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Breites Verbändebündnis fordert: Kinderrechte ins Grundgesetz – aber richtig!

Einen Tag vor dem Auftakt des parlamentarischen Verfahrens veröffentlicht ein breites Verbändebündnis – initiiert vom Aktionsbündnis Kinderrechte – einen Appell, der die Kritik am vorliegenden Formulierungsvorschlag zur Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz verdeutlicht. Die Verbände, darunter auch das Deutsche Kinderhilfswerk, fordern die Bundestagsfraktionen sowie die Bundesländer auf, sich bis zur Sommerpause auf ein Gesetz zu einigen, das den Ansprüchen der UN-Kinderrechtskonvention gerecht wird. Sie erwarten eine zügige Einigung unter Einbezug der Zivilgesellschaft einschließlich von Kindern und Jugendlichen, die diesen Eckpunkten Rechnung trägt. Denn Kinderrechte gehören ins Grundgesetz - aber richtig! Ein Gastbeitrag des Deutschen Kinderhilfswerkes.

Fast 30 Jahre nach Inkrafttreten der UN-Kinderrechtskonvention (UN-KRK) in Deutschland am 5. April 1992 ist es höchste Zeit für die Aufnahme der Kinderrechte in das deutsche Grundgesetz. Die UN-KRK ist in Deutschland geltendes Recht, doch steht sie als völkerrechtlicher Vertrag – so wie ein einfaches Bundesgesetz – unter dem Grundgesetz (GG). Das Grundgesetz selbst, als leitendes, über allen Rechtsnormen stehendes Gesetz, berücksichtigt die Kinderrechte bisher aber nur unzureichend. Kinder werden dort zwar im Rahmen von Artikel 6 erwähnt, jedoch nur als Erziehungsobjekt der Eltern und nicht als eigenständige Träger von Rechten. Spezifische Kinderrechte müssen bisher erst kompliziert durch eine völkerrechtsfreundliche Auslegung des Grundgesetzes hergeleitet werden. Zu Recht hat der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes die Tendenz von Staaten kritisiert, die Kinderrechte zu übersehen, wenn sie nicht besonders erwähnt werden. Daher rät er den Staaten, sie explizit in Gesetzen und insbesondere in der Verfassung zu verankern.

Natürlich gelten die allgemeinen Grundrechte auch für Kinder. Doch dieselben Gründe, die die Staatengemeinschaft dazu veranlassten, eine eigene Konvention für Kinder zu verabschieden, obwohl es bereits internationale menschenrechtliche Verträge gab, sprechen auch dafür besondere Rechte für Kinder in der Verfassung zu verankern. Im Gegensatz zu Erwachsenen können Kinder ihre Rechte nicht selbst einfordern und verteidigen und sind bei der Umsetzung ihrer Grundrechte auf den besonderen Schutz, die Förderung und die Beteiligung durch die Gesellschaft angewiesen.

Wir beobachten zudem mit Hinblick auf die Kinderrechte ein wesentliches Umsetzungsdefizit in Gesetzgebung, Verwaltungspraxis und Rechtsprechung. Alle Staatsgewalt ist gemäß Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 1 Abs. 3 GG an die Grundrechte gebunden und ist damit auch bereits verpflichtet, die implizit herleitbaren Kindergrundrechte zu berücksichtigen. Besonders in der Gerichts- und Verwaltungspraxis werden Kindesinteressen und Beteiligungsrechte jedoch oft übersehen. Eine Verankerung im Grundgesetz würde nicht nur den Bekanntheitsgrad der Kinderrechte erhöhen, sondern auch dazu führen, dass Kindesinteressen bei allen politischen und rechtlichen Entscheidungen mitgedacht werden müssen.

