Gemeinsam gegen rechte Gewalt im Kiez
Berlin hat zurecht das Image, eine weltoffene Stadt zu sein. Aber es ist auch eine Stadt, in der Rassisten und organisierte Neonazis schon immer ein zu Hause hatten. Bei rechten Gewalttaten liegt die deutsche Hauptstadt ganz vorne.
Berlin zieht Menschen aus der ganzen Welt an. Die deutsche Hauptstadt besticht durch ihren lebendigen und zugleich entspannten Lebensstil. Als bunt, vielfältig und divers wird Berlin oft beschrieben. Doch in all der Vielfalt und dem bunten Trubel darf eines nicht aus dem Blick geraten: Bei rechten Gewalttaten liegt Berlin zusammen mit dem ostdeutschen Bundesland Sachsen ganz vorne.
Insgesamt erfasste die Berliner Beratungsstelle für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt ReachOut 309 Angriffe für das Jahr 2018. Mindestens 423 Menschen wurden laut ReachOut verletzt, gejagt und massiv bedroht. Über 50 Prozent der Angriffe seien rassistisch motiviert, weitere Angriffe hätten einen antisemitischen oder LGBTIQ*-feindlichen Hintergrund oder richteten sich gezielt gegen (vermeintlich) politische Gegner*innen.
„Rechte Gewalt zeichnet sich durch die Opferauswahl aus“, erklärt Heike Kleffner, Geschäftsführerin des Verbands der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG e.V.). „Angegriffen werden Menschen unter anderem aufgrund ihrer realen oder vermeintlichen Herkunft, Religionszugehörigkeit, sexueller Orientierung oder ihres gesellschaftlichen Status, zum Beispiel, weil sie Geflüchtete sind oder weil sie Frauen sind, die ein Kopftuch tragen, oder weil sie als sogenannte politische Gegner*innen wahrgenommen werden – zum Beispiel aktive Gewerkschafter*innen ebenso wie junge Antifaschist*innen.“ Zudem zeichne sich rechte Gewalt durch ein weiteres Spezifikum aus, „dass die Tat als Botschaft fungiert“, fügt Kleffner hinzu. „Getroffen oder angegriffen wird eine Person stellvertretend für eine abgewertete Gruppe wie etwa Geflüchtete und die mit der Tat verbundene rassistische Botschaft richtet sich an eine ganze Community.“
Mangelnde Strafverfolgung
Heike Kleffner vergleicht die Situation in Berlin mit den Zuständen in Sachsen. Sachsen habe seit 30 Jahren ein großes Problem mit Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus. Nicht umsonst hätte sich das neonazistische Terrornetzwerk „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) und dessen Kerntrio in Sachsen so wohl gefühlt. „In den 13 Jahren, in denen das NSU-Kerntrio in Sachsen gelebt hat, wurden sie nicht enttarnt. Das liegt vor allem an der mangelnden Strafverfolgung durch die Ermittlungsbehörden.“
Rechtsterror seit fast zehn Jahren
Ähnliche Entwicklungen drohen auch dem im Südosten gelegenen Stadtteil Neukölln. Eigentlich gilt Neukölln als bunter Szenekiez, den sich Studierende und junge Kreative aus aller Welt mit türkischen und arabischen Einwandererfamilien teilen. „Der Rechtsterrorismus in Neukölln dauert seit fast zehn 10 Jahre an“, sagt Kleffner. Sie spricht von Brandanschlägen auf Autos, Cafés, Buchhandlungen, rechte Schmierereien an Schaufenstern und Morddrohungen gegen Engagierte an Hauswänden: „9 mm für…“. „Es ist nur glücklichen Umständen zu verdanken, dass durch die Neonaziterrorserie in Neukölln bislang keine Menschen gestorben sind.“ So haben Rechtsextreme beispielsweise das Auto eines Neuköllner Linken-Politikers angezündet – direkt neben seinem Elternhaus. Oder einen Brandanschlag auf ein linkes Café in der Wildenbruchstraße, welches sich auch in einem Wohnhaus befindet. „Wer so was macht, der nimmt die Gefährdung von Menschenleben bewusst in Kauf “, betont Kleffner.
Die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (mbr) hat in Neukölln von Mai 2016 bis März 2019 insgesamt 55 rechtsextreme Angriffe dokumentiert. Die Zahlen weichen von denen des Bundeskriminalamts (BKA) ab. „Wir haben ein großes Problem durch die Untererfassung rechter Gewalttaten durch die Polizeibehörden“, sagt Kleffner. Die BKA-Zahlen speisen sich aus den Zahlen der Landeskriminalämter, für die es mit dem Definitionssystem „Politisch motivierte Kriminalität“ (PMK) der Innenministerkonferenz bundesweit einheitliche Kriterien gibt, was als politisch motivierte Kriminalität gewertet werden soll. „Abhängig von den Bundesländern gibt es eine enorme Diskrepanz zwischen der Anzahl rechter Gewalttaten, von denen die Opferberatungsstellen erfahren, und den Statistiken der Behörden. Deren Zahlen zeichnen leider ein verzerrtes und verharmlosendes Bild der Gefahr, die von rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt ausgeht“, so Kleffner.
Vertrauensverlust in die Behörden
Ermittlungserfolge in der Rechtsterrorismusserie in Neukölln sind von Seiten der Polizei bisher nicht zu verzeichnen. Das habe zur Folge, dass viele Betroffene das Vertrauen in die Strafverfolgungsbehörden verlieren. „Viele Menschen stellen inzwischen bei Beleidigungen oder Bedrohungen keine Strafanzeige mehr, weil sie die Erfahrungen gemacht haben, dass die Ermittlungen ergebnislos eingestellt werden“, so Kleffner. Und dadurch würden die Täter*innen und ihr Umfeld erst recht ermutigt, weiterzumachen.
