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Mehr Grenzverfahren, mehr Haft! Zur geplanten Neuausrichtung der europäischen Asylpolitik

Die Bundesregierung diskutiert über eine Neuausrichtung der gemeinsamen Europäischen Asylpolitik. Diese „Neuausrichtung“ bedeutet aber vor allem: An den EU-Grenzen werden Grenzverfahren durchgeführt, während derer die Schutzsuchenden inhaftiert sind und ein faires Asylverfahren und effektiver Rechtsschutz auf der Strecke bleiben.

Die Bundesregierung hat im Vorfeld der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr dieses Jahres ein „Konzeptpapier zur Neuausrichtung der Gemeinsamen Europäischen Asylpolitik“ vorgelegt. Sie plant damit auch Einfluss zu nehmen auf den für Ende März angekündigten „New Pact on Migration and Asylum“ der EU Kommission. Wenn dieses Konzept, welches auf europäischer Ebene durchaus Unterstützung findet, umgesetzt wird, bedeutet das vor allem eins: eine massive Ausweitung von Grenzverfahren und somit eine weitere Zuspitzung der humanitären Situation an den europäischen Außengrenzen. Die Situation auf den griechischen Inseln macht aber mehr als deutlich, dass  die Idee von Grenzverfahren für tausende von Menschen weder mit fairen Verfahren, noch mit menschenwürdigen Aufnahmebedingungen unter einen Hut zu bringen ist.

Das Konzeptpapier der Bundesregierung beinhaltet im Wesentlichen drei Elemente:

1. Vorprüfung in Haftzentren

So soll – im Idealfall bereits an der Außengrenze – eine Vorprüfung von Asylanträgen erfolgen, um „offensichtlich Nichtschutzbedürftige“ direkt zurückweisen und nicht in die EU einreisen lassen zu können. Die Bundesregierung geht davon aus, dass es dafür erforderlich ist, die Schutzsuchenden zumindest zeitlich begrenzt in Haft zu nehmen. Findet dieses Vorverfahren nicht an der Außengrenze, sondern etwa in Deutschland statt, so soll es hier unter den gleichen Bedingungen wie an den Außengrenzen – also ebenfalls verbunden mit Freiheitsbeschränkungen – nachgeholt werden.

Kritik:

Die sogenannte „Vorprüfung“ muss nach menschenrechtlichen Vorgaben zumindest für die Schutzsuchenden, die direkt zurückgewiesen bzw. abgeschoben werden sollen, ein vollumfängliches Asylverfahren einschließlich Rechtsweg beinhalten. Von einer „schnellen“ Prüfung kann also nur die Rede sein, wenn die Verfahrens- und Rechtsmittelfristen für die Schutzsuchenden extrem kurz sind. Ein faires Verfahren und effektiver Rechtsschutz können aber – wie die Situation auf den griechischen Inseln schon jetzt zeigt – für tausende Menschen an den Außengrenzen nicht sichergestellt werden. Findet die Unterbringung der Menschen dann auch noch in Haftzentren statt, wird sich nicht nur der Zugang zu Rechtsschutz, sondern auch die humanitäre Situation der Menschen massiv verschlimmern.

Flucht ist kein Verbrechen – und eine Einreise zur Schutzsuche darf insbesondere dann nicht als „illegal“ verurteilt werden, wenn es kaum legale Zugangswege für Schutzsuchende nach Europa gibt.  Eine Inhaftierung von Schutzsuchenden darf deshalb weder an den EU-Außengrenzen noch in Deutschland erfolgen!

2. Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaates anhand eines Verteilungsschlüssels („Fair-share“)

Geht die Vorprüfung positiv aus, soll anhand eines Verteilungsschlüssels, der dem deutschen Königsteiner Schlüssel ähnelt (Festlegung anhand von Bevölkerungszahl und Wirtschaftskraft) der für das eigentliche Asylverfahren zuständige Mitgliedstaat bestimmt werden. Dabei sollen „unter Umständen“ Aspekte wie über die Kernfamilie hinausgehende Familienangehörige oder Prioritäten der Betroffenen, aber auch Rückkehraspekte eine Rolle spielen.

Kritik:

Es ist begrüßenswert, dass Deutschland nun auch offiziell anerkennt, dass das bestehende Dublin-System, nachdem sich die Zuständigkeit für das Asylverfahren in erster Linie nach dem Ort der Ersteinreise richtet, gescheitert ist. Wichtig ist nun, dass bei einer Verteilung auf die EU Mitgliedstaaten auch wirklich die Interessen der Betroffenen berücksichtigt werden. Möglich wäre zum Beispiel ein System, wie es früher etwa bei der Vergabe von Studienplätzen durch die ZVS angewandt wurde: jede*r kann 3 Prioritäten angeben, von denen eine Berücksichtigung finden muss. Das Recht auf Familienzusammenführung zur Kernfamilie muss dabei in jedem Fall Priorität haben. Nur wenn die Interessen von Schutzsuchenden hinreichend berücksichtigt werden, wird die Zahl derer, die innerhalb der EU weiterwandern, abnehmen.

3. „Ewige Zuständigkeit“  und Entzug von Sozialleistungen

Um die seitens der Mitgliedstaaten unerwünschte Weiterwanderung von Asylsuchenden zu verhindern, soll die einmal festgestellte Zuständigkeit eines Mitgliedsstaats „ewig“, also für die gesamte Dauer des Asylverfahrens gelten. Aufnahmeleistungen, also etwa Unterbringung und Sozialleistungen, aber auch ein mitunter erforderlicher zweiter Asylantrag oder Asylfolgeantrag sollen nur noch im zuständigen Mitgliedstaat möglich sein.

Kritik:

Es wird immer Fälle geben, in denen aufgrund der Umstände der Person oder aufgrund der Zustände im eigentlich zuständigen Mitgliedstaat (z.B. aufgrund menschenrechtswidriger Aufnahmebedingungen wie in Ungarn oder Bulgarien) Flexibilität im System notwendig ist. Um dem gerecht zu werden und um menschliche Tragödien zu verhindern, müssen humanitäre Spielräume sowie der Verantwortungsübergang zwischen zwei Mitgliedstaaten durch Fristablauf beibehalten werden.

Statt immer drastischere Sanktionen zu verhängen, muss endlich auch die Anerkennung von positiven Asylentscheidungen erfolgen und eine Freizügigkeit innerhalb der EU – zum Beispiel zum Zwecke der Erwerbstätigkeit – für Anerkannte erleichtert werden.

Unsere Forderung:

Ähnliche Ideen wie die Bundesregierung haben aktuell viele Mitgliedstaaten und auch die EU-Kommission. Der Paritätische Gesamtverband hat sich deshalb zusammen mit einem breiten europäischen Bündnis gegen die aktuell diskutierten Vorschläge gewandt.

Autorin:

Kerstin Becker

Dieser Beitrag erschien zuerst als Blogbeitrag auf der Website www.der-paritaetische.de