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Pflegereform: Stellungnahme des Paritätischen zu pflegerelevanten Änderungsanträgen zum Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung (GVWG)

Der Paritätische hat am 07. Mai 2021 zu pflegerelevanten Änderungsanträgen des SGB V und SGB XI Stellung genommen, die Mitte vergangener Woche kurzfristig zum Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung (Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz - GVWG) eingebracht wurden. Die meisten Regelungen entstammen einem Arbeitsentwurf für eine Pflegereform, der im März 2021 publik wurde. Ein eigenständiges Pflegereformgesetz und die Vorlage eines Referentenentwurfs bleibt somit aus. Zuletzt war auch nicht abschließend klar, ob die Änderungsanträge in den wesentlichen Teilen überhaubt unter den Koalitionspartnern geeint sind. Das Vorgehen wird aus Sicht des Paritätischen dem Stellenwert der großen Reformthemen in der Pflege nicht gerecht.

U.a. sollen mit den Änderungsanträgen die folgenden großen Pflegereformthemen auf den Weg gebracht werden:

Änderungsanträge zu Artikel 2 SGB XI

ÄA 4 Begrenzung des pflegebedingten Eigenanteils in der vollstationären Pflege / § 43c SGB XI:

Mit dem nach § 43b einzufügenden § 43c soll ab dem 1. Juli 2021 eine Begrenzungsregelung für pflegebedingte Eigenanteil eingeführt werden. Je länger eine pflegebedürftige Person in einem Pflegeheim lebt, desto geringer soll sein pflegebedingter Eigenanteil in der stationären Langzeitpflege sein. Demnach erhalten Pflegebedürftige ab Pflegegrad 2, die seit mehr als 12 Monaten vollstationäre Leistungen beziehen, künftig einen Leistungszuschlag in Höhe von 25 Prozent ihres zu zahlenden pflegebedingten Eigenanteils.  Ab dem dritten Jahr in stationärer Langzeitpflege steigt dieser Zuschlag auf 50 Prozent und ab dem vierten Jahr dauerhaft auf 75 Prozent. Im Eckpunktepapier zur Pflegereform 2020 wurde vorgeschlagen, die pflegebedingten Eigenanteile bei 700 € ohne Abstufung einzufrieren. Dieser schnörkellose Vorschlag – auf hohem Niveau – war pragmatisch und für Pflegebedürftige, ihre Angehörigen sowie Kostenträger kalkulierbar, wenngleich nicht für den ambulanten Bereich vorgesehen. Mit dem vorliegenden Vorschlag, bliebe nun ein erheblicher Teil der Pflegebedürftigen (nämlich fast die Hälfte) in vollstationären Einrichtungen von Entlastungen völlig ausgeschlossen, denn eine Verweildauer unter 12 Monaten in Einrichtungen der Langzeitpflege ist keine Seltenheit. Der Regelungsvorschlag bleibt in vielfacher Hinsicht weit hinter den Erwartungen zurück. Es wäre auch fatal, diese nach ersten Modellrechnungen finanziell ungenügende, zeitlich und prozentual gestufte Begrenzung jetzt im Hauruckverfahren mit dem Wissen einzuführen, dass dann in absehbarer Zeit keine Systemänderung mehr durchsetzbar ist.

Mit Blick auf die zukünftigen Verbesserungen in der Pflege bei den Themen Tarifbindung, Mehrpersonalisierung und Arbeitsbedingungen sind weitere Kostensteigerungen absehbar, die nicht zu Lasten der Pflegebedürftigen gehen. Anstatt Zuschüsse brauchen Pflegebedürftige eine echte Entlastung durch einen umfassenden und kalkulierbaren Kostendeckel. Insbesondere auch im ambulanten Bereich, für den nun nicht mal mehr eine Dynamisierung der Leistungsbeträge vorgesehen ist. Wie soll das funktionieren? Es zeichnet sich eine Katastrophe ab - auch, weil im ambulanten Bereich keine Verbesserung der Versorgung und der Arbeitsbedingungen analog der Mehrpersonalisierung nach § 113c SGB XI vorgesehen ist. Der Paritätische mahnt eine Dynamisierung in § 30 SGB XI an, die nicht nur, wie jetzt im Gesetz vorgesehen, regelhaft geprüft werden soll, sondern regelmäßig auf der Grundlage der Bruttolohnentwicklung erfolgen muss.

