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Mehr Gemeinnützigkeit, nicht weniger!

Das Wort "Kuddelmuddel" ist ein wenig aus der Mode gekommen. Es eignet sich dennoch sehr gut, um Aspekte der laufenden Diskussion um Gemeinnützigkeit, Entrepreneurship, Verantwortungseigentum und Wohlfahrtspflege zu beschreiben. Der Beitrag ist der Versuch, einige Sachverhalte zu diskutieren und Thesen zu einer notwendigen Diskussion zu formulieren.

Social Entrepreneurship ist eine junge, noch überschaubare Bewegung von Menschen, die unternehmerisch wirtschaften und dabei das Gemeinwohl im Blick behalten wollen. Viele sehen darin eine Konkurrenz oder gar einen Gegensatz zu den Organisationen der Freien Wohlfahrtspflege. Davon kann aber keine Rede sein. Der kleinere Teil der Social Entrepreneurs, der gemeinnützig ist, ist häufig auch in der Freien Wohlfahrtspflege organisiert, ohne dass das ein Widerspruch wäre. Hinzu kommt: Social Entrepreneurs haben keine "exklusiven" Merkmale. Entrepreneurship ist eine Selbstbezeichnung, ein Label.

Anders verhält es sich mit der Freien Wohlfahrtspflege, denn in ihr sind ausschließlich gemeinnützige Organisationen vereinigt. Organisationen erhalten den Status der Gemeinnützigkeit durch die Finanzämter. Sie erwerben damit eine besondere steuerrechtliche Stellung, gehen damit aber auch weitgehende Verpflichtungen ein. Gemeinnützige Träger dürfen zwar Gewinne erwirtschaften, müssen diese aber unbedingt für ihre gemeinnützigen Ziele verwenden. Das Ausschütten von Geld ist ihnen untersagt, selbst im Falle der Auflösung einer gemeinnützigen Organisation müssen die Gelder im gemeinnützigen Bereich bleiben. Der Gemeinnützigkeitsstatus ist für die Wohlfahrtspflege konstitutiv: Nicht nur, weil Gemeinnützigkeit die Voraussetzung für eine Mitgliedschaft in der Freien Wohlfahrtspflege ist, sondern weil das damit verbundene Versprechen auch die Grundlage dafür ist, dass sich Menschen freiwillig engagieren.

Wohlfahrtspflege garantiert noch etwas, was sie von vielen Entrepreneurs unterscheidet. Wohlfahrtspflege ist, in den Worten der Abgabenordnung im Steuerrecht, die "Sorge für notleidende oder gefährdete Mitmenschen". Social Entepreneurship dagegen kann vieles bedeuten. Unter den Mitgliedern des Social Entrepreneurship Netzwerks Deutschland (SEND) befinden sich deshalb auch gewerbliche Hersteller von Kondomen, die besonders umweltfreundlich produziert sein sollen, Flaschenfabrikanten mit ökologischem Anspruch, Beratungsunternehmen, Bildungsträger und eine Bank, die 1980 gegründete Triodos Bank, eine niederländische Aktiengesellschaft mit einem Geschäftsvolumen von 12,3 Milliarden Euro (zum 31.12.2015). Die Mehrheit der bei SEND organisierten Entrepreneurs betreibt weder Wohlfahrtspflege noch sind sie gemeinnützig. Aus diesen unterschiedlichen Ausgangssituationen können unterschiedliche Einschätzungen resultieren, etwa bezüglich der Bedeutung der Gemeinnützigkeit. Trotzdem arbeiten die Wohlfahrtsverbände, insbesondere der Paritätische mit seinen Mitgliedern, gerne und gut mit Social Entrepreneurs oder sozialen Start-Ups zusammen, wenn das soziale Ziel, nicht eine Rendite, im Vordergrund steht.

Es lohnt sich, das zu betonen, denn der Paritätische ist der offenste unter den sechs Spitzenverbänden. Offenheit, Vielfalt und Toleranz sind seine Verbandsgrundsätze. Sie stehen nicht nur auf dem Papier, sondern werden gelebt. Der Paritätische ist deshalb auch der Verband, der in den vergangenen Jahrzehnten den stärksten Zustrom an neuen Mitgliedsorganisationen erfuhr, insbesondere aus der Selbsthilfe und aus sozialen Initiativen, die der Paritätische in der Gründung, im laufenden Betrieb und bei der nachhaltigen Sicherung ihrer gemeinnützigen sozialen Ziele unterstützt. Der Paritätische war deshalb auch der erste Spitzenverband der Wohlfahrtspflege, der eine Kooperation zur Förderung von sozialen Start-Ups vereinbarte; bis heute gibt es zahlreiche derartiger "Wahlverwandtschaften" in und mit dem Paritätischen und seinen Mitgliedern. Das ist für beide Seiten bereichernd. Umso überraschender ist, dass die Nichtunterzeichnung eines gemeinsamen Papiers von SEND und einzelnen Wohlfahrtsverbänden im Januar 2019 öffentlich bis heute so dargestellt wird, als sei der Paritätische von einem rechten Glauben abgefallen. Einen Text nicht zu unterschreiben, ist, das dürften die allermeisten Lesenden selbst so halten, eher die Regel als die Ausnahme. Tatsächlich bestanden schlicht unterschiedliche Auffassungen zu in dem Papier erhobenen politischen Forderungen. An Stelle einer Sachdiskussion wird die Nichtbeteiligung aber bis heute vielfach als Fall von Häresie verhandelt. Das ist bedauerlich, denn viele politische Forderungen, die derzeit unter dem Etikett der Innovation verkauft werden, sind alles andere als fortschrittlich.

