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Feministisch, engagiert und vielfältig! Paritätische Erklärung zum Weltmädchentag 2021

Der Weltmädchentag am 11. Oktober wurde von den Vereinten Nationen eingeführt und im Jahr 2012 das erste Mal begangen. Auch in Deutschland wird seither anlässlich des Jahrestages auf die Belange von Mädchen aufmerksam gemacht. In den Paritätischen Strukturen befinden sich zahlreiche Einrichtungen für Mädchen und junge Frauen. Mädchenarbeit nimmt im Verband eine wichtige Rolle ein. Paritätische Einrichtungen aus diesem Bereich fühlen sich verpflichtet, die Mädchenpolitik der Länder und des Bundes kritisch zu begleiten und auf Handlungsbedarf aufmerksam zu machen. Vor diesem Hintergrund hat der Paritätische anlässlich des Weltmädchentags 2021 eine Erklärung verfasst.

Gemeinsam mit seinen Mitgliedsorganisationen setzt sich der Paritätische für ein selbstbestimmtes Leben von Mädchen ([1]) ein. Die Grundlage hierfür bildet eine feministische, engagierte Mädchenarbeit.

Mädchen- und Frauenrechte sind Menschenrechte

Anlässlich des Weltmädchentags am 11. Oktober 2021 ([2]) möchte der Paritätische mit dieser Erklärung die Bedeutung von Mädchenarbeit für eine vielfältige, offene und demokratische Gesellschaft betonen. Auch im 21. Jahrhundert ist die strukturelle Benachteiligung von Mädchen und Frauen in Deutschland, aber auch weltweit, nach wie vor an der Tagesordnung. Gerade die Situation von Mädchen und Frauen in Afghanistan besorgt uns derzeit zutiefst. Mit Blick auf die aktuelle politische Weltlage und internationale Flüchtlingsbewegungen wird uns einmal mehr bewusst, dass die Stärkung der Mädchen- und Frauenrechte elementar für ein Leben in Würde für alle Menschen in allen Weltregionen ist.

Soziale Arbeit ist mit neuen Herausforderungen konfrontiert

Denn nicht nur im Ausland, auch bei uns in Deutschland werden noch immer Stereotypen gelebt, ungerechte Machtstrukturen aufrechterhalten und Sexismus verharmlost. Hinzu kommt, dass Phänomene wie Gewalt in digitalen Medien oder rassistische und antifeministische Haltungen die Soziale Arbeit, aber auch die Gesellschaft insgesamt vor neue Herausforderungen stellen. Bewegungen wie beispielsweise #MeToo, #Parität und #ichwill haben Missstände deutlich aufgezeigt. Aus Paritätischer Überzeugung kann nur eine feministische, engagierte und vielfältige Mädchenarbeit zur Lösung dieser Benachteiligung beitragen.

Mädchenarbeit ist eine Haltung

Mädchenarbeit im Paritätischen stellt sich gegen strukturelle Ungleichheiten und leistet einen wichtigen Beitrag zum Feminismus, der eine Veränderung der gesellschaftlichen Machtverhältnisse anstrebt. Es ist erklärtes Ziel des Paritätischen, dass Menschen jeglichen Geschlechts gerechte und gleiche Chancen auf ein selbstbestimmtes Leben haben. Aus diesem Grundverständnis heraus macht sich der Paritätische für eine feministische Mädchenarbeit stark und spricht sich klar gegen Bedingungen aus, die Ungleichheiten begünstigen – ganz egal ob in der Politik, auf dem Arbeitsmarkt, in der Familie oder in der Gesellschaft.

Mädchenarbeit ist politische Arbeit

Das klare Bekenntnis zur Mädchenarbeit und der damit verbundene Stellenwert machen deutlich: Mädchenarbeit ist politische Arbeit. Sie stellt gesellschaftliche Normen in Frage und macht komplexe Ungleichheit von Lebensrealitäten aufgrund von Geschlecht und geschlechtlicher Identität sichtbar. Mädchenarbeit bedeutet für den Paritätischen das unbedingte Eintreten für Gleichberechtigung, das konsequente Infragestellen tradierter, gesellschaftlicher Rollenbilder und das Bekämpfen patriarchaler Machtstrukturen.