Mit dem vorgelegten Modell jedenfalls wird die Quote der Sozialhilfeempfänger lt. Rothgang et al. in vollstationären Einrichtungen in Kürze weiter steigen und Armut durch Pflege wird wieder nicht verhindert. Das kann nicht gewollt und nachhaltig sein. Die Pflegefinanzierung muss nach Auffassung des Paritätischen konsequent solidarisch weiterentwickelt werden. Dazu ist ein Maßnahmenpaket erforderlich, dass wirksam Entlastung schafft. Ziel muss eine Pflegevollversicherung sein, bei der die Pflegekosten in voller Höhe von den Pflegekassen getragen werden. Die Pflegeversicherung soll nach Auffassung des Paritätischen kurzfristig in einem ersten Schritt mit einer Sofortmaßnahme fortan 85% der Kosten für pflegebedingte Aufwände ambulant und stationär übernehmen, so dass die Eigenanteilsquote in allen Pflegegraden 15% beträgt. Je nach Einkommensstärke wird ergänzend Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII geleistet. Für den ambulanten Bereich bedeutet dies eine Veränderung des Leistungsprinzips, aber pflegebedingte Eigenanteile sollen erst anfallen, wenn die Sachleistungen (auf dem heutigen Niveau) ausgeschöpft werden. Dies wäre nicht nur eine Bestandsschutzregelung, sondern würde gleichzeitig dafür sorgen, dass ein befürchteter Sog in vollstationäre Einrichtungen vermieden wird. Gleichwohl kann auch sofort von dem neuen System Gebrauch macht werden. Die Möglichkeiten der Tages- und Kurzzeitpflege sollten weiterhin neben der „ambulanten“ Versorgung erhalten bleiben. Ebenso sollte es weiterhin möglich sein, ausschließlich Pflegegeld zu beziehen. Der Einzug eines Deckungsgrades von 85% wäre auch finanzierbar, wie anhand anderer Vorschläge bereits aufgezeigt wurde. So hat Prof. Dr. Heinz Rothgang die Beitragssatzeffekte und Verteilungswirkungen der Einführung einer „solidarischen Gesundheits- und Pflegeversicherung“ analysiert und kommt zum Ergebnis, dass es zur Reduktion der Beitragssätze durch Berücksichtigung aller Einkommensarten in der Beitragsbemessung käme und somit eine Solidarische Pflegeversicherung auch Spielräume für Leistungsausweitung eröffnet Siehe Rothgang: Beitragssatzeffekte und Verteilungswirkungen der Einführung einer „solidarischen Gesundheits- und Pflegeversicherung“, 2017. Der gleiche Autor kommt in einer weiteren Studie für die Initiative Pro Pflegereform zum Ergebnis, dass selbst eine Vollversicherung mit einer Erhöhung von 0,7 Prozentpunkten Beitragssatz möglich wäre (Rothgang: „Alternative Ausgestaltung der Pflegeversicherung, Abbau von Sektorengrenzen und bedarfsgerechte Leistungsstruktur“, 2017). Insgesamt kann die Begrenzung auf einen Eigenanteil in Höhe von 15 % als Übergangslösung verstanden werden, um einerseits schnell die Eigenanteile zu begrenzen und um andererseits systematisch einen vollständigen Umbau der Pflegeversicherung hin zu einer echten Teil- oder Vollkaskoversicherung auf den Weg zu bringen.

