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Fluchtursachen bekämpfen?

„Fluchtursachen bekämpfen“ heißt es in den politischen Debatten seit 2015. Aber was genau darunter zu verstehen ist, darüber gehen die Meinungen weit auseinander. Schaut man genauer hin, wird deutlich, dass die politisch Verantwortlichen in Europa vor allem eines tun: Flüchtende bekämpfen.

„Fluchtursachen bekämpfen“ lautet das neue Paradigma der politischen Debatten seit 2015. Darin scheinen sich die meisten Politiker*innen einig zu sein, aber was genau sie darunter verstehen und wie Fluchtursachen tatsächlich bekämpft werden können, darüber gehen die Meinungen weit auseinander. Es wird allgemein anerkannt, dass neben Krieg und Verfolgung die Ursachen auch in der Armut und Perspektivlosigkeit vieler Länder dieser Welt liegen. Doch schaut man genauer hin, wird deutlich, dass die politisch Verantwortlichen in Europa vor allem eines tun: Flüchtende bekämpfen.

Kein Zufall, denn die Fluchtgründe liegen nur allzu oft auch in der dominierenden Wirtschafts- und Produktionsweise sowie in unseren Konsummustern, der imperialen Lebensweise selbst, begründet. Sie tatsächlich zu „bekämpfen“, liegt den meisten Apologeten der „Fluchtursachenbekämpfung“ fern.

Aus ihrer Sicht soll die „Bekämpfung von Fluchtursachen“ v.a. verhindern helfen, dass Geflüchtete nach Europa gelangen – und sie soll außerhalb Europas stattfinden. Um dies zu gewährleisten, wurde seit 2005 verstärkt begonnen, die europäischen Außengrenzen abzuschotten und vorzuverlagern. Beim EU-Afrika-Gipfel 2015 in Valletta wurde „Fluchtursachenbekämpfung“ als gemeinsame Strategie verabschiedet. Der dort beschlossene „Notfall-Treuhandfonds“ wurde mit 4,1 Mrd Euro ausgestattet, mit dem EU- Türkei-Deal kommen 6 Mrd Euro hinzu. Alleine die Bundesregierung plant in den Jahren 2018 und 2019 jeweils rund 6,9 Mrd Euro für die Minderung von Fluchtursachen einzusetzen.

Konkrete Projekte unter Verschluss

Der Schwerpunkt der Entwicklungszusammenarbeit liege dabei auf der „kurz-, mittel- und langfristigen Minderung von strukturellen Ursachen von Flucht, der Schaffung von Lebens- und Bleibeperspektiven und der Unterstützung dauerhafter Lösungen für Flüchtlinge“. Das klingt erst einmal gut. Eine von Abgeordneten geforderte Auflistung konkreter Projekte stuft die Bundesregierung als „Verschlusssache“ ein. Der Grund hierfür dürfte auf der Hand liegen: Es handelt sich bei der „Fluchtursachenbekämpfung“ weniger um ein schlüssiges Konzept zur Überwindung der strukturellen Ursachen von Flucht, sondern um einen bunten Strauß von punktuellen Maßnahmen der Ausbildungs- und Beschäftigungsförderung, Regierungsberatung, privatwirtschaftlichen Investitionsinitiativen, bi- und multilateralen Kooperationen im Grenzschutz, der Polizeiarbeit und der Ausstattungshilfe.

Dies reicht bis zur Förderung repressiver und entwicklungsfeindlicher Maßnahmen zur Einschränkung von Mobilität in den Herkunfts- und Transitregionen. Auch Rückkehrförderung wird unter „Fluchtursachenbekämpfung“ subsummiert, um Handlungsfähigkeit unter Beweis zu stellen. Der weit größte Anteil der Mittel, die für „Fluchtursachenbekämpfung“ verausgabt werden, fließt jedoch in die Förderung der Aufnahmekapazitäten von Nachbar- oder Transitländern in Konfliktregionen, um die fern zu halten, die einen Anspruch auf Asyl hätten.

Die strukturellen Ursachen von Flucht verortet die Bundesregierung vorwiegend in den Herkunftsländern selbst: „schlechte Regierungsführung, Korruption, Diskriminierung, starkes Bevölkerungswachstum“. Inwiefern Ansatzpunkte zur Bekämpfung der ebenfalls identifizierten strukturellen Fluchtursachen „Folgen des Klimawandels, Ernährungsunsicherheit oder schlechte wirtschaftliche Rahmenbedingungen“ im globalen Norden gesehen werden, bleibt in der „Fluchtursachenbekämpfung“ offen.

Deals mit autoritären Regimen

Die tatsächlichen Ursachen von Flucht und Vertreibung verweisen auf globale Ungleichheitsstrukturen, welche die Zonen des Elends, der Perspektivlosigkeit und kriegerische Verwüstungen oft erst hervorbringen. Eine Politik, die diese Zusammenhänge ignoriert, bleibt reine Symbolpolitik, die auf innenpolitische Mehrheiten abzielt.

Dabei gilt es nicht zu leugnen, dass schlechte Regierungsführung, Korruption und Diskriminierung in den Herkunftsländern reale Herausforderungen sind. Sie werden jedoch durch eine Politik der Zusammenarbeit mit repressiven und korrupten Regimen v.a. auch im Rahmen der „Fluchtursachenbekämpfung“ gefördert, sowohl durch eine Versicherheitlichung von Migrations- und Entwicklungspolitik als auch durch Deals mit autoritären Regimen zur Migrationsabwehr. Die darin geforderte Einschränkung der Mobilität führt nicht selten zur Legitimation weiterer Diskriminierung und Unterdrückung, vielfach auch derer die für eine Stärkung von Demokratie und Menschenrechten eintreten, wie aktuell in der Türkei, im Niger, Tchad oder in Marokko zu beobachten ist. Die Kooperationsbereitschaft vieler Regierungen in der „Fluchtursachenbekämpfung“ sichert sie sich, indem bei Menschenrechtsverletzungen weggeschaut und den Ausverkauf der eigenen Werte und Prinzipien in Kauf genommen wird.

Umso bedeutsamer ist es, zivilgesellschaftliche Organisationen, die sich in Transit- und Herkunftsstaaten für die Rechte von Flüchtenden engagieren, zu unterstützen. Ihre Rolle als kritische Beobachter der Wirkungen europäischer „Fluchtursachenbekämpfung“ – auch auf die politische Verfasstheit ihrer Länder – gilt es zu stärken. Dafür setzt sich medico mit seinen Partnern ein.

Autorin:

Sabine Eckart

Dieser Beitrag erschien zuerst als Blogbeitrag auf der Website www.der-paritaetische.de