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Was wurde 2020 zur Bewältigung der Corona-Pandemie in der Langzeitpflege erreicht?

Vor dem Hintergrund der Berichte aus Wuhan und Bergamo über das Infektionsgeschehen und über die verheerenden Folgen starteten ab Mitte Februar 2020 im engeren Kreis Gespräche der Spitzenverbände im Gesundheits- und Pflegewesen mit dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) zur Beratung der Lage. Es bestand anfangs keine klare, aber eine ungefähre Ahnung davon, wo das Virus ohne Gegenmaßnahme stark wüten würde, welche Bevölkerungsgruppen besonders stark betroffen sein werden und welche Einrichtungs- und Versorgungsformen nebst Mitarbeiter*innen es sehr schwer haben werden. Außerdem war klar, dass mit Blick auf Kontaktbeschränkungen, Besuchsverbote, Quarantänen und Einsamkeit gesellschaftliche Folgen damit verbunden sein werden. Diese Gesprächsrunden bildeten den Ausgangspunkt für zahlreiche fachliche und politische Weichenstellungen, um weitestgehend Unterstützung für die pflegerische Versorgung während der Pandemie zu gewährleisten. Die wesentlichen mit diesen Gesprächen verbundenen Ereignisse in der Pandemie lassen sich chronologisch darstellen.

PHASE 1: Schutzmaßnahmen und Mangelwirtschaft, RKI-Empfehlungen vs. klare Regelungen?

Die Nationalen Pandemie- und Hygienepläne standen im Widerspruch zur nicht vorhandenen Schutzausstattung. Diese war Mangelware und dem Bund fiel auf die Füße, dass keine Bevorratung vorgenommen wurde. Daraufhin wurde ein Beschaffungsprogramm gestartet. Die Verteilschlüssel wurden dann aber konkret in den Ländern vorgenommen. Es war schon so, dass es anfangs deutlicher Worte aus der Pflegeszene bedurfte, damit die Einrichtungen auch bedacht wurden – was heute kaum noch vorstellbar ist. Von Beginn an erfolgte eine Auseinandersetzung mit den Empfehlungen des RKI, dem Kontaktpersonenschema, den PCR-Testungen, der Quarantäneregelungen und den arbeitsrechtlichen Fragen. Zahlreiche Informationen, Arbeitshilfen und Aufbereitungen des Paritätischen mussten möglichst praxisgerechte Antworten liefern – was auch meistens gelang. Hierbei war auch immer die Reflektion mit den Kolleg*innen aus dem Bundesgesundheitsministerium wichtig.

PHASE 2: Lockdown, Schutzschirm und Sonderregelungen

Mitte März 2020 musste aufgrund des Fallgeschehens zügig der erste Lockdown vorbereitet werden, es folgten Länderverordnungen mit Kontaktbeschränkungen, Aufnahmestopps in Einrichtungen, Besuchsverbote und auch Betriebsschließungen, wie etwa bei Tagespflegeeinrichtungen. Der Bund verabschiedete Regelungen zur Kurzarbeit und auf Anraten der Pflegeverbände, Auffangregelungen für coronabedingte wirtschaftliche Auswirkungen in Pflegeeinrichtungen zu schaffen, wurde der Pflege-Rettungsschirm aufgesetzt. Der unter Beteiligung der Pflegeverbände erstellte Fragenkatalog für die Erstattungsregelungen wird bis heute fortgeschrieben. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) verfasste und beschloss auch wg. Forderungen der Pflegeverbände Sonderregelungen im Leistungsgeschehen des SGB V, MDK-Begutachtungen und -Prüfungen wurden geändert bzw. ausgesetzt. Dies alles eröffnete Pflegeeinrichtungen Spielräume und schuf bei bürokratischen Vorgängen Entlastung.
 

PHASE 3: Prämie für Pflegekräfte & Erste Teststrategie.

Eine Corona-Prämie für Beschäftigte in der Langzeitpflege wurde auf die Schiene gesetzt. Sie mündete für die Träger in einem erheblichen bürokratischen Aufwand und in diversen Unsicherheiten auch in Bezug auf die Grenzbereiche zur Eingliederungshilfe usw. Ein unter maßgeblicher Initiative der Pflegeverbände fortgeschriebener FAQ-Katalog versuchte, die wesentlichen Praxisprobleme zu lösen. Außerdem wurde eine Teststrategie verabschiedet, die den örtlichen Gesundheitsdienst als verordnenden Akteur in den Mittelpunkt der Tests vor Ort stellte. Zum Sommerbeginn war dann glücklicherweise klar, dass eine flächendeckende Katastrophe ausgeblieben ist, aber verglichen mit der gesamten Mortalitätsrate zeigte sich, dass diese in Pflegeheimen sehr hoch war.

PHASE 4: Alltag mit Corona (light)?

Mit der Rücknahme von Beschränkungen in der beginnenden Sommerzeit stellte sich die Frage, wie ein Alltag mit Corona aussehen kann? Das Thema Besuchsregelungen in Pflegeheimen kam mehr und mehr auf die Agenda und damit die politische Vorgabe, dass es keine Besuchsverbote mehr geben darf. Später hat der Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, Sts. Andreas Westerfellhaus, dazu eine Vielzahl von bewährten Besuchskonzepten von den Pflegeverbänden erhalten und diese auswerten und zum Jahresende veröffentlichen lassen. In die Fragestellung, wie ein Leben mit Corona aussehen kann, reihte sich auch die Diskussion um Luftfilteranlagen ein – deren Finanzierung für Pflegeeinrichtungen längste Zeit ungeklärt war und im Prinzip heute auch nicht zufriedenstellend gelöst ist.

Dieser Hoffnungsträger ist weitestgehend erloschen. Für Diskussion sowohl in der Praxis als auch auf Verbändeebene sorgte zudem der im Sommer zur Veröffentlichung beabsichtigte Arbeitsschutzstandard der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW). Dieser empfiehlt - verkürzt gesagt - Pflegekräften bei körpernahen Tätigkeiten das Tragen von FFP-2-Masken (zu diesem Zeitpunkt noch immer keine Massenware). Die Thematik wurde umfassend bearbeitet und auf der Ebene der Gefährdungsbeurteilung relativiert. Zum Jahresende 2020 musste aufgrund der Fallzahlen das Tragen der Spezialmasken allerdings Standard werden.

PHASE 5: Schnelltest, erneute Lockdowns & Impfstart.

Auf Drängen der Pflegeverbände wurde eine Verlängerung des Pflege-Rettungsschirms bis zum Jahresende 2020 beschlossen und dieser schließlich nochmals bis 31.03.2021 verlängert. Gleiches gilt für die Reaktivierung aller Sonderregelungen im SGB V und SGB XI, die im Sommer wieder zurückgenommen worden waren. Die Aufschiebung des Starts der Erhebung der Qualitätsindikatoren im stationären Bereich konnte ebenfalls durchgesetzt werden. Mit der überarbeiteten TestV zum Einsatz der Schnelltests Mitte Oktober 2020 überschlugen sich dann abermals die Ereignisse. Alle vorangegangenen Maßnahmen waren ohnehin immer unter Zeitdruck entstanden und auf den Weg gebracht worden.

Der Paritätische hatte bereits im Frühjahr eine verbesserte Teststrategie gefordert und mehr Unabhängigkeit der Einrichtungen vom öffentlichen Gesundheitsdienst. Das neuartige Schnelltests so kurz vor der Zulassung stehen, ist vom BMG im Spätsommer, als noch Zeit war alle Vorbereitungen zu treffen und die Verfahren für und in den Einrichtungen abzustimmen, nicht rechtzeitig kommuniziert worden. Im Ergebnis gab es enorme Anlaufschwierigkeiten. Es hat die Pflegeverbände viel Mühe und Zeit gekostet im Nachhinein die Regelungen mit dem BMG und den Kostenträgern einigermaßen praxisgerecht zu gestalten und die Refinanzierung der Durchführungskosten zu klären – die im Übrigen gar nicht vorgesehen waren. Auch waren die Tests ab Mitte Oktober noch gar nicht in den benötigten Mengen verfügbar.

Gänzlich verkannt wurde von der Politik der enorme und personell kaum realisierbare Aufwand. All dies hätte besser vorbereitet werden müssen, stattdessen wurden große Erwartungen geweckt, die auch im Zusammenhang damit standen, dass selbst bei hohen Fallzahlen weiterhin Besuche möglich sein müssen. Zwischenzeitlich wurde aus dem Lockdown light im Dezember 2020 ein härterer Lockdown und für die Pflegeeinrichtungen, von denen nun 25 % von Coronafällen betroffen waren, wurde eine generelle Testverpflichtung eingeführt. In einem Brandbrief an Bundesgesundheitsminister Jens Spahn forderte der Paritätische vor Weihnachten externe personelle Unterstützung. In ähnlicher Weise überschlugen sich die Ereignisse mit der Impfverordnung, die kurz vor den Feiertagen in Kraft trat und schließlich mit dem Beginn der Corona-Impfungen in vollstationären Pflegeeinrichtungen zwischen Weihnachten und Silvester. Seit dem Spätsommer hatten die Pflegeverbände das BMG darum gebeten, frühzeitig Muster für Aufklärung usw. zur Verfügung zu stellen und die Verfahren zu klären. Das hat nicht geklappt. Schlussendlich wurde unmittelbar vor Weihnachten par ordre du mufti den Pflegeeinrichtungen eine erhebliche Mitwirkung bei der Umsetzung aufgebürdet. Dieses Finale in 2020 wird wohl keiner so schnell vergessen – wir sind den Mitarbeiter*innen in Pflegeeinrichtungen was schuldig.

Der Text erschien zuerst in der aktuellen Ausgabe unseres Verbandsmagazins "Der Paritätische".

Autor:
Thorsten Mittag ist Referent für Altenhilfe und Pflege/Rechtliche Betreuung beim Paritätischen Gesamtverband.

Dieser Beitrag erschien zuerst als Blogbeitrag auf der Website www.der-paritaetische.de