Investitionskosten: Es muss zudem eine verbindlichere Förderung oder besser noch Übernahme der Investitionskosten durch die Länder geben. Mit Einführung der Pflegeversicherung haben die Länder das Versprechen abgegeben, dass sie im Gegenzug zur Entlastung bei der Sozialhilfe, die Investitionskosten der Einrichtungen finanzieren. Dieses Versprechen ist nicht eingehalten worden. Wird es endlich umgesetzt führt dies zu einer spürbaren finanziellen Entlastung der Betroffenen und die Länder erhalten ihrerseits dadurch ein Mittel zur Steuerung der Versorgungsstrukturen. In den nun vorliegenden Änderungsanträgen ist gegenüber dem Arbeitsentwurf die Übernahme der Investitionskosten in Höhe von zumindest 100 € zum Leidwesen der Betroffenen entfallen. Mittlerweile werden im Durchschnitt 460 € Investitionskosten fällig. Eine Pflegereform ohne die Länder in die Pflicht zu nehmen, ist nicht vorstellbar.

ÄA 5 Tarifliche Entlohnung (Konzertierte Aktion Pflege) / §§ 72 Abs. 3, 3a und b; 82c SGB XI:

Aus Sicht des Paritätischen geht das grundsätzliche Bemühen in die richtige Richtung, die Vergütung von in der Pflege Beschäftigten auf das Niveau tariflicher Entlohnung, wenn auch nicht zwingend in (echter) Tarifbindung, verpflichtend zu heben. Dennoch bleibt die Konzeption in den Änderungsanträgen hinter der bislang geltenden, klaren Regelung zurück, wonach Gehälter bis zur Höhe tarifvertraglich vereinbarter Vergütungen nicht als unwirtschaftlich abgelehnt werden dürfen. Im Falle Tarifbindung soll die Refinanzierung der tarifvertraglich vereinbarten Entlohnung zwar, wie bisher auch, nicht als unwirtschaftlich abgelehnt werden dürfen. Außerhalb einer Tarifbindung sollen jedoch tariflich orientierte Entlohnungen nur dann refinanzierbar sein, wenn sie auch einer regional üblichen Entlohnung entsprechen. Daraus ergeben sich, auch wenn das Kriterium der "Ortsüblichkeit" aufgegeben wurde, in der Sache ähnliche rechtliche (Folge-)Probleme. Was gilt, wenn es zum Beispiel mehrere regional einschlägige Branchen- oder Haustarifverträge mit unterschiedlichen Entlohnungsniveaus gibt? Entsprechen dann alle oder nur einzelne Tarifverträge einer regional üblichen Entlohnung? Hierüber sollen letztendlich die Verbände der Pflegekassen - nach noch nicht näher verifizierten Kriterien - entscheiden. Die gesamte Konzeption entfernt sich damit von geltenden Grundsätzen und würde insgesamt einen Rückschritt gegenüber dem Status Quo bedeuten.

ÄA 7 Umsetzung des Personalbemessungsverfahrens (Konzertierte Aktion Pflege) / § 113c SGB XI:

Die Begrenzung der Eigenanteile ist für die Umsetzung der Personalbemessung in Pflegeeinrichtungen nach § 113c SGB XI immanent. Im Großen und Ganzen orientiert sich die Umsetzung in § 113c SGB XI an der auf Basis eines Beschlusses der Konzertierten Aktion Pflege erarbeiteten „Roadmap zur Verbesserung der Personalsituation in der Pflege und zur schrittweisen Einführung eines Personalbemessungsverfahrens für vollstationäre Pflegeeinrichtungen“.