Doch auch die Menschen, die sich für ein demokratisches und friedliches Miteinander einsetzen, sind alarmiert. Als im Frühjahr 2008 Anschläge auf zwei Häuser von Familien im Rudower Blumenviertel verübt wurden, schloss sich das Interkulturelle Beratungs- und Begegnungs-Centrum (IBBC e.V.) mit dem Aktionsbündnis Rudow zusammen und startete das Projekt “Intervention gegen Rechtsextremismus in Rudow”.
Botschaften auf Bussen
Bekannte Persönlichkeiten aus dem Kiez, Ladenbesitzer*innen und Politiker*innen zeigten klar Gesicht gegen Rechtsextremismus. Zwei BVG-Busse sowie zahlreiche Litfaßsäulen wurden mit Botschaften für Vielfalt und Demokratie gestaltet. Im Kiez wurden Informationsstände aufgebaut und eine Befragung durchgeführt.
„Während dieser Zeit wurden das IBBC und Einzelpersonen in Briefen und direkt an den Informationsständen von Rechten verbal angegriffen“, erinnert sich Ilknur Gümüs, Vorstand des IBBC. Doch den Rechten sollte nicht das Feld überlassen werden und es wurde weitergemacht. Als klar wurde, dass nicht nur Rudow Ziel von rechten Angriffen ist, wurde unter Beteiligung des IBBC das „Bündnis Neukölln: Miteinander für Demokratie, Respekt und Vielfalt“ gegründet. „Die Ehrenamtlichen in dem Bündnis treffen sich einmal im Monat“, erzählt Gümüs. „Das Bündnis vernetzt Akteur*innen und organisiert gemeinsame Aktionen und Kampagnen gegen Rechts und für Demokratie“.
Menschenfeindliche Angriffe und Botschaften sind in Berlin nicht neu, haben aber seit 2015 spürbar zugenommen. „Man kann sehen, dass sich die gesamtgesellschaftliche Diskussion in den letzten Jahren auch kommunal wiederspiegelt und auf der Straße konkrete Auswirkungen hat“, sagt Andreas Ziehl von der Fach- und Netzwerkstelle gegen Rechtsextremismus – für Demokratie und Vielfalt [moskito]. „Selbst im “wohlgesitteten“ Pankow hätten Angriffe, Bedrohungen und Pöbeleien zugenommen. Die Schwelle, rassistische Beleidigungen loszulassen, ist niedriger geworden“, so Ziehl.
Register zur Erfassung rechter Straftaten
[moskito] wurde 2002 im Bezirk Pankow gegründet. Damals stellte die Bundesregierung finanzielle Mittel für Kommunen auf dem Gebiet der ehemaligen DDR zur Verfügung, damit diese Vernetzungsstellen gegen zunehmende rechtsextreme Tendenzen in der Gesellschaft einrichten. [moskito] hat seit 2005 ein Register zur Erfassung u.a. rechter, rassistischer, antisemitischer, antimuslimischer, LGBTIQ*feindlicher oder behindertenfeindlicher Vorfälle. „Es war das erste Register in Berlin, in dem körperliche Angriffe, Bedrohungen, Pöbeleien und Beleidigungen, aber auch Aufkleber, Schmierereien und Sachbeschädigungen erfasst wurden“, so Ziehl. „Wir wollten von der gefühlten Ebene weg und konkret schauen, was passiert eigentlich tatsächlich auf den Straßen von Pankow.“
Eine organisierte rechte Szene wie in Neukölln gebe es in Pankow nicht mehr. „Durch das Register hat man aber immer ein Instrumentarium um zu sehen, wo gerade etwas im Entstehen ist“, sagt Ziehl. So zum Beispiel in Buch, im Norden von Pankow. Als dort vermehrt rechte Schmierereien auftraten, startete [moskito] mit dem damaligen Bundesprogramm gegen Rechtsextremismus Aktionen, um die Menschen vor Ort zu sensibilisieren und auf das Problem aufmerksam zu machen.
Ziehl sieht nicht nur eine Zunahme von rechtsextremen Angriffen in den letzten Jahren, sondern auch eine „wachere Zivilgesellschaft, die mehr mitbekommt und mehr meldet“. Berlin sei sehr unterschiedlich aufgestellt: Die Stadt bestehe nicht nur aus einer metropolen-, weltoffengewandten Gesellschaft. „Aber überall gibt es Leute, die sich gegen rechte Gewalt stellen“, sagt Ziehl. Er könne nur alle Menschen ermutigen, sich nicht einschüchtern zu lassen und für Menschenrechte einzustehen. „Da, wo dem Menschen das Menschsein abgesprochen wird, da sollte man widersprechen. Und das geht immer besser gemeinsam, als alleine.“
Dieser Text stammt aus unserem Verbandsmagazin 02/2020
Weitere Links und Infos:
- Handlungshilfen und Ratgeber des VBRG e.V. zum Umgang mit rechten, rassistischen und antisemitischen Angriffen und Einschüchterungsversuchen: www.verband-brg.de unter „Materialien“
- Schattenbericht der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin zu Entwicklungen und Tendenzen in Berlin: www.mbr-berlin.de unter „Materialien“ und „Unsere Publikationen und Handreichungen.“
- Register zur Erfassung rechtsextremer und diskriminierender Vorfälle in Berlin: www.berliner-register.de
- Beratungsstelle für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Berlin: www.reachoutberlin.de
- Bündnis Neukölln: www.buendnis-neukoelln.de
Autorin:
Nina Rosenzweig
Dieser Beitrag erschien zuerst als Blogbeitrag auf der Website www.der-paritaetische.de