in Schwierigkeiten geraten.

Wohnkosten teils aus eigener Tasche

Mangels realitätsgerechter Wohnkostenbemessungen geht das immer häufiger auch zulasten von Hartz IV-Empfängern. Im Jahr 2017 wurden die Wohnkosten bei fast jedem fünften Haushalt im Hartz IV-Bezug nicht in voller Höhe anerkannt; was eine monatliche Lücke von durchschnittlich 80 Euro bedeutete.

Als Folge der bis vor kurzem höheren Flüchtlingszuwanderung kommt den Jobcentern heute eine viel stärkere Verantwortung für die soziale Sicherung und Arbeitsmarktvermittlung von Menschen mit Fluchtgeschichte zu; in 14 Prozent der sog.  Bedarfsgemeinschaften leben Menschen mit Fluchtgeschichte. Aufgaben bei der Sprachförderung und gesellschaftlichen Integration können die Jobcenter nur in Kooperation mit weiteren Partnern wie den Kommunen oder Sprachkursträgern und Ehrenamtsinitiativen bewältigen.

Schwierigkeiten an Leistungen zu kommen

Im Verlauf der  dichten Gesetzgebung zum Hartz IV-System wurden  begrifflich und qua Gesetz aus „Leistungsempfängern“ sogenannte Leistungsberechtigte“ gemacht,  doch viele Betroffene erleben, dass sie ihnen zustehende Leistungen nur mit größerer Mühe, ebenso großer Geduld und Beistand von Dritten erhalten können. Auch angesichts einer komplexen Rechtslage und sprachlicher Hürden nehmen  viele das Behördenhandeln als intransparent und verunsichernd; im Einzelfall sogar als willkürlich wahr.

Das Sanktionsregelwerk erzeugt Konformitätsdruck und Misstrauen. Bei der Eingliederung in Arbeit räumt das Gesetz den Betroffenen so wenig Rechte und Wahloptionen ein, dass es auf besonders engagierte Fachkräften in den Jobcentern ankommt, damit sie in eine Arbeitsstelle vermittelt werden, die gut zu ihren Wünschen passt oder eine (längerfristige) Qualifizierung erhalten können.

Das klassische Vermittlungs- und Förderprinzip des Hartz IV-Systems lautet kurz gesagt: Hauptsache schnell in irgendeine Arbeit. Doch  Forscher aus dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (IAB), wie Prof. Dr. Enzo Weber fordern zum Umdenken auf. Der deutsche Arbeitsmarkt hat sich  in den letzten eineinhalb Jahrzehnten so gewandelt, dass dieser Mechanismus mittlerweile kontraproduktiv wirkt.  Die deutsche Wirtschaft kann nicht mehr wie bisher dadurch wachsen, dass sie die Quantität der Arbeit erhöht; es geht jetzt um mehr Weiterbildung, bessere Löhne und Arbeitsbedingungen.

Gute Arbeit und faire Löhne!

Damit das Hartz IV-System nicht zur Bremse für eine nachhaltige Entwicklung des Arbeitsmarkts wird, müssen Arbeitsvermittlung und Arbeitsförderung neu ausgerichtet werden auf eine Förderung von Aufwärtsmobilität mit Qualifizierung und eine gute Arbeit mit fairen Löhnen. Menschen mit Fluchtgeschichte steigen in den letzten Jahren immer zügiger in den Arbeitsmarkt ein, finden aber nicht immer eine Fachkraftstelle.

Damit talentierte Kräfte nicht länger unterwertig in Helfertätigkeiten beschäftigt werden, müssen die Jobcenter verstärkt (berufsbegleitende) Qualifizierungen fördern.  Dass es zugleich eine stärkere soziale Säule in dem System braucht, macht die Entwicklung des Systems mit langjährigen Bezugsdauern von Menschen, die langfristig ohne Chance auf Arbeit sind und das Hinzukommen neuer Personenkreis deutlich. Dafür müssen höhere und verlässlichere Geldleistungen zur Existenzsicherung und zum Wohnen, Angebote zur sozialen Teilhabe und stabile Netzwerke mit den Hilfen der Kommunen und Wohlfahrtsverbänden geschaffen werden.

Die Leistungsberechtigten dürfen dabei nicht zu Bittstellern degradiert, oder wie bislang mit Sanktionen unter Druck gesetzt, sondern mit (sozialen) Bürgerrechten (etwa im Leistungsrecht, bei der Förderung) ausgestattet werden. Es ist an der Zeit für ein grundlegend neues System, das gute Ein- und Aufstiegswege in den sich wandelnden Arbeitsmarkt schafft und jedem und jeder Bürger/in das Recht auf eine verlässliche soziale Sicherung und Möglichkeit zur sozialen Teilhabe verschafft.

Autorin:

Tina Hofmann

Dieser Beitrag erschien zuerst als Blogbeitrag auf der Website www.der-paritaetische.de