Zum Hauptinhalt springen

Weniger Jobs im digitalen Arbeitsmarkt?

Wie sieht er aus, der Arbeitsmarkt der Zukunft? Wird die Digitalisierung neue Arbeitsplätze bringen oder eher vernichten? Tina Hofmann, Referentin für Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, untersucht aktuelle Studien und gibt Antworten.

Nach Medienberichten sieht die Zukunft des digitalen Arbeitsmarktes recht düster aus. Mit der Schlagzeile „Fast jeder fünfte Job in Gefahr“ hat es im Frühjahr eine Studie der OECD zu dem Thema in den Tagesspiegel geschafft. Schon bis zum Jahr 2030 könnten potenziell 25 Prozent der Arbeitsplätze wegfallen. Ein weiterer großer Anteil bestehender Jobs würde sich durch digitale Technik massiv verändern. Auch das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (IAB) hebt in seinen Publikationen regelmäßig hervor, dass sich „durch die Digitalisierung wirtschaftliche Strukturen abrupt und radikal ändern können“.

Laut IAB hat sich der Anteil der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, die in einem Beruf mit hohem Substituierungspotenzial – der Ersetzbarkeit menschlicher Arbeitskraft durch Computer – arbeitet, in kurzer Zeit auf 25 Prozent erhöht. Demnach könnte jede*r vierte Beschäftigte in Deutschland in den kommenden Jahren von Automatisierung betroffen sein und sich beruflich neu orientieren müssen. Das Institut hat in jüngerer Zeit auch Studien vorgelegt, um die Auswirkungen der Digitalisierung auf regionaler Ebene zu verdeutlichen. So werden nach einer gemeinsamen Studie des Bundesinstituts für Berufliche Bildung und des IAB große Jobumwälzungen für Nordrhein-Westfalen prognostiziert. Bis 2035 könnten in dem Bundesland rund 290.000 Stellen ab- und aufgebaut werden. Von den genannten Studien geht das gemeinsame Warnsignal aus: Den Arbeitsmarkt könnte die Digitalisierung wie eine „Flutwelle“ treffen.

Die Studien beruhen auf Schätzungen zur Substituierbarkeit menschlicher Arbeit, bei denen Berufsbilder zunächst abstrakt in einzelne Tätigkeiten zerlegt werden und dann kalkuliert wird, inwiefern die Möglichkeit zur Ersetzung dieser Tätigkeiten durch Computer besteht. Mit diesen Berechnungen hat man es mittlerweile ziemlich weit getrieben und viel öffentliche und politische Aufmerksamkeit. Mehr noch: Der entsprechende „Job-Futuromat“ macht die Berechnungen in einem Online-Tool für alle nutzbar und wird in der Berufsberatung der Bundesagentur für Arbeit eingesetzt.

Nicht das Kleingedruckte übersehen

Aktuelle Initiativen und Gesetzgebung, wie z.B. zum Qualifizierungschancengesetz, berufen sich unmittelbar auf die genannten Forschungsarbeiten. Dabei werden einschränkende Hinweise im Kleingedruckten leicht übersehen. Wichtig ist etwa die in den Studien enthaltende Anmerkung, dass sie (lediglich) Potenziale bzw. Möglichkeiten der Substituierbarkeit beschreiben, diese aber in der Realität bei weitem nicht ausgeschöpft werden müssen. Das IAB weist etwa darauf hin, dass Roboter bzw. Automatisierung eher nicht an die Stelle von menschlicher Arbeitskraft treten werden, wenn die menschliche Arbeit wirtschaftlicher, flexibler oder von besserer Qualität ist. „Darüber hinaus können einer Automatisierung auch rechtliche oder ethische Hürden entgegenstehen“, so die Forscher.

Und es gibt berechtigte Gründe, noch größere Fragezeichen an die Aussagekraft dieser Studien zu setzen. Das zeigte ein Beitrag von Frau Prof. Dr. Sabine Pfeiffer (Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg) bei der Paritätischen Tagung „Mit dabei in der digitalen Arbeitswelt“. Prof. Dr. Pfeiffer ging darauf ein, dass die Studien am theoretischen Reißbrett entworfen wurden und deshalb an vielen Stellen nicht mit der betrieblichen Wirklichkeit übereinstimmen. So ist etwa in der industriellen Backwarenherstellung der Automatisierungsgrad bereits heute so hoch, dass in Zukunft kaum menschliche Arbeitskraft ersetzt werden kann.

Die traditionelle Handarbeit im Bäckereihandwerk hat auch in absehbarer Zukunft eine Perspektive. Chemie- und Elektroberufe gelten nach den genannten Studien typischerweise als gefährdet, weil wesentliche Tätigkeiten dieser Berufe durch Computer oder Roboter ersetzt werden könnten. Genauere Arbeitsplatzanalysen, z. B. bei Chemikanten, zeigen jedoch, dass das komplexe Know-how und das notwendige Erfahrungswissen der Mitarbeiter* innen bei der Steuerung industrieller Anlagen unterschätzt werden und deshalb zu leichtfertig von einer Ersetzbarkeit menschlicher Arbeitskraft ausgegangen wird.

Jobs werden sich wandeln, nicht wegfallen

Auch die Pflegeberufe sind bei näherem Hinsehen bereits in hohem Maße digitalisiert. Pflegekräfte bringen relativ viel Arbeitszeit für Dokumentationsarbeiten am Computer auf. Trotz weiterer Digitalisierungspotenziale (etwa im Bereich der Robotik) gilt der Pflegeberuf unbestritten als Mangelberuf mit ungedecktem Fachkräftebedarf. Alternative Studien, die exemplarisch einen tieferen Blick in die betriebliche Praxis ermöglichen, legen eher nahe, dass die großen Umwälzungen am Arbeitsmarkt infolge der Digitalisierung ausbleiben werden. Vor allem in den klein- und mittelständischen Unternehmen finden Veränderungen in kleinen Schritten statt. Jobs werden sich demnach eher wandeln als wegfallen.

Doch der technische Wandel ist gestaltungsbedürftig, so der deutliche Hinweis von Frau Prof. Dr. Pfeiffer. Ob neue Technologien zukünftig helfen werden, altersgerechte Arbeitsplätze auszustatten, die Einarbeitung gering qualifizierter Arbeitnehmer*innen zu erleichtern oder das Lernen am Arbeitsplatz zu unterstützen, haben wir (noch) in der Hand.

Autorin:

Tina Hofmann

Dieser Beitrag erschien zuerst als Blogbeitrag auf der Website www.der-paritaetische.de