Vielfalt, Offenheit und Toleranz sind Leitwerte für Mädchenarbeit

Unsere Paritätischen Leitwerte sind Vielfalt, Offenheit und Toleranz. Der Verband setzt sich nachdrücklich für eine demokratische Gesellschaft ein, in der alle Mädchen gleichwertig und selbstbestimmt teilhaben können und vor Fremdbestimmung sowie Gewalt geschützt werden – unabhängig von Hautfarbe, sozialer oder ethnischer Herkunft, Alter, Religion oder Weltanschauung, sexueller Orientierung und geschlechtlicher Identität, materieller Situation, Behinderung, Beeinträchtigung, Pflegebedürftigkeit oder Krankheit. Ideologien der Ungleichwertigkeit lehnt der Paritätische entschieden ab.

Selbstbestimmung von Mädchen und jungen Frauen ermöglichen

Um Mädchen ein möglichst hohes Maß an Selbstbestimmung zu ermöglichen, will der Paritätische Mädchen durch spezifische Angebote ermutigen, ihre individuellen Ressourcen und Talente zu entdecken, für ihre Rechte einzutreten, Krisen zu meistern und eigenständig ihren Platz in der Gesellschaft zu finden. Mädchen sollen selbstbestimmt und eigenverantwortlich ihren Lebensweg wählen können. Dazu gehören die Eigenständigkeit, einen beruflichen Weg einzuschlagen, die finanzielle Unabhängigkeit, persönliche Freiheit und Schutz vor jeglicher Form von Gewalt. Diese Bereiche dürfen nicht getrennt voneinander gedacht werden.

Mädchenarbeit umfasst ein vielfältiges Angebot

Mädchenarbeit ist im Paritätischen breit aufgestellt. Sie ist weder auf ein Handlungsfeld noch auf geschlechtshomogene Räume begrenzt. Sie umfasst ein vielfältiges Beratungs- und Schutzangebot bezüglich diverser Gewaltformen und enthält u. a. Angebote im Bereich der Jugendsozialarbeit, der offenen Jugendarbeit und der politischen Bildungsarbeit sowie Beratungsstellen im Bereich Extremismus und zivilgesellschaftliches Engagement. Sie umfasst Anlaufstellen und Wohnmöglichkeiten für suchtmittelabhängige, wohnungslose wie von Gewalt und Zwangsheirat bedrohte Mädchen. Sie hat eigene Räume für Mädchen mit Beeinträchtigung geschaffen sowie in ihren Angeboten die Lebenslagen Behinderung, Migration, Armut und Bildungsbenachteiligung mit einbezogen.

Mädchenarbeit ist für uns ein Auftrag

Diese Erklärung soll dazu dienen, die Bedeutung der Mädchenarbeit als gleichstellungspolitisches Instrument herauszustellen, das nachhaltig finanziell gefördert, fest in den Paritätischen Strukturen verankert und ideell gesichert sein muss. Die Diskussion von Geschlechterthemen ist gesellschaftspolitisch wichtig, denn Mädchen haben andere Bedarfe als Jungen und umgekehrt. Der Paritätische möchte mit seiner Arbeit einen Beitrag dazu leisten, Geschlechtergerechtigkeit nachhaltig zu etablieren.

Der Paritätische setzt sich dafür ein, dass:

  • die Politik die mädchenspezifischen Einrichtungen und Angebote auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene ausweitet und finanziell verbindlich regelt.
  • behinderte oder beeinträchtigte Mädchen in ihren Rechten zu stärken sind. Dabei muss sichergestellt werden, dass Rahmenbedingungen geschaffen werden, um Mädchenarbeit bundesweit inklusiv auszugestalten und damit allen Mädchen die Unterstützung und Hilfe zu geben, die sie jeweils benötigen.
  • das Recht auf Präventionsangebote zum Schutz vor häuslicher und sexualisierter Gewalt und Misshandlung und das Recht auf Schutz im öffentlichen Raum verwirklicht werden. Es müssen Angebote geschaffen werden, die organisatorisch, strukturell und personell auf die spezifischen Bedarfe von Mädchen und jungen Frauen ausgerichtet sind.
  • Mädchen bundesweit ungehinderten Zugang zu Informationen zu Sexualität, Beziehung und Familienplanung sowie einen kostenfreien Zugang zu sämtlichen Verhütungsmitteln haben. Das schließt auch das Recht auf Bildung im Zusammenhang mit Sexualität und Fortpflanzung ein.
  • der Bund die Unterstützungs- und Beratungsinfrastruktur mit Blick auf sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität fördert. Mädchenarbeit ist vielfältig. Tradierte Geschlechterrollen sind hierbei kritisch zu hinterfragen und die Sichtbarkeit von vielfältigen Lebensweisen zu stärken. Unsere Mädchenarbeit steht für Vielfalt und Offenheit.
  • sich die Soziale Arbeit bereits im frühkindlichen Bildungsbereich mit vorhandenen Rollenbildern in der pädagogischen Arbeit kritisch auseinandersetzt. Eindimensionale Geschlechterrollenzuweisungen müssen auch in frühkindlicher Bildung, Erziehung und Betreuung der Vergangenheit angehören.
  • das System der Hilfen zur Erziehung gezielt auf die Bedarfe von Mädchen eingeht, denn nach wie vor zeigen die Zahlen der Inanspruchnahme: Mädchen erhalten weniger und später als Jungen Hilfen, halten lange in problematischen Familien aus, werden vom Jugendhilfesystem tendenziell leichter übersehen und überfordert. ([3])
  • Schule ein Ort für Mädchen ist, an dem sie ihr Potenzial entfalten können. Bund, Länder und Kommunen müssen Hand in Hand daran arbeiten, dass Schulen den besonderen Bedarfen von Mädchen gerecht werden – von Gewaltschutzkonzepten im kommunalen Bereich über Lehrpläne auf Länderebene bis hin zu Landes- und Bundesförderprogrammen mit Blick auf MINT-Fächer und equal pay-Aspekte bei der Berufswahl.
  • es in der Jugendsozialarbeit parteiliche Mädchenarbeit gibt, angefangen von der Berufsorientierung über Beratungs- und Coaching-Angebote bis zu außerbetrieblichen und schulischen Berufsausbildungen von Mädchen mit besonderem Förderbedarf, um der Besonderheit der gesellschaftlichen Situation von Mädchen und jungen Frauen gerecht zu werden.
  • die Arbeit für gleichwertige Lebenschancen für Mädchen in schwierigen Lebenslagen (z. B. Wohnungslosigkeit, psychische Erkrankung) in den Kommunen besonders gefördert wird.
  • bedarfsgerechte geschlechtersensible und flucht- bzw. migrationsspezifische Konzepte und Angebote geschaffen werden, insbesondere was
    (Schutz-)Räume, Möglichkeiten für Empowermentprozesse und Teilhabe, Formate für Begegnung und Austausch, Unterstützung beim Übergang Schule - Beruf sowie die kontinuierliche kritische Auseinandersetzung mit eigenen Machtpositionen und Diskriminierung, insbesondere Rassismus und Sexismus, betrifft.

[1] Hierunter sind auch trans* Mädchen und intergeschlechtliche Kinder gemeint, die in der weiblichen Geschlechtsrolle leben. Diese Definition beinhaltet zudem jegliche Akzeptanz von Lebensformen und sexueller Orientierung jenseits heteronormativer Entwürfe.

[2] Der Weltmädchentag wurde von den Vereinten Nationen eingeführt, siehe https://www.un.org/ga/search/view_doc.asp?symbol=A/RES/66/170 [abgerufen am 6. September 2021]. Unterstützt wurden sie unter anderem vom Deutschen Bundestag, der am 21. September 2011 fraktionsübergreifend für die Einrichtung des Tages stimmte.

[3] so z. B. Entwicklungen bei der Inanspruchnahme und den Ausgaben erzieherischer Hilfen in Nordrhein-Westfalen, HzE Bericht 2020, siehe https://www.akjstat.tu-dortmund.de/fileadmin/user_upload/HzE_Bericht_2020_-_Datenbasis_2018_-_Erste_Ergebnisse.pdf [abgerufen am 6. September 2021].