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Umfrage: Schul- und Kitamittagsversorgung von Kindern aus armen Familien ist in der Coronakrise mangelhaft

Wenn wie in der Coronakrise Schulen, Kitas und Tafeln geschlossen sind, wird für viele einkommensarme Familien die tägliche Versorgung der Kinder mit einem Mittagessen zur Herausforderung. Die Kommunen müssen deshalb eine Lieferung des Mittags sicherstellen, so der Beschluss der Bundesregierung. Der Paritätische hat mittels einer nicht-repräsentativen Umfrage bei Paritätischen Gliederungen vor Ort nachgefragt, wie gut das klappt. Das Ergebnis: Oft sind es nicht die Kommunen, sondern die Zivilgesellschaft und die Initiativen Freier Träger, welche die Mittagsversorgung von Familien aus armen Familien absichern.

„Eine Bildungsrepublik kann am Mittagessen scheitern“, betonte bereits der Soziologe Lord Ralf Dahrendorf. Die derzeitigen Regelungen zur Mittagessensversorgung von Kindern und Jugendlichen aus einkommensarmen Haushalten bestätigen diese Sorge leider eindrücklich. Sie haben im Rahmen des Bildungs- und Teilhabepaketes einen Anspruch auf die Übernahme der Kosten für das Mittagessen in Schule oder Kita. Mit der Schließung dieser Einrichtungen entfielen diese Angebote. Die Familien wurden dadurch zusätzlich belastet, auch wenn die grundsätzlich viel zu niedrig bemessenen Regelsätze formal auch die Ernährung der Kinder und Jugendlichen umfassen.

Das addiert sich zu anderen aktuellen Belastungen für Grundsicherungsbeziehende: Neben den Mehrausgaben für Hygieneartikel wie Desinfektionsmitteln und Atemschutzmasken leiden einkommensarme Familien zusätzlich unter der Schließung von Tafeln und den gestiegenen Lebensmittelpreisen. Damit Schüler*innen auch während der durch die Corona-Pandemie verursachten Schulschließung nicht auf das Mittagessen verzichten müssen, hat der Gesetzgeber im Sozialpaket II beschlossen, dass die Kommunen „das Mittagessen den Kindern nun auch flexibel auf anderen Wegen bereitstellen“ können, z.B. durch eine Lieferung nach Hause oder zur Abholung. Dieser in der Theorie zunächst gut klingende Ansatz wirft jedoch in der Praxis einige Fragen auf. Gibt es aufgrund der begrenzten Kostenübernahme überhaupt Anbieter*innen, die unter Anbetracht des logistischen Mehraufwands die Essenslieferung zu den Haushalten bringen? Bedeutet diese Regelung für die Familien, dass Kinder, die auf verschiedene Schulen gehen, zu unterschiedlichen Uhrzeiten ihre Essensportion erhalten und in der Konsequenz die Eltern für sich separat kochen müssen? Sind in den Haushalten überhaupt die notwendigen Ausstattungen vorhanden, um das Essen zu erhitzen?

Der Paritätische, der jährlich eigene Untersuchungen zur Inanspruchnahme der Teilhabeleistung im Bildungs- und Teilhabepaket untersucht, wollte das genauer wissen und hat vor Ort nachgefragt, wie die Regelungen in der Praxis umgesetzt werden. Die eingegangenen Rückmeldungen bestätigen die Befürchtungen. Die getroffenen Regelungen sind in der Realität kaum umsetzbar und führen dazu, dass Schüler*innen entweder keinen Zugang zu einem kostenlosen Mittagessen haben oder diesen nur unter erheblichem Aufwand realisieren können.

Zunächst einmal darf die Belieferung die Kosten des anerkannten Preises der gemeinschaftlichen Schulmittagessen nicht übersteigen und muss durch den vom jeweiligen kommunalen Träger bestimmten und beauftragten Anbieter erfolgen. Jedoch macht der Kreis der Leistungsberechtigten Kinder und Jugendlichen nur einen Teil derer aus, die üblicherweise an der gemeinsamen Schulverpflegung teilnehmen. Der niedrige Preis, der sonst über die Produktion der großen Menge zustande kommt, soll nun also trotz geringerer Nachfrage und bei höherem Aufwand gehalten werden. Es ist damit kaum verwunderlich, dass vielerorts kein Angebot realisiert wird, wie sich aus den Rückmeldungen ergibt. Es fehlt darüber hinaus an vielen Stellen an Infrastruktur und Personal, um die angedachte Regelung umzusetzen.

Besuchen Kinder einer Familie unterschiedliche Einrichtungen, kann es passieren, dass die jeweiligen Lieferungen zu unterschiedlichen Zeiten stattfinden. Da es jedoch der Verantwortung der Schule obliegt, ob überhaupt eine Essensausgabe eingerichtet wird, findet in mancherorts keine Versorgung der Leistungsberechtigten durch die Kommune statt. Der Besuch unterschiedlicher Schulen kann dann dazu führen, dass für ein Kind ein Angebot zur Verfügung steht, die anderen Familienmitglieder sich jedoch separat um ihr Mittagessen sorgen müssen.

Aus der Rückmeldung einer größeren Stadt ergibt sich zwar das Vorhandensein eines lokalen Lieferangebots, jedoch müssen sich die Leistungsberechtigten mit einem Euro an den entstehenden Mehrkosten beteiligen. Diese sind jedoch zum einen nicht durch den Regelsatz abgedeckt, zum anderen sollten solche Zuzahlungen eigentlich mit dem Starke-Familien-Gesetz zum 1. Juli 2019 überwunden werden. Fehlende Anbieter und fehlende Koordination sind nur zwei der Hindernisse, welche die angefragten Träger und Mitgliedsorganisationen nennen. Mancherorts müssen die Betroffenen selbst die Verträge mit den Lieferant*innen abschließen. In einer andern Stadt können die Schulsozialarbeiter*innen zwar die Auslieferung der 650 Essen für die Schulkinder übernehmen, jedoch ist dies für die 1.500 Kita-Kinder mit Bedarf durch den Träger nicht zu bewerkstelligen. Alternativ wird über ein Abholsystem nachgedacht. Letzteres wurde auch von einem weiteren Träger als die momentan praktikabelste Lösung genannt, da der Lieferservice aufgrund der bereits genannten Mehrkosten und fehlendem Personal sowie aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht umsetzbar ist.

Die Nachfragen des Paritätischen zeichnen überwiegend ein Bild kaum vorhandener kommunaler Lösungen. Vielmehr beruht die Hilfe auf zivilgesellschaftlichem Engagement und der Initiativen Freier Träger, um die Versorgung der Schüler*innen und Familien in der ohnehin schon schwierigen Lage aufrechtzuerhalten. Als vorbildliches Beispiel, das zeigt, wie und das es besser geht, ist hier das zu Projekt „Kassel is(s)t solidarisch“ des Paritätischen Wohlfahrtsverband Nordhessen gemeinsam mit Echte Menschen e.V. zu nennen. Geleitet durch den Gedanken, Familien unterschiedlicher Stadtteilen mittels Essen zu verbinden, werden gemeinsam mit dem Bio-Caterer biond, der Schulen und Kitas mit regionalem Essen versorgt, wöchentliche Menüs angeboten. Das Besondere daran: Mit dem Kauf der Menüs wird gleichzeitig ein weiteres Menü an eine Familie mit aktuellem Unterstützungsbedarf geliefert, um einer weiteren Familie die Möglichkeit zu geben „das gleiche Essensglück für eine Woche zu genießen“, so Rosa-Maria Hamacher vom Paritätischen Wohlfahrtsverband Nordhessen. Die Bedarfsermittlung vor Ort sowie die Auslieferung der solidarisch finanzierten Mittagessen wird dabei von den Mitgliedsorganisationen des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes in Kassel übernommen.

Die ohnehin schon komplizierten Regelungen des Bildungs- und Teilhabepaketes wurden in der Krise vielerorts nochmal verkompliziert. Gut gemeint, das zeigen die Beispiele, ist dabei noch längst nicht gut gemacht. Dabei gab und gibt es eine einfache Möglichkeit, um Familien in der Krise zu helfen: mit Geld. Die finanziellen Leistungen für Schulbedarfe erreichen fast alle Anspruchsberechtigten. Auf dem gleichen Wege könnten sie zusätzliche Hilfen für die Essensversorgung erhalten: schnell, wirksam, unbürokratisch, ohne die Gefahr einer zusätzlichen Stigmatisierung. Der Paritätische fordert deshalb mit über 30 anderen Organisationen, allen Betroffenen in der Krise 100 Euro mehr sofort zukommen zu lassen. Offenbar aus Misstrauen gegenüber den Eltern organisieren die Bundesregierung und viele kommunale Träger vor Ort zusätzliche Hürden der Inanspruchnahme, ganz so, als ob ausgerechnet beim Mittagessen ein Leistungsmissbrauch drohte. Die Bildungsrepublik, sie kann tatsächlich am Mittagessen scheitern.

Autorin:
Lea Ziegler, Sozialarbeiterin im Anerkennungsjahr in der Abteilung Arbeit, Soziales und Europa

Dieser Beitrag erschien zuerst als Blogbeitrag auf der Website www.der-paritaetische.de