Stellungnahme des Paritätischen zum Referentenentwurf eines Gesetzes zum Schutz von Kindern vor geschlechtsverändernden operativen Eingriffen
Geschlechtsangleichende medizinische Eingriffe an Neugeborenen und Kindern, die mit uneindeutigem Geschlecht zur Welt kommen, sind höchst umstritten. Der Paritätische begrüßt deshalb grundsätzlich den Gesetzesentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz zum Verbot von geschlechtsverändernden operativen Eingriffen an Säuglingen und Kindern, fordert jedoch in seiner Stellungnahme Nachbesserungen, um Gesetzesumgehungen zu verhindern.
Die Kultur der Zweigeschlechtlichkeit ist in der deutschen Rechtsordnung wie auch der Gesellschaft nach wie vor tief verankert. Ein dementsprechend hoher Druck, sich dieser kulturellen Norm anzupassen, führt dazu, dass an intergeschlechtlichen Säuglingen und Kindern immer noch geschlechtsverändernde Operationen durchgeführt werden, um ihre körperliche Erscheinung und Funktion mit den binären Geschlechterstereotypen in Einklang zu bringen. Eine solche Operation im frühen Kindesalter stellt jedoch einen tiefgreifenden Eingriff in die körperliche Unversehrtheit und die geschlechtliche Selbstbestimmung der Betroffenen dar. Diese Praxis ist nicht hinnehmbar.
Der Paritätische fordert bereits seit einigen Jahren den Schutz der körperlichen Unversehrtheit und geschlechtlichen Selbstbestimmung von intergeschlechtlichen Kindern durch ein Verbot medizinisch nicht zwingend notwendiger geschlechtszuweisender oder –anpassender Eingriffe und eine Ausweitung von Beratungsanspruch und Beratungsangeboten zu geschlechtlicher Vielfalt und begrüßt demzufolge den Gesetzesvorstoß des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV), ebensolche geschlechtsverändernden Operationen nur noch in unaufschiebbaren Fällen und zur Abwendung von Lebensgefahr zu erlauben.
Problematisch in der Formulierung des Gesetzestextes ist jedoch, dass die Definitionshoheit des Begriffes „geschlechtsverändernd“ weiterhin bei der Medizin verbleibt und damit der Aufforderung nach Depathologisierung intergeschlechtlicher Menschen wie sie das Europäische Parlament, die Parlamentarische Versammlung, des Europarats, zahlreiche UN-Menschenrechtsorgane und die intergeschlechtliche Menschenrechtsbewegung fordern, entgegensteht.
Der Grund hierfür liegt in dem Begriff „geschlechtsverändernd“: Dieser suggeriert eine strikte Trennung des körperlichen Erscheinungsbildes in eine der drei genannten Kategorien als männlich, weiblich oder inter*. Es gibt jedoch in medizinischen Fachkreisen kein einheitliches Verständnis von Intergeschlechtlichkeit. Dies hat zur Folge, dass die Grenzen zwischen den Geschlechtern regelmäßig neu verhandelt werden und eine objektive Zuordnung von Kindern in eine dieser drei geschaffenen Kategorien nicht zeitlich überdauernd möglich ist. Aus unserer Sicht ist die einseitige Orientierung an der Geschlechtszuschreibung anhand körperlicher Merkmale als scheinbar objektives Kriterium nicht ausreichend, da so das Verbot von Operationen am Geschlecht von Säuglingen und Kindern leicht zu umgehen ist.
In Bezug auf die gesetzliche Regelung zur Beratung von Betroffenen begrüßt der Paritätische, dass eine Beratung des betroffenen Kindes Voraussetzung eines operativen Eingriffs im Sinne des § 1631c BGB (neu) darstellt. Es ist jedoch dabei unbedingt darauf zu achten, dass die Beratungsangebote qualifiziert, unabhängig und qualitätsgesichert durchgeführt werden, und ebenfalls für Angehörige zur Verfügung stehen. Diese Vorgaben fehlen bisher im Gesetzestext.
Auch der Anspruch von Kindern und Jugendlichen auf Beratung durch das Jugendamt muss erweitert werden. Hierdurch sollen Kinder und Jugendliche Anspruch auf Beratung ohne Kenntnis der Personensorgeberechtigten haben, wenn die Mitteilung an den Personensorgeberechtigten den Beratungszweck vereiteln würde. Bislang ist das nur zulässig, wenn darüber hinaus eine Not- und Konfliktlage vorliegt. Die Ermöglichung der Beratung von Kindern und Jugendlichen ohne Information der Personensorgeberechtigten im Rahmen von § 8 Abs.3 SGB VIII stärkt die Rechte der Kinder und Jugendlichen.
Wichtige, bisher im Gesetzestext fehlende Punkte sind aus Sicht des Paritätischen:
- Schaffung verbindlicher Behandlungs- und Betreuungsstandards
- Sicherstellung der Informationspflicht bei geplantem Eingriff an das Familiengericht
- Aufnahme des Themas "Geschlechtsdifferenzierung und Varianten" in die Lehrpläne/ Pflicht zur Qualifizierung
- Einarbeitung des Begriffes "Intersexualität" in geltendes Recht