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Corona-Schnelltests für mehr Sicherheit in der Pflege und als Bestandteil künftiger Besuchskonzepte: Fluch und Segen?

Die im Frühjahr angesichts der drohenden Katastrophe notgedrungen und nahezu flächendeckend durchgesetzten Besuchsverbote in Pflegeheimen klingen bis heute schallend nach. Kann eine Wiederholung der Situation in der aktuellen zweiten Welle durch Corona-Schnelltests vermieden werden? Thorsten Mittag, Referent für Altenhilfe und Pflege beim Paritätischen Gesamtverband gibt Einblicke in die aktuelle Debatte.

Für Länder, Behörden und Einrichtungen war angesichts der drohenden Katastrophe im Frühling diesen Jahres kaum ein Raum vorhanden, um sich an erster Stelle den wichtigen Fragen der Selbstbestimmung, der Einsamkeit, der Freiheitsrechte und zum Grundgesetz zu stellen. Pflegeeinrichtungen mussten in diesen Tagen lernen, dass es hier und da eben keine klaren behördlichen Anweisungen (wie etwa durch den öffentlichen Gesundheitsdienst) gab und sie letztlich mit Entscheidung auf sich alleine gestellt waren. Es gibt aber seitdem eine sehr offene gesellschaftliche, politische und fachliche Aufarbeitung und Debatte darüber: Infektionsschutz ist ebenso lebensnotwendig wie soziale Kontakte! Tatsächlich haben die Einrichtungen flächendeckend sehr früh Besuchskonzepte erarbeitet und umgesetzt – und zwar aufgrund der knappen personellen Ressourcen und streckenweise aufgrund offener Fragen zur Refinanzierung von Investitionen (bspw. in „Besuchscontainer“) gegen viele Widerstände. Der Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung Staatssekretär Andreas Westerfellhaus lässt dieser Tage ein Muster-Besuchskonzept erstellen. Es wird dann so etwas wie den Goldstandard geben. Grundlage sind hunderte eingereichte und tatsächlich bereits realisierte Besuchskonzepte.

Pflegeeinrichtungen im Fokus – nicht der Widerspruch

Das alles muss auch unterschieden werden von den Allgemeinverfügungen und Verordnungen der Länder, die beispielsweise bei Corona-Fällen eine Isolation betroffener Bewohner*innen vorsehen. Jüngst wurde in NRW eine solche Regelung aus unterschiedlichen Gründen gerichtlich kassiert. Aber in der öffentlichen Wahrnehmung gibt es keine klare Differenzierung. Es geht immer sehr schnell um „das, was da schon wieder in den Einrichtungen passiert“ und sofort um die Angst vor einer Wiederholung der Besuchsverbote. Es geht aber auch um den Aspekt der Sicherheit in den Einrichtungen: für Mitbewohner*innen, Mitarbeiter*innen und Angehörige. Der Widerspruch wird offensichtlich.

Jetzt kommen die Schnelltests

Auf Instrumenten, die das gesamte Dilemma lösen und insbesondere auf deren Umsetzung beziehungsweise auf denen, die es umsetzen müssen, liegt also weiterhin eine schwere Last. Und genau da kommen die neuen Corona-Schnelltests ins Spiel. Sie sind auch der einzige Anker, bis die Impflösung Früchte trägt, denn vermehrt ist zu hören, dass die Luftfilteranlagen anscheinend nicht verlässlich genug sind.

Jetzt muss man anerkennen, dass Bundesgesundheitsminister Jens Spahn geliefert hat. Der Paritätische hat angesichts der Sachlage in den Einrichtungen früh eine umfassende Teststrategie gefordert. In der ersten Testverordnung verhielt es sich noch wie mit einer angezogenen Handbremse. Der aufwendige Weg hin zu einem Ergebnis mit den PCR-Testungen, die streckenweise vorhandene Knappheit der Testmöglichkeiten und die zentralistische Ansiedelung bei dem öffentlichen Gesundheitsdienst ist bis heute für Einrichtungen nicht einfach (und teilweise gar nicht) zu realisieren. Nun gibt die neue Testverordnung den Einrichtungen allerdings die Anwendung der Schnelltests an die Hand – sie sind nun unabhängiger vom öffentlichen Gesundheitsdienst und können für noch mehr Sicherheit sorgen.

Die Umsetzung der neuen Teststrategie braucht mehr Zeit

Aber: Gebt den Einrichtungen auch Zeit für die Umsetzung – auch wenn bald Weihnachten ist! Bis das Programm flächendeckend einigermaßen laufen kann, braucht es vermutlich Wochen und Monate. Einrichtungen erwarten nun Rückendeckung von der Bundes- und Landespolitik und am besten auch von den Verbraucherverbänden und keinen zusätzlichen Druck. Wir brauchen hier ein gesellschaftliches und politisches Verständnis davon, was in absehbarer Zeit tatsächlich machbar ist, um mehr Sicherheit mit Tests in Einrichtungen zu erzeugen. Die Einrichtungen haben bereits gute Konzepte, um sie offen halten zu können, aber die Testanforderungen kommen nun oben drauf und das Fass droht überzulaufen.

