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Bundestag beschließt „Pflegereform“ im Rahmen des Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz – GVWG

Am Freitag, den 11. Juni 2021 ist das Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung (Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz – GVWG) im Bundestag in 2./3. Lesung beschlossen worden und damit die Änderungsanträge zu pflegerelevanten Gesetzesänderungen. Diese wurden zuvor am 07. Juni 2021 eilig in einer eigens neu angesetzten Anhörung des Ausschusses für Gesundheit im Bundestag behandelt, blieben dann aber im Gesetzesentwurf inhaltlich weitegehend unverändert. Das Gesetz tritt in großen Teilen ab 01. Januar 2022 in Kraft. Die Vorgaben zur Tarifbindung ab 01.09.2022, wobei vorher schon Fristen für Umsetzungsschritte eingezogen werden.

Der Paritätische hat die Änderungsanträge mit beigefügter Stellungnahme umfassend bewertet. Besondere Kritik übt der Verband an den Vorschlägen zur Finanzierung der Pflege. Es fehlt nach wie vor eine wirksame Regelung zur Deckelung der Eigenanteile bei den Pflegekosten, die alle Betroffenen wirklich entlastet. Der Gesetzesbeschluss sieht weder eine angemessene Begrenzung, noch eine echte Deckelung der Eigenanteile bei den Pflegekosten vor. Stattdessen ist lediglich ein Zuschuss in der vollstationären Pflege vorgesehen, der nun zwar nach langem Ringen für alle Pflegeheimbewohner*innen ab dem ersten Tag in Höhe von ganzen 5 % im ersten Jahr gelten soll. Angesichts der selbst vom BMG angegebenen Steigerung der Eigenanteile von 130 € oder die vom BMAS postulierten 300 €, die aufgrund der neuen Tarifregelungen erwartet werden, bleibt dieser durchschnittliche Zuschuss von rd. 40 € im ersten Jahr sprichwörtlich der Tropfen auf den heißen Stein. Für den ambulanten Bereich werden zwar die Leistungen einmalig um 5 % dynamisiert, aber auch das wird bei weitem nicht ausreichen. Hinsichtlich der Begrenzung der Eigenanteile wird dieser Bereich vollkommen abgehängt.  

Auch der Kompromiss zur Entlohnung von Pflegekräften fällt weit hinter die Ankündigungen zurück. Die tariflichen Regelungen wirken kraftlos und kompliziert. Im Unterschied zum ursprünglich von Arbeitsminister Hubertus Heil angestrebten Modell eines einheitlichen Mindesttarifs für die Pflege wird mit den aktuellen Vorschlägen voraussichtlich ein Flickenteppich im System der Entlohnung entstehen.

Die Finanzierung der in Fachkreisen genannten „kleinen Pflegereform“ oder „Hintertürreform“ ist augenscheinlich nicht gesichert. Schätzungsweise entstehen Kosten von 2,5 - 2,8 Mrd. €, Experten meinen sogar 3 Mrd. denen tatsächlich mit dem Steuerzuschuss und der Anhebung der Beitragssätze für Kinderlose nur 1,4 Mrd. € gegenüberstehen. Die Pflegekassen haben auch keine nennenswerten Rücklagen mehr. Daher setzt die Bundesregierung die Dynamisierung der Leistungsbeträge bis zum Jahre 2025 aus. Ohne eine tiefgreifende Finanzierungsreform der Pflegeversicherung, mit der auch die beitragspflichtigen Einnahmen auf eine breitere Grundlage gestellt werden, bspw. mit einer Bürgerversicherung, sind ansonsten in der ohnehin schwierigen Lage in den kommenden Jahren ausschließlich Spargesetze in der Pflege zu erwarten, mit denen die Pflegesituation sicherlich nicht verbessert werden kann.

