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Risikokommunikation als Teil der Verhaltensprävention gegen Corona

Prävention ist derzeit das wichtigste Instrument im Kampf gegen Corona. Prof. Dr. Rolf Rosenbrock ist Vorsitzender des Paritätischen Gesamtverbandes und hat dazu einen Blogbeitrag verfasst.

Solange keine medizinische Prävention - wie Impfung - gegen die Übertragung des Virus SARS-CoV-2, wie Corona in der Fachsprache genannt wird, verfügbar ist, besteht die wichtigste Möglichkeit der Eindämmung der Epidemie in der nicht-medizinischen Prävention. Leider ist dies auch Wochen nach dem Ausbruch der Pandemie und des weitestgehenden sogenannten Social Distancing immer noch eine wichtige Maßnahme.

Im Kern und als Voraussetzung des Erfolgs für jede mögliche Strategie geht es um die optimale Mischung zwischen Verhältnis- und Verhaltens-Prävention. Derzeit dominiert in der Wahrnehmung der für Deutschland beispiellose Einsatz von Instrumenten der physischen Distanzierung durch Betriebs-, Schul- und KiTa-Schließungen, durch Quarantäne und Kontaktverbote. Unterstützt wird die Wirksamkeit dieser Maßnahmen durch den Einsatz des Tests in der Prävention und die Identifizierung von (Kontakt-)Personen, die dann bis zum Ablauf der möglichen Inkubationszeit in Quarantäne gehen.

Verhaltensprävention wird mit hoher Wahrscheinlichkeit auch über das Ende der jetzigen regulativen Verhältnisprävention hinaus von Bedeutung sein und muss auch ohne diesen Rahmen bzw. diese Unterstützung wirksam bleiben. Zu beachten ist auch der Umstand, dass sich durch Schock und Angst zwar kurzfristig Verhalten beeinflussen lässt, dass derart zustande gekommene Verhaltensänderungen aber nicht zeitstabil sind.  Es bleibt also die Notwendigkeit der professionellen Organisation von Vehaltensprävention. Möglicherweise für längere Zeit. Damit auch Sie gut durch die Osterfeiertage kommen, sollten Sie folgendes beachten. Und selbst wenn vieles schon bekannt ist, kann man es leider nicht oft genug wiederholen.

  • Weil der weitaus größere Teil der Adressaten von einer Infektion mit Corona keine lebensbedrohliche Erkrankung zu erwarten hat, ist die Botschaft der Solidarität besonders wichtig. Zum einen gilt es der relativen Sorglosigkeit mancher jüngerer und gesunder Menschen mit dem Hinweis auf zahlreiche ernste Verläufe auch in diesen Gruppen entgegen zu treten. Zum anderen ist der Zusammenhang klar zu machen: Jede*r Infizierte, auch ohne Symptome, steckt im Durchschnitt 2–3 weitere Menschen an, in der Folge werden exponenziell viele, darunter auch viele ältere und/oder vorerkrankte Personen infiziert, bei denen die Wahrscheinlichkeit schwerer bis letaler Verläufe sehr viel höher ist.  Solidarität heißt dann: sich nicht anzustecken.
  • Bei der Abstands-Botschaft wären größere Präzision und ggf. Spezifizierung wünschenswert Auch zum Mund-Nasen-Schutz (Masken) in ihren verschiedenen Qualitäten bedarf es präziserer Angaben zum Nutzen oder eben auch Nicht-Nutzen.  Auf keinen Fall darf sich der Terminus  ‚social distancing‘ durchsetzen, denn er bezeichnet das Gegenteil von Solidarität  und präventionspraktisch nicht das, um was es geht: 'physical distancing', körperlicher Abstand.
  • Beim Händewaschen sind Ratschläge wie ‚gute Handhygiene‘ nicht hilfreich. Regelmäßig und gründlich Händewaschen heißt: immer, wenn ich von draußen reinkomme (nachhause oder zur Arbeit) sowie vor jedem Essen die Hände mindestens 20 Sekunden mit warmem Wasser und Seife waschen
  • Hände und Finger nicht ins Gesicht klingt trivial, ist es aber gewiss nicht, da solche Bewegungen zumeist unwillkürlich erfolgen, ihre Unterlassung also ein hohes Maß an nachhaltiger Konzentration erfordert.
  • Am klarsten von allen hier genannten ist die Botschaft  ‚Husten und Niesen nur in die Armbeuge oder ein sauberes Tuch‘, was nicht bedeutet, dass sie lückenlos und quasi von selber befolgt werden kann.

Am wording, der Gewichtung und der Reihenfolge dieser Botschaften muss sicher noch gearbeitet werden, mit dem Ziel: möglichst klar, möglichst einfach, möglichst einfach lebbar.

Wegen der gegebenen Vielfalt der Kommunikationswege und den sich rasch ändernden Nutzungsgewohnheiten müssen die sich daraus ergebenden Botschaften unter Nutzung der Rezepte der Werbeindustrie (Logo, Wiederholung, Variationen, Humor, gendergerecht, zielgruppenspezifisch, Illustrationen) auf allen verfügbaren Kanälen laut und nachhaltig gesendet werden. Die Botschaften der Schweizer Kampagne (www.bag-coronavirius.ch, die inhaltlich noch Schwächen aufweist) finden sich z. B. derzeit in fast jedem Hauseingang, in den Geschäften, auf dem Display der Billet-Automaten, auf  Plakaten und in TV-Spots etc. - und natürlich auch im Netz.

Die Herausforderungen der verhältnisgestützten Verhaltensprävention sind bei Covid-19 keineswegs geringer als seinerzeit bei Aids, wo sie sehr erfolgreich war. Der Erfolg beruhte auf den Handlungsprinzipien fairer Kooperation, Nicht-Diskriminierung  und Freiwilligkeit.  Nicht nur, aber auch daraus kann noch vielerlei gelernt werden. Zwingend notwendig erscheint mir aber, dass der individuellen Verhaltensprävention sofort ein erheblich höheres Gewicht in den Strategien gegen die Epidemie gegeben werden muss und das dies einer breiten, öffentlich überall und für jeden Menschen wahrnehmbaren Mehrebenen-Kampagne bedarf. Auch hierzu möchte ich noch ein paar Punkte hervorheben:

  • Bei der Konzeption und Durchführung einer solchen Dachkampagne muss beachtet werden, dass es nicht um triviale Änderungen im Alltag geht, deren Erlernung und verlässliche Anwendung eine rein kognitive Angelegenheit wäre. Körperliche Nähe/Ferne im sozialen Umgang sind (Zwischen-) Ergebnisse langer Kulturentwicklungen, der Handschlag als Begrüßung wurde noch vor wenigen Jahren als wichtiger Teil hiesiger ‚Leitkultur‘ promotet…Auch ist zu bedenken, wie vermieden werden kann, dass wir uns künftig bei jeder sozialen Begegnung zunächst als potenziell infektiös/infizierend wahrnehmen…
  • Unterhalb der nationalen Dachkampagne mit ihren wenigen und klaren Botschaften geht es um die regional und lokal differenzierte Verankerung in den Lebenswelten, also KiTas, Schulen, Hochschulen, Werkstätten, Betrieben, Verwaltungen, Marktplätzen, Spielplätzen, Freizeiteinrichtungen, Reiseverkehr… hier bleibt viel Raum für dezentrale und partizipative Formen der Risikokommunikation und für das Zusammenwirken von Verhältnis- und Verhaltensprävention.
  • Wie alle Infektionskrankheiten trifft Covid-19 sozial benachteiligte Menschen gesundheitlich, materiell und sozial stärker als wohlhabende und vergrößert damit die ohnehin sehr große sozial bedingte Ungleichheit von Gesundheitschancen. Dem muss mit zielgenauer Sozialpolitik, sozialarbeiterischen Strategien und eben auch durch Gesundheitsförderung in Lebenswelten entgegengewirkt werden, wie z. B im ‚Kooperationsverbund gesundheitliche Chancengleichheit‘. Je besser dies alles gelingt, desto erfolgreicher wird auch die Covid-19 Prävention sein.

Abschließend bleibt mir noch zu sagen: Frohe Ostern und bleiben Sie gesund!

Autor:
Prof. Dr. Rolf Rosenbrock

Dieser Beitrag erschien zuerst als Blogbeitrag auf der Website www.der-paritaetische.de