Welche Hürden wurden bereits überwunden? Welche noch nicht?

Die Schnelltests sind noch nicht im vollen Umfang auf dem Markt verfügbar oder es gibt längere Lieferzeiten. Zahlreiche Fragen zur Umsetzung sind immer noch offen, weil die Ausarbeitung im Zusammenspiel von Bund und Ländern sowie bei den rechtlichen und fachlichen Fragestellungen sehr aufwändig ist und vor Inkrafttreten der Testverordnung politisch nicht priorisiert wurde. Es ist z.B. noch nicht abschließend geklärt, welche Mitarbeiter*innen neben Pflegefachkräften die Tests nun durchführen dürfen und wie das Schulungssetting aussehen muss.

Die Personallage ist derartig angespannt in den Einrichtungen, dass unklar ist, ob in der ausreichenden Anzahl diese Tests überhaupt durchgeführt werden können. Das hängt auch mit den Besuchskonzepten zusammen. Im Grunde heißt das für die Realisierung, dass es vielfach ein Terminbuchungssystem für Besucher geben wird, um allen die Besuche zu ermöglichen. Wenn in einer Einrichtung beispielsweise durchschnittlich 150 Tests pro Woche durchgeführt werden, dann entspricht das nach derzeitigem Kenntnisstand vermutlich einer Vollzeitstelle. Aufgaben müssen umgeschichtet werden, woher sollen den dafür neue Mitarbeiter*innen kommen? Eventuell muss noch eine Debatte über Hilfe von Außerhalb geführt werden. Was spräche dagegen, wenn der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) zur Testunterstützung Mitarbeiter*innen abstellt? Das zeigt die Dimensionen.

Eine Erstattung von Personalkosten war ursprünglich vom Bundesministerium für Gesundheit gar nicht vorgesehen. Nun ist es dem Paritätischen zusammen mit den anderen Spitzenverbänden nach intensiven Gesprächen kürzlich abschließend gelungen, akzeptable Rahmenbedingungen mit dem Ministerium und den Kostenträgern zu schaffen. Eine pauschalierte Herangehensweise bietet die Grundlage für eine bürokratiearme Umsetzung. Wir haben uns auch erfolgreich dafür eingesetzt, dass die Einrichtungen zur Umsetzung größtmögliche Flexibilität haben. Dies war angesichts des sich bereits aufbauenden Bildes vom billigen Testzentrum in Pflegeheimen, um die überforderten Gesundheitsämter zu kompensieren, auch notwendig.

In den vergangenen Wochen mussten wir zudem in den Fachdebatten sehen, dass Fragen zur Testung der Zielgruppen und zu der Verlässlichkeit aufkamen. Ist es zum Beispiel sinnvoll symptomlose Personen zu testen? Was sind die richtigen Prioritäten – sollen Besucher*innen und Mitarbeiter*innen den Bewohner*innen vorgezogen werden? Ist die Verlässlichkeit der Tests gegeben? Auf alle diese Fragen wird es in den kommenden Wochen klarere Antworten geben müssen. Eines wird deutlich: Wir sind von einer 100%igen Testumsetzung noch entfernt.

Letztlich muss auch das Zusammenspiel der Akteure im Rahmen der Teststrategie funktionieren. So gibt es Landkreise in denen sich der öffentliche Gesundheitsdienst zur Abnahme der von den Einrichtungen zur Abnahme eingereichten Testkonzepte nicht als richtiger Adressat verpflichtet sieht. Dann hören wir von dem Phänomen „falsch positiver Tests“ in relevanter Größenordnung (das sind Tests, die positiv sind, aber tatsächlich liegt keine Coronainfektion vor). Eigentlich müsste der öffentliche Gesundheitsdienst in all diesen Fällen PCR-Testungen durchführen, was teilweise verwehrt wird. Das ist ohnehin schon bitter, aber wenn dann eigentlich nicht infizierte Mitarbeiter*innen und Bewohner*innen für längere Zeit in Quarantäne müssen, wird das Problem größer und nicht kleiner. Was soll das?

Pragmatismus

Wie bei vielen Themen rund um die Corona-Pandemie braucht es auch hierbei eine gehörige Portion Pragmatismus. Die Einrichtungen und insbesondere deren Mitarbeiter*innen haben bisher umfassend unter Beweis gestellt, dass sie diesen haben – und das werden sie auch beim Testgeschehen in Zukunft zeigen. Das gilt auch für Pflegebedürftige, Patient*innen, Bewohner*innen und Angehörige, denn letztlich ist das Vergangene und das Zukünftige nur gemeinsam zu bewältigen.

Trotzdem, im Augenblick ist es vermutlich Fluch und Segen zugleich.  

Autor:
Thorsten Mittag

Dieser Beitrag erschien zuerst als Blogbeitrag auf der Website www.der-paritaetische.de