Ein in den kurzen aber intensiven Diskussionen zu den Reformpunkten und in der öffentlichen Wahrnehmung weniger beachteter Baustein ist die Einführung eines neuen § 113c SGB XI zur Umsetzung des Personalbemessungsverfahrens in der Pflege. Der Stellenwert des Themas geht gegenüber dem Tarifthema und der Zuschüsse zu den Eigenanteilen unter, sollte aber in seiner Bedeutung auf einer Stufe stehen. Eine hinreichende Begrenzung der Eigenanteile ist für die Umsetzung des Vorhabens immanent – fehlt aber. Die durchaus anerkennenswerten Bemühungen, dieses schwierige Thema im Sinne der Road Map der Konzertierten Aktion Pflege umzusetzen, hat das Problem, dass eine vom Ende her gedachte Sichtweise fehlt. Es wird in einem ersten Schritt ein Stück der Verbesserungen optional umgesetzt (in diesem Fall 40 % gegenüber der so genannten bereinigten, bundesdurchschnittlichen Ist-Stellenschlüssel, die sich aus dem dazugehörigen Projekt ergeben haben), aber es bleibt offen, wie hoch das Ziel ist. Es wird auch keine Tendenz vorgegeben. Das schafft mindestens zwei Probleme: 1. Dieser Verbesserungsschritt liegt in einigen Ländern unterhalb geltender Personalschlüssel, wobei dort ein Stellenabbau befürchtet wird. 2. bleibt die Umsetzung dieser 40 % in allen anderen Ländern, die darunter liegen, zu sehr im Belieben.          

Ausgewählte Änderungen im Einzelnen:

Änderungen des SGB XI:

§ 7b SGB XI: Verdeutlichung der Beratungspflichten der Pflegekassen, Beratungspflicht auch bei erstmaliger Beantragung von Kostenerstattungsansprüchen
Die Ergänzungen in § 7b Absatz 1 SGB XI dienen zum einen der Aufnahme von noch nicht unter die Beratungsanlässe fallenden Leistungstatbestände des Wohngruppenzuschlags, von Pflegehilfsmitteln, Zuschüssen zur Verbesserung des Wohnumfelds und der neuen Digitalen Pflegeanwendungen, was sehr zu begrüßen ist. Die Pflegekassen müssen auch bei der Beantragung von Verhinderungspflege, von Unterstützungsangeboten im Alltag oder der Umwandlungsleistung auf die Möglichkeit eines individuellen Versorgungsplans nach § 7a hinweisen.

§ 8 Absatz 7 SGB XI: Erweiterung der Tatbestände zur Förderung der Vereinbarkeit von Pflege, Familie und Beruf in den Pflegeeinrichtungen
Die Fördertatbestände des § 8 Absatz 7 SGB XI werden in den Ziffern 2 und 3 des Satzes 2 um die Entwicklung von Konzepten für mitarbeiterorientierte und lebens-phasengerechte Arbeitszeitmodelle und um Konzepte zur Rückgewinnung von Pflegekräften erweitert. Beides sind Ziele der KAP. Leider wird die Förderung nicht erhöht.

§ 35 SGB XI: Erlöschen der Leistungsansprüche Kostenerstattungsansprüche nach Tod des Pflegebedürftigen
Mit der Neuregelung wird erreicht, dass auch Kostenerstattungsansprüche nach dem SGB XI, wie z.B. bei Inanspruchnahme von Verhinderungspflege nach § 39 SGB XI oder den Unterstützungsangeboten im Alltag nach den §§ 45a und b SGB XI auch nach dem Tod des Versicherten nicht erlöschen, wenn sie innerhalb von zwölf Monaten geltend gemacht werden. Damit wird eine Gesetzeslücke geschlossen, denn Versicherte gehen im Rahmen von Leistungen, die nur im Wege der Kostenerstattung in Anspruch genommen werden können, in Vorleistung.

§ 36 SGB XI: Anhebung der Leistungsbeträge für ambulante Pflegesachleistungen
Die Leistungsbeträge für die ambulanten Pflegesachleistungen werden zum 01.01.2022 um 5 % angehoben:

Pflegegrad 2 von 689 Euro auf 724 Euro
Pflegegrad 3 von 1.298 Euro auf 1.363 Euro
Pflegegrad 4 von 1.612 Euro auf 1.693 Euro
Pflegegrad 5 von 1.995 Euro auf 2.095 Euro

Hier stellt sich vordergründig die Frage, warum sich die 5 % Anhebung ausweislich der im Gesetz vorgetragenen Begründung zur tariflichen Orientierung nicht auf alle Pflegesachleistungen bezieht. Insbesondere die Leistungen der Tagespflege nach § 41 SGB XI und auch auf die Verhinderungspflege nach § 39 SGB XI fallen hier durchs Raster.

§ 40 SGB XI: Empfehlung von Pflegehilfsmittel durch Pflegefachkräfte
Pflegefachkräfte können im Rahmen ihrer Leistungserbringung nach § 36, nach den §§ 37 und 37c des Fünften Buches sowie der Beratungseinsätze nach § 37 Absatz 3 konkrete Empfehlungen zur Hilfsmittel- und Pflegehilfsmittelversorgung abgeben.
Dazu bedarf es Richtlinien, die noch vom Spitzenverband Bund der Krankenkassen bis zum 31.12.2021 zu erlassen sind. In diesen Richtlinien werden auch die Eignung der Pflegefachkräfte und Verfahrensfragen festgelegt (§ 40 Absatz 6 SGB XI). Die Bearbeitungsfrist für Anträge für Pflegehilfsmittel durch die Pflegekasse wird auf 3 Wochen festgelegt (§ 40 Absatz 7 SGB XI).

§ 42 SGB XI: Leistung für die Kurzzeitpflege wird erhöht
Der Leistungsbetrag für die Kurzzeitpflege wird um 10 % von 1.612 Euro pro Kalenderjahr auf 1.774 Euro erhöht. Falls Mittel der Verhinderungspflege nicht verbraucht sind, kann dieser Betrag auf 3.386 Euro erhöht werden (§ 42 Abs. 2 SGB XI). Bislang waren die Leistungsbeträge der Pflegeversicherung für die Verhinderungspflege nach § 39 und die Kurzzeitpflege nach § 42 SGB XI identisch.

§ 43c SGB XI: Begrenzung des pflegebedingten Eigenanteils in der vollstationären Pflege
Mit den Änderungen des § 43c soll ab dem 1. Januar 2022 eine Zuschussregelung für pflegebedingte Eigenanteile eingeführt werden. Je länger eine pflegebedürftige Person in einem Pflegeheim lebt, desto geringer soll sein pflegebedingter Eigenanteil in der stationären Langzeitpflege sein. Demnach erhalten Pflegebedürftige mit Pflegegrad 2-5, ab dem Beginn der Versorgung einen Leistungszuschlag in Höhe von 5 Prozent und Pflegebedürftige die seit mehr als 12 Monaten vollstationäre Leistungen beziehen, künftig einen Leistungszuschlag in Höhe von 25 Prozent ihres zu zahlenden pflegebedingten Eigenanteils. Ab dem dritten Jahr in stationärer Langzeitpflege steigt dieser Zuschlag auf 45 Prozent und ab dem vierten Jahr dauerhaft auf 70 Prozent. Bereits vorhandene Versorgungszeiten sollen angerechnet werden. Angefangene Monate werden als voll angerechnet. Die Pflegeeinrichtung, die den Pflegebedürftigen versorgt, stellt der Pflegekasse des Pflegebedürftigen neben dem Leistungsbetrag den Leistungszuschlag in Rechnung und dem Pflegebedürftigen den verbleibenden Eigenanteil.

§ 45 Absatz 4 SGB XI: Antragsstellung bei Umwandlung des Sachleistungsbeitrages entfällt
Die Kostenerstattung bei der Inanspruchnahme von Betreuungsangeboten von nach Landesrecht anