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Stellungnahme zum Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes

Der Gesetzgeber war nach einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts im Dezember 2021 dazu verpflichtet, Vorkehrungen zu treffen, um bei Entscheidungen über die Zuteilung überlebenswichtiger, nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung stehender intensivmedizinischer Ressourcen eine Benachteiligung aufgrund einer Behinderung zu verhindern. Der Bundestag hat am 10. November über eine Änderung des Infektionsschutzgesetzes entschieden, um dieser Verpflichtung nachzukommen.

Mit dem Gesetzt wird ein neuer § 5c "Verfahren bei aufgrund einer übertragbaren Krankheit nicht ausreichend vorhandenen überlebenswichtigen intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten" ins Infektionsschutzgesetz aufgenommen. Hier wird  normiert, dass insbesondere eine Behinderung, der Grad der Gebrechlichkeit, das Alter, die ethnische Herkunft, die Relion oder Weltanschauung, das Geschlecht oder die sexuelle Orientierung in einer solchen Situation nicht zu einer Benachteiligung führen dürfen.

Als Kriterium für eine Zuteilungsentscheidung kommt nach dem Beschluss des Bundestags nun ausschließlich die aktuelle kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit in Betracht. Dies war im Verlauf der Debatte um das Gesetz umstritten. Kritiker*innen forderten, dass über Alternativen - wie zum Beispiel die Dringlichkeit, oder ein "first come, first serve"-Prinzip - nicht ausreichend diskutiert wurde. Auch der Paritätische hatte im Rahmen seiner Stellungnahme zum Entwurf darauf hingewiesen, dass die vorgeschlagene Regelung nicht ausreicht, um Menschen mit Beeinträchtigungen bei Zuteilungsentscheidungen vor Diskriminierung zu schützen. Weil es die vorgesehene Regelung grundsätzlich explizit ermöglicht, Komorbiditäten zu berücksichtigen, soweit sie die auf die aktuelle Krankheit bezogene kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit erheblich verringern, ist weiterhin mit diskriminierenden Entscheidungen zu rechnen – ausdrücklich auch dann, wenn die Entscheider*innen dies selbst vermeiden möchten.

Umstritten war darüber hinaus der Ausschluss der sogenannten Ex-Post Triage: Das Gesetz legt fest, das bereits zugeteilte intensivmedizinische Behandlungskapazitäten von der Zuteilungsentscheidung ausgeschlossen sind. Der Gesamtverband hatte sich im Zuge der Diskussion für diesen Ausschluss der Ex-Post Triage stark gemacht.

Schließlich wird im Gesetz geregelt, wer in welchem Rahmen die Zuteilungsentscheidung treffen darf und welche Dokumentationspflichten im Fall von Zuteilungsentscheidungen für Krankenhäuser bestehen.

Im Rahmen einer öffentlichen Anhörung, zu der auch der Paritätische Gesamtverband eine Stellungnahme eingereicht hatte, wurde der Entwurf kontrovers diskutiert. Der Ausschuss für Gesundheit hat im Anschluss drei Änderungsantrage angenommen. Zum einen wurde konkretisiert, wann davon ausgegangen werden kann, dass überlebenswichtige intensivmedizinische Behandlungskapazitäten in einem Krankenhaus nicht ausreichend vorhanden sind. Darüber hinaus wurde für Krankenhäuser die Verpflichtung aufgenommen, im Falle einer Zuteilungsentscheidung der für die Krankenhausplanung zuständigen Landesbehörde unverzüglich mitzuteilen, warum nicht ausreichend Behandlungskapazitäten vorhanden waren. Die Behörde soll so in die Lage versetzt werden, im Rahmen ihrer Zuständigkeit tätig zu werden. Die dritte Änderung des Entwurfs sieht eine Evaluation der Neuregelung bis spätestens Ende 2025 vor.

Die Unionsfraktionen haben in einem Entschließungsantrag unter anderem eine Verortung der Regelungen außerhalb des Infektionsschutzgesetzes, die Sanktionierung von Verstößen gegen Triagevorgaben und eine gesetzliche Meldepflicht für durchgeführte Triagen gefordert. Der Antrag wurde von der Mehrheit der Abgeordneten abgelehnt.

Das Gesetz wird nun auch von denjenigen kritisiert, auf deren Beschwerde das Bundesverfassungsgericht mit seinem Beschluss reagierte. Eine Zuteilungsentscheidung auf Grundlage prognostischer Überlebenswahrscheinlichkeiten benachteilige Menschen mit Behinderungen weiterhin.