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Zusammenhalt in der Gesellschaft stärken

Gesellschaftlicher Zusammenhalt: das, klingt erst mal abstrakt, ist bei genauem Hinsehen aber etwas sehr Konkretes, mit konkreten Ursachen und konkreten Folgen für unser Zusammenleben. Prof. Dr. Rolf Rosenbrock beschreibt in seinem Blogbeitrag, warum es sich lohnt, in das Soziale zu investieren.

Gesellschaften mit besserem sozialen Zusammenhalt sind freundlicher, friedlicher und produktiver. Sie sind offener für Innovationen und neue Herausforderungen und bewältigen diese auch besser. Auch sind die Menschen in Gesellschaften mit gutem sozialen Zusammenhalt im Durchschnitt gesünder und leben länger. Das bestätigen zahlreiche empirische Studien.

Der soziale Zusammenhalt prägt wesentlich das Verhalten – vom Wahlverhalten bis hin zum Straßenverkehr. Die Stärke des sozialen Zusammenhalts hängt von drei sozialen und wirtschaftlichen Faktoren ab:

  • Partizipationsmöglichkeiten am gesellschaftlichen Wohlstand und am soziokulturellen Leben;
  • gleichwertige Lebensverhältnissen durch Bereitstellung sozialer Infrastruktur;
  • Gewährleistung subjektiver Rechte zur Sicherung bzw. Ermöglichung von Teilhabe und sozialer Integration.

In einer vorwiegend gewinnwirtschaftlich orientierten Erwerbsgesellschaft wie Deutschland ist es faktisch in erster Linie der Markt, der über Partizipationsmöglichkeiten, Teilhabe und soziale Integration entscheiden.

Ungelöste soziale Probleme

Die wirtschaftliche Entwicklung im vergangenen Jahr war positiv. Im Jahresdurchschnitt 2018 waren 44,8 Millionen Menschen in Deutschland erwerbstätig – der höchste Stand nach der Wiedervereinigung. Die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse nahm zu, die Armut – wenn auch nur geringfügig – ab. Es gibt aber weiterhin schwerwiegende und ungelöste soziale Probleme, die das Bild einer insgesamt guten gesamtwirtschaftlichen Lage trüben:

Das Vermögen in Deutschland ist weiterhin sehr ungleichmäßig verteilt. Eine solche Spreizung und die immer tiefer werdende Kluft zwischen Arm und Reich gefährdet den sozialen Zusammenhalt massiv. Auch die gute Beschäftigungsentwicklung kann nicht über die tiefen Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt hinwegtäuschen: Deutschland verfügt über einen riesigen Niedriglohnsektor, der nicht nur direkt den gesellschaftlichen Zusammenhalt schwächt, sondern auch dazu führt, dass im vergangenen Jahr etwa 1,1 Millionen arbeitende Menschen mit Grundsicherungsleistungen „aufstocken“ mussten. Auch die Zahl der atypischen Beschäftigungsverhältnisse stagniert auf hohem Niveau.

Defizite in der Infrastruktur

Schließlich haben wir es noch mit massiven Defiziten in der Infrastruktur zu tun. Von einer „Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse“, wie sie das Grundgesetz fordert, sind wir sternenweit entfernt. Statt kurzer Wege für ein gutes Leben für alle überall, fehlt es in vielen Regionen an adäquater Infrastruktur. Ob Kita-Ausbau, Schulen, Verkehr und Mobilität oder soziale Dienstleitungen: Vielerorts fehlt es an Geld für dringende Investitionen.

Aufgabe des Sozialstaates ist es, durch solidarische, sozial gerechte Umverteilung für einen Ausgleich zu sorgen. Tatsache aber ist: Die bestehenden sozialen Sicherungssysteme erodieren und verlieren zunehmend ihre Funktionsfähigkeit. Die sozialpolitischen Maßnahmen der Bundesregierung greifen zu kurz und erreichen in vielen Fällen nur einen Bruchteil der betroffenen Menschen.

Was wir brauchen ist eine neue Sicherheitspolitik, verstanden als Politik für soziale Sicherheit und Zusammenhalt. Neben dem Ausbau der sozialen Infrastruktur in der Fläche ist die Stärkung individueller sozialer Rechte ein wesentlicher Beitrag dazu.

Vorrang der Gemeinnützigkeit

Aber auch die Bedeutung der Gemeinnützigkeit darf dabei nicht vergessen werden. Es gibt Bereiche, in denen haben Profitinteressen nichts verloren. In der Stärkung der Gemeinnützigkeit liegt ein Schlüssel dazu, den sozialen Zusammenhalt zu stärken. Bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen, bei der Förderung der sozialen Infrastruktur und bei der Umsetzung der lokalen Sozialplanung, überall sollte bei ansonsten gleich leistungsfähigen Akteuren ein Vorrang für gemeinnützige Dienste und Einrichtungen formuliert werden. Aktuell zeigt das Beispiel der Wohnungspolitik, dass wir eine neue Subsidiarität brauchen: Was gemeinnützige und zivilgesellschaftliche Organisationen selbstorganisiert und ohne Gewinnausschüttungen schaffen können, dass muss wieder Vorrang vor privaten Renditeinteressen oder staatlicher Regulierung bekommen. Ein Vorrang für gemeinnützige Dienste hilft dabei auch, die überfällige ökologische Wende umzusetzen und unser Wirtschaften nachhaltig zu gestalten.

Sozialleistungen oder Rechtsansprüche einerseits und andererseits die notwendige Infrastruktur, um diese auch einlösen zu können, sind beide notwendig, um die elementaren Bedarfe der Menschen zu sichern. Und beides kostet Geld. Ohne eine steuerpolitische Kehrtwende, die große Vermögen und sehr hohe Einkommen und Erbschaften stärker als bisher zur solidarischen Finanzierung unseres Sozialstaats heranzieht, kommen wir nicht weit. Deshalb ist die vieldiskutierte Wiedereinführung einer Vermögensteuer allenfalls ein erster Schritt hin zu einer umfassenderen Steuerpolitik gegen soziale Ungleichheit und für einen neuen Zusammenhalt.

Eine ausführliche Analyse, wie es um die soziale Lage und den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland steht, finden Sie in unserem aktuellen Jahresgutachten.

Autor:

Prof. Dr. Rolf Rosenbrock

Dieser Beitrag erschien zuerst als Blogbeitrag auf der Website www.der-paritaetische.de