Verantwortungseigentum: Was soll das?

Dass sich SEND mit Verve für die Forderung nach einer neuen Rechtsform für Verantwortungseigentum engagiert, erschließt sich nicht einmal auf einen zweiten Blick. Diese Forderung wird vor allem durch die extra dafür im November 2019 gegründete "Stiftung Verantwortungseigentum" verfolgt. Gründungsmitglieder waren 32 Unternehmen und Unternehmensstiftungen, darunter die BMW-Stiftung, die Handelskette Globus, die allein etwa 8 Milliarden Euro Umsatz erwirtschaftet, die GLS Bank und andere mehr. Die neue Rechtsform sei notwendig, um den Unternehmenszweck künftig dauerhaft festschreiben zu können. Das ist indes schon heute möglich, wie die Stiftung Verantwortungseigentum selbst zugibt. Es gebe schon jetzt etwa 200 Unternehmen in Deutschland, die in Verantwortungseigentum betrieben würden. Insgesamt würden diese Unternehmen, zu denen etwa der Automobilzulieferer Bosch zählt, 270 Milliarden Euro umsetzen und 1,2 Millionen Mitarbeiter beschäftigen. Schon diese Zahlen zeigen: Mit den realen Problemen von sozialen Start-Ups hat Verantwortungseigentum wenig zu tun. Start-Ups mögen 99 Probleme haben, fehlende Möglichkeiten zur Festschreibung von Verantwortungseigentum sind keines davon. Die durch dauernde Wiederholung nicht überzeugender werdende These, es bedürfe einer neuen Rechtsform für Verantwortungseigentum, weil die derzeitigen Rahmenbedingungen dafür zu kompliziert seien, rechtfertigt kaum den finanziellen und politischen Aufwand, der derzeit in Lobbyarbeit investiert wird. Die eigentliche Agenda ist offenkundig eine andere, denn die bestehenden Regelungen für die Schaffung von Verantwortungseigentum gewährleisten zusätzlich zu der Festschreibung des Unternehmenszwecks durch Stiftungen auch eine wirksame Stiftungsaufsicht und eine weitgehende Bindung der Unternehmensvermögen für gemeinnützige Zwecke. Beides soll offenbar mit einer neuen Rechtsform überwunden werden: Vorbild für die Idee soll die 2004 eingeführte englische Community Interest Company (CIC) sein, die eine abgeschwächte Form der englischen Gemeinnützigkeitsregeln vorsieht. Sie bietet Anlegern die Möglichkeit, im Falle einer Liquidation, Vermögen entziehen und privatisieren zu können. Dies wäre nach deutschem Gemeinnützigkeitsrecht aufgrund der Bindungswirkung des Vermögens nicht zulässig. Die CIC darf allerdings nur von sog. Sozialunternehmern genutzt werden, die es in dieser Form im deutschen Recht nicht gibt. Aus diesem Grund wird gleichzeitig nach einer neuen Rechtsform für Sozialunternehmer gerufen, die dann Grundlage für ein "Gemeinnützigkeitsrecht light" sein soll. Die CIC wird in einem Thesenpapier von SEND[1] als Vorbild herausgestellt. Betont wird, dass "40 % der jährlichen Überschüsse" nach diesem Modell an Shareholder fließen dürfe. Damit würde dem deutschen Modell der Gemeinnützigkeit ein irreparabler Schaden zugefügt. Gemeinnützigkeit heißt und muss heißen: keine Privatisierung von Gewinnen, kein Profit mit dem Sozialen. Wer die Gemeinnützigkeit dennoch beschädigen und genau das ermöglichen will, darf sich nicht nur über mangelnden Beifall aus den Wohlfahrtsverbänden wundern, sondern muss mit deren Widerstand rechnen.

Wenig hat dem Ansehen der sich sozial engagierenden Menschen in den vergangenen Jahren so geschadet wie der Skandal um die Berliner Treberhilfe. Deren langjähriger Gründer und Geschäftsführer war einer der ersten, die sich in Abgrenzung vom "Gutmenschentum" als Sozialunternehmer bezeichnete und die angebliche Wirkung dieser Arbeit betonte. Die Treberhilfe, so sekundierte die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Kienbaum im Februar 2010, erwirtschafte für jeden Euro an erhaltenen öffentlichen Mitteln einen "Social Profit" ('Social Return On Investment') von 1,15 Euro. Mit der sozialen Realität hatten solche Kennziffern damals so viel zu tun wie heute, dennoch glaubte er daraus eine Rechtfertigung dafür ableiten zu können, sich sein unternehmerisches Wirken über die Maßen vergüten zu lassen. Das darf sich nicht wiederholen. Wir brauchen deshalb mehr Gemeinnützigkeit, nicht weniger. Dafür streiten wir.

[1] SEND 2019: Finanzierung und Förderung für Social Entrepreneurship in Deutschland. Berlin, 14.08.2019.

Autor:
Dr. Joachim Rock ist Leiter der Abteilung Arbeit, Soziales und Europa beim Paritätischen Gesamtverband.

Dieser Beitrag erschien zuerst als Blogbeitrag auf der Website www.der-paritaetische.de