Die Covid-19-Pandemie uns allen zuletzt deutlich gezeigt, was passiert, wenn die Rechte von Kindern und Jugendlichen hintenanstehen. So gehören insbesondere Kinder und Jugendliche zu den Leidtragenden der Krise: eine sich öffnende Bildungsschere, eine teilweise drastische Verschlechterung der finanziellen und sozialen Lage von armutsbetroffenen Kindern, zunehmende Stresssituationen in Familien, ein Anstieg von psychischen Problemen und Depressionen bei Jugendlichen – viele Langzeitfolgen für Kinder und Jugendliche sind noch gar nicht absehbar. Klar ist jedoch, dass das in der UN-KRK verankerte Recht auf Beteiligung und auf Gehör in der Krise zu großen Teilen übergangen worden ist.

Umso wichtiger ist es das Augenmerk auf unsere Verfassung zu lenken, die als höchstes Gesetz in der Normenhierarchie auf alle anderen Gesetze ausstrahlt. Und wo stehen wir hier?

Nach jahrelangen Diskussionen hat die Bundesregierung sich nun auf einen Gesetzentwurf geeinigt und somit den Weg für das parlamentarische Verfahren bereitet. Allerdings ist die gefundene Formulierung eine herbe Enttäuschung aus Sicht der Zivilgesellschaft, da sie keine effektive Stärkung der Kinderrechte bedeutet.

Eine Grundgesetzänderung muss zu einer Verbesserung der Rechtsposition von Kindern in Deutschland beitragen. Sie darf in keinem Fall hinter die UN-KRK, Art. 24 der Europäischen Grundrechtecharta und die geltende Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zurückfallen, die spezifische Kinderrechte gegenüber dem Staat anerkennt. Dabei kommt es auf die Aufnahme von ausdrücklichen Kinderrechten in das Grundgesetz in einem eigenen Absatz an, da diese dem Kind bei allem staatlichen Handeln unabhängig zustehen. Die Aufnahme der Kindergrundrechte inmitten der Elternrechte und des Wächteramts widerspricht daher dem Zweck der Kindergrundrechte und führt dazu, dass sich diese in unangemessener Weise gegen die Eltern richten, was keineswegs die Intention der bisherigen impliziten Kindergrundrechte ist.

Aber auch mit Hinblick auf den konkreten Wortlaut ist der vorgelegte Vorschlag keine Verbesserung für die Gewährleistung und Umsetzung der Kinderrechte. So wird insbesondere die elementare Verankerung des Kindeswohlvorrangs im Sinne des Art. 3 Abs. 1 UN-KRK weitestgehend abgeschwächt, sodass juristisch von einer Leerformel ausgegangen werden kann. Der Anspruch auf rechtliches Gehör, wie er im Gesetzentwurf zu finden ist, wird nicht dem umfassenden Beteiligungsrecht eines Kindes oder einer Gruppe von Kindern in allen Angelegenheiten, die es bzw. sie betreffen, gerecht. Auch die in menschenrechtlichen Verträgen übliche Formulierung für staatliches Handeln „Achtung, Schutz und Förderung“ ist nicht vollständig übernommen. Dies ist umso schwerwiegender, als dass der Aspekt der „Förderung“ für Kinder und Jugendliche ein besonderes Gewicht enthält und auf positive Maßnahmen des Staates zur Rechtsverwirklichung abstellt.

Die Verbände, darunter auch das Deutsche Kinderhilfswerk, fordern die Bundestagsfraktionen sowie die Bundesländer in ihrem gemeinsamen Appell explizit auf, sich bis zur Sommerpause auf ein Gesetz zu einigen, das den Ansprüchen der UN-Kinderrechtskonvention gerecht wird. Und dies im besten Fall unter Einbezug der Zivilgesellschaft einschließlich von Kindern und Jugendlichen selbst. Denn Kinderrechte gehören ins Grundgesetz - aber richtig!

Weiterführende Informationen:

Autorinnen:
Linda Zaiane, Leiterin Koordinierungsstelle Kinderrechte beim Deutsches Kinderhilfswerk e.V.
Nina Ohlmeier, Abteilungsleiterin Politische Kommunikation beim Deutsches Kinderhilfswerk e.V.

Dieser Beitrag erschien zuerst als Blogbeitrag auf der Website www.der-paritaetische.de