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Neubemessung von Hartz IV: Auf Kosten der Ärmsten

Im kommenden Jahr soll der Hartz IV-Satz neu berechnet werden – der Betrag bleibt allerdings weiterhin viel zu niedrig. Das kritisieren Fachleute und das bekommen auch die Betroffenen zu spüren. Warum erneut derart lebensferne Zahlen zustande kommen konnten, erläutert Dr. Joachim Rock. Er leitet die Abteilung Arbeit, Soziales und Europa beim Paritätischen Gesamtverband.

Alle fünf Jahre ist es wieder soweit: Die Neubemessung der Regelbedarfe in der Grundsicherung steht an. Zusammen mit der Übernahme von Wohnkosten sollen diese ein menschenwürdiges Leben sichern. Was die Würde des Menschen wert ist, wird dabei in einem aufwendigen Verfahren ermittelt. Das Statistische Bundesamt führt eine Sonderauswertung ihrer Einkommens- und Verbrauchsstichprobe durch und ermittelt, welche Ausgaben Menschen mit geringen Einkommen hatten. Das Ergebnis wird zum Maßstab für die Grundsicherung. Vor wenigen Tagen hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales mit der neuen, sich auf das Jahr 2018 beziehenden Sonderauswertung auch Vorschläge für die Neubemessung vorgelegt. Für alleinlebende Erwachsene werden darin 439 Euro statt bisher 432 Euro als Regelbedarf formuliert. Kinder bis zum sechsten Lebensjahr sollen 278 Euro, vom Beginn des siebten bis zum 14. Lebensjahr 304 Euro und Jugendliche ab dem 15. bis zum 18. Lebensjahr 367 Euro erhalten.

Überraschend ist, dass es nahezu keine Überraschung gibt, denn das erneut praktizierte Verfahren der Bemessung wurde von Fachleuten immer wieder scharf kritisiert. Schon in den vergangenen Jahren wurde regelmäßig kurz- und kleingerechnet. Das Bundesarbeitsministerium schreibt die bisherigen Defizite dennoch nahezu unverändert fort. Einige Beispiele: Statt des einkommensärmsten Fünftels der Befragten orientiert man sich seit 2011 an den buchstäblich notgedrungen niedrigeren Bedarfen der einkommensärmsten 15 Prozent. Allein dadurch werden monatlich 20 Euro pro Person »gespart«. Ausgaben für Tabak und Alkohol wurden auf Initiative der damaligen Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen gestrichen bzw. durch den Gegenwert der gleichen Menge an Mineralwasser ersetzt. Von durchschnittlichen Verbrauchsausgaben für Alkohol im Umfang von 9,90 Euro je Haushalt blieben so noch 3,13 Euro für Mineralwasser. Da die Regelleistungen auch die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft sichern sollen, werden auch Ausgaben in Restaurants und Cafés anerkannt, dies jedoch nicht mit ihrem wahren Wert, sondern mit dem Warenwert. Es wird aber nur der Wert der Zutaten berücksichtigt, so dass die Teilhabe am öffentlichen Leben leider zu Hause stattfinden muss.

Nach aktuellen Berechnungen des Paritätischen summieren sich solche und ähnliche Abschläge auf über 150 Euro im Monat. Der Verband hatte deshalb schon im vergangenen Jahr gefordert, die Regelbedarfe von jetzt 432 auf mindestens 582 Euro anzuheben. Die Ärmsten sind besonders stark von der Krise betroffen, sie bräuchten heute deutlich mehr Unterstützung. Statt dessen wird einmal mehr bei ihnen gespart, während gleichzeitig die Vermögen der Reichsten neue Höchststände erreicht haben. Die wachsende Ungleichheit ist kein Zufall.

Der Beitrag erschien zuerst als Kommentar in der Tageszeitung junge Welt.

Autor:
Joachim Rock

Dieser Beitrag erschien zuerst als Blogbeitrag auf der Website www.der-paritaetische.de