Zu begrüßen ist, dass das wissenschaftlich fundierte Verfahren zur einheitlichen Bemessung des Personalbedarfs in Pflegeeinrichtungen nach qualitativen und quantitativen Maßstäben für vollstationäre Pflegeeinrichtungen nun gesetzlich verbindlich eingeführt werden soll. Diese gesetzliche Festschreibung hatte der Paritätische auf Grundlage der Ergebnisse des Projektes „Entwicklung und Erprobung eines wissenschaftlich fundierten Verfahrens zur einheitlichen Bemessung des Personalbedarfs in Pflegeeinrichtungen nach qualitativen und quantitativen Maßstäben gemäß § 113c (PeBeM)“ explizit gefordert.

Hinsichtlich der nun beschriebenen Umsetzung gibt es allerdings aus unserer Sicht diversen Verbesserungs- und Klärungsbedarf. Die Bewertung des Vorgehens zur Höhe der Personalanhaltswerte nach § 113c Absatz 1 und 2 SGB XI ist mit Blick auf die unterschiedlichen Ausgangsniveaus der Personalschlüssel und in zeitlicher Hinsicht nicht einfach. Als Grundlage geht der Gesetzesentwurf von den bereinigten, bundesdurchschnittlichen Ist-Stellenschlüsseln aus, der dem Abschlussbericht des Projekts § 113c auf S. 367 zu entnehmen ist. Die bundeseinheitlichen Stellenschlüssel, die als Personalanhaltswerte ab dem 01.07.2023 durch das Gesetz vorgegeben werden, berücksichtigen den personellen Mehrbedarf nach dem Abschlussbericht des PeBeM-Projekt in Höhe von rund 40 Prozent gegenüber diesen bereinigten, bundesdurchschnittlichen Ist-Stellenschlüsseln. Mit der Durchschnittsbetrachtung ergeben sich mit diesem Schritt nicht für alle Bundesländer höhere Personalschlüssel, was dort für die Akzeptanz schwierig ist. Zwar sollen Bestandsschutzregelungen und insbesondere auch Regelungen zum Schutz vor Fachkraftabbau greifen, aber die Skepsis ist groß. Unklar ist also, ob diese Vorgehensweise bzw. auch die fehlende Kommunikation für eine Konvergenzphase wirklich geeignet ist?

Nach den wesentlichen Modellrechnungen aus dem Projekt nach 113c (Abschlussbericht S. 261 ff.) ergäbe sich tatsächlich in einigen wenigen Bundesländern weniger Bedarf an Fachkräften, aber deutlich mehr an Hilfskräften. Insgesamt wird also mehr Personal in den Einrichtungen arbeiten und den Fachkräften sollen am Ende 130 % mehr Zeit für Fachkraftaufgaben zur Verfügung stehen. Diese vom Ende her gedachte Sichtweise kann der Vorschlag nicht abbilden. Er sollte es aber, auch wenn noch unklar ist, wie der Algorithmus 2.0 nach Beendigung Auswertung der modellhaften Einführung am Ende aussehen wird. Zudem sollte klar herausgestellt werden, dass sich die Personalbedarfsberechnungen ausschließlich auf Pflegekräfte beziehen und zusätzliche Betreuungskräfte nach § 43b SGB XI sowie Hauswirtschafskräfte und andere Funktionsstellen nicht Bestandteil dieses Personalbemessungssystems sind und sich insoweit auch keiner Grundlage dafür ergibt, dass diese Stellen wegfallen. Der Paritätische regte zusammen mit den in der BAGFW organisierten Verbänden bereits mehrfach an, dass das hinter dem sog. „Algorithmus 1“ und später auch „Algorithmus 2“ liegende Rechenmodell – mit allen seinen Parametern, wie z.B. der konkreten Nettojahresarbeitszeit und den weiteren Einstelloptionen – transparent und nachvollziehbar offengelegt werden muss und somit in der Praxis überprüft werden kann.

Wir sprechen uns in diesem Gesamtzusammenhang ausdrücklich für einen Bestandsschutz aus, der klar und eindeutig geregelt sein sollte und nicht für gut gemeinte Formulierungen, die in diese Richtung zielen, aber eben unbestimmte Rechtsbegriffe beinhalten, die wiederum einer anderen Auslegung zugänglich sind.

Unklarheit besteht in den Ländern zudem bei den bislang über gesonderte Vergütungszuschläge finanzierten Stellenanteile nach § 8 Absatz 6 SGB XI (Pflegefachkraftstellenprogramm) und nach § 84 Absatz 9 in Verbindung mit § 85 Absatz 9 bis 11 SGB XI (Pflegehilfskraftstellenprogramm). Diese werden zwar gemäß den Neuregelungen Bestandteil dieser zukünftigen Personalanhaltswerte, aber bei einer Gegenüberstellung „vorher / nachher“ muss gerade hinsichtlich des Bestandschutzes sichergestellt werden, dass auch diese Stellen tatsächlich berücksichtigt werden und keinesfalls abgebaut werden, wenn Einrichtungen eine bessere Personalausstattung vor der Einführung der Personalbemessung hatten.

In zeitlicher Hinsicht ist zu berücksichtigen, dass die Personalausbaustufen nach § 8 Absatz 6 und § 84 Absatz 9 SGB XI noch längere Zeit im vollen Gange sein werden. Wir hoffen sehr, dass dies schnell erreicht werden kann, weisen aber darauf hin, dass keinesfalls gesichert ist, dass die dafür benötigten schulischen Ausbildungskapazitäten zur Verfügung stehen werden. Daher ist es sinnvoll, dass eine gesetzliche Verpflichtung genau daran gekoppelt ist. Eine gesetzlich vorgeschriebene Umsetzung zum 01. Juli 2023 ohne Berücksichtigung einer längeren Konvergenzphase ist derzeit richtigerweise kaum vorstellbar und ist aus heutiger Sicht sehr ambitioniert. Zu würdigen ist also, dass es eine längere Übergangsphase für die Übertragung der Zuschläge für o.g. zusätzliche Stellen bis zum 31.12.2025 geben soll sowie, dass auch weiterhin Personal nach den derzeit gängigen Modi qualifiziert werden kann; dies muss aus unserer Sicht auch über das Jahr 2025 hinausgehen. Insoweit bitten wir darum mit weiteren Maßnahme sicherzustellen, dass die Länder bei der nach Landesrecht geregelten Helferausbildung tatsächlich verpflichtet werden, in ausreichender Zahl Ausbildungskapazitäten sicherzustellen.

Sofern Pflegeeinrichtungen eine personelle Ausstattung im Bereich Pflege und Betreuung vereinbaren, die über die mindestens zu vereinbarende personelle Ausstattung nach § 113c Absatz 4 Nummer 1 des dann angepassten Landesrahmenvertrages hinausgeht, sollen sie zusätzlich Maßnahmen der Personal- und Organisationsentwicklung, die im Modellprogramm nach § 8 Absatz 3b SGB XI entwickelt und erprobt werden, durchführen. Das ist in Anbetracht der für eine erfolgreiche Umsetzung notwendig erachteten Umsetzung von Ergebnisse der nun anlaufenden Modellprogramme folgerichtig. Allerdings fehlt eine weitere Verankerung finanzieller Förderung bzw. die Bereitstellung von Schulungsmaterialien im Sinne einer Implementierungsstrategie. Darauf sollte entsprechend in der Begründung Bezug genommen werden.

Änderungsanträge zu Artikel 1 SGB V

Pauschale Beteiligung der GKV an den Kosten der medizinischen Behandlungspflege / § 37 Absatz 2a S. 1 und 2 SGB V:

Aktuell sind die Leistungen der medizinischen Behandlungspflege für Pflegebedürftige in stationären Einrichtungen im Rahmen der pauschalen Leistungsbeträge einschließlich der pflegebedingten Aufwendungen und Aufwendungen der sozialen Betreuung über § 43 SGB XI abgegolten. Mit § 37 Absatz 2a S. 1 und 2 wird die pauschale Beteiligung der GKV an den Kosten der medizinischen Behandlungspflege in Höhe von 640 Mio. Euro geregelt. Dies ist weiterhin nur ein erster Schritt im Zusammenhang mit der systemgerechten Finanzierung der Behandlungspflege in vollstationären Pflegeeinrichtungen aus der GKV. Wir setzen uns dafür ein, dass die Kosten der medizinischen Behandlungspflege grundsätzlich aus dem SGB V finanziert werden. Deshalb fordern wir den Gesetzgeber auf, die medizinische Behandlungspflege, deren Kosten nach unterschiedlichen Quellen auf ca. 3 Mrd. Euro geschätzt werden, vollumfänglich aus dem SGB V zu refinanzieren. Des Weiteren ist nicht hinreichend klar, wie nach Überführung der Stellen aus § 8 Absatz 6 SGB XI (was im Zusammenhang mit der Umsetzung des Personalbemessungsinstruments gesehen werden muss) diese Mittel zur Finanzierung der Stellen weiterhin eingesetzt werden sollen, damit der ursprünglich den Eigenanteil begrenzte Charakter weiterhin Bestand hat. Ausweislich der Begründung soll die pauschale Refinanzierung eines Teils der Kosten der medizinischen Behandlungspflege aus dem SGB V weiter zur finanziellen Entlastung der vollstationär pflegebedürftigen Menschen beitragen. Dafür ist es jedoch erforderlich, dass der pflegebedingte Eigenanteil der Pflegebedürftigen um die Kostenanteile der medizinischen Behandlungspflege reduziert wird.

Die Änderungsanträge berühren noch weitere Themen, auf die hier kurz hingewiesen wird:

SGB XI:

ÄA 3 Gegenfinanzierung

  • § 61a SGB XI: Die Erstattung der Ausgaben der sozialen Pflegeversicherung für die Rentenversicherung von Pflegepersonen aus Bundesmitteln ist sachgerecht.
  • § 55 SGB XI: Anhebung des Beitragszuschlags für Kinderlose um 0,1 Beitragssatzpunkte (BSP).

 

ÄA 6 Stärkung der Kurzzeitpflege zur Sicherstellung einer wirtschaftlich tragfähigen Vergütung durch: Bundesempfehlung Kurzzeitpflege und Anpassung der Landesrahmenverträge durch die Pflegeselbstverwaltung

  • § 88a SGB XI: Der Paritätische begrüßt nachdrücklich die Intention des Gesetzgebers, für die auch im Koalitionsvertrag vorgesehene wirtschaftlich tragfähige Vergütung der Kurzzeitpflege eine gesetzliche Grundlage vorzusehen.

 

ÄA 8 Verordnungskompetenz von Pflegekräften (Konzertierte Aktion Pflege)

  • § 40 Absatz 6 SGB XI: Pflegefachkräfte sollen im Rahmen ihrer Leistungserbringung nach § 36, nach den §§ 37 und 37c des Fünften Buches sowie der Beratungseinsätze nach § 37 Absatz 3 des Elften Buches konkrete Empfehlungen zur Hilfsmittel- und Pflegehilfsmittelversorgung abgeben. Dies begrüßen wir.

 

ÄA 9 Erweiterung der Tatbestände zur Förderung der Vereinbarkeit von Pflege, Familie und Beruf in den Pflegeeinrichtungen

  • § 8 Absatz 7 SGB XI: Die Fördertatbestände des § 8 Absatz 7 SGB XI werden in den Ziffern 2 und 3 des Satzes 2 um die Entwicklung von Konzepten für mitarbeiterorientierte und lebensphasengerechte Arbeitszeitmodelle und um Konzepte zur Rückgewinnung von Pflegekräften erweitert. Beides sind Ziele der KAP.

 

ÄA 11 Weiterentwicklung der Qualität

  • Es gibt diverse Änderungen zur Weiterentwicklung der Qualität in der Pflege.

 

ÄA 15 Verdeutlichung der Beratungspflichten der Pflegekassen, Beratungspflicht auch bei erstmaliger Beantragung von Kostenerstattungsansprüchen

  • § 7b SGB XI: Die Ergänzungen in § 7b Absatz 1SGB XI dienen zum einen der Aufnahme von noch nicht unter die Beratungsanlässe fallenden Leistungstatbestände des Wohngruppenzuschlags, von Pflegehilfsmitteln, Zuschüssen zur Verbesserung des Wohnumfelds und der neuen Digitalen Pflegeanwendungen, was zu begrüßen ist.

 

ÄA 16 Stärkung regionaler Netzwerke

  • § 45c Absatz 1 und 9 SGB XI: Der Paritätische begrüßt die vorgesehene Erhöhung der finanziellen Mittel zur Förderung von regionalen Netzwerken zur Verbesserung der Versorgung pflegebedürftiger Personen. Um die gesetzlichen Regelungen zur Stärkung regionaler Netzwerke übersichtlicher zu halten, empfehlen wir, die Regelungen gesondert in einem neuen § 45e SGB XI zusammenzufassen.

 

SGB V:

ÄA 3 KAP: Stärkung Pflegefachpersonen

  • § 37 Absatz 8 neu SGB V: Nach dieser Regelung können entsprechend qualifizierte Pflegefachkräfte innerhalb eines vertragsärztlich festgestellten Verordnungsrahmens für Leistungen der häuslichen Krankenpflege über die Durchführung der nach dem Leistungsverzeichnis der Richtlinie nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 verordnungsfähigen Maßnahmen bestimmen.

 

ÄA 4 Übergangspflege im Krankenhaus

  • § 39d SGB V: In Deutschland gibt es einen großen Mangel an Kurzzeitpflegeplätzen, der Probleme der pflegerischen Anschlussversorgung nach Krankenhausbehandlung nach sich zieht. Daher ist die Einführung einer Übergangspflege, nach der Patienten einen Anspruch auf Anschlussversorgung für bis zu 10 Tagen nach Krankenhausbehandlung erhalten können, grundsätzlich als komplementäres Angebot der Kurzzeitpflege nach dem SGB XI als positiv zu bewerten.

 

ÄA 5 KAP Modellvorhaben zur Übertragung ärztlicher Tätigkeiten auf Pflegefachpersonen

  • § 64d SGB V (neu): Der Paritätische begrüßt nachdrücklich die Etablierung eines neuen Modellvorhabens nach § 64d SGB V zur Übertragung ärztlicher Tätigkeiten, bei denen es sich um die selbständige Ausübung von Heilkunde handelt, auf Pflegekräfte.

 

Begrüßt wird zudem ausdrücklich, dass im Gegensatz zu den Vorschlägen im Arbeitsentwurf von einer Beschränkung der Sachleistungen in der Tagespflege neben der ambulanten Pflege, der Nutzbarmachung von ambulanten Sachleistungen für andere nicht zugelassenen Anbieter sowie von einer Einschränkung der Flexibilität von Verhinderungspflege abgesehen wurde. Gerade die Möglichkeit, Verhinderungspflege stundenweise in Anspruch zu nehmen, ist für Familien mit behinderten Kindern von besonderer Bedeutung, da hierdurch kurzfristige Auszeiten von der Pflege im Pflege- und Familienalltag realisiert werden können. Entlastung kann nur effektiv sein, wenn sie flexibel, je nach individuellem Bedarf, genutzt werden kann.

210503_ÄA_GVWG_Art. 1_SGB V.pdf

210503_ÄA_GVWG_Art. 2_SGB XI.pdf

2021_05_07_SN_ÄA_GVWG_Paritaet_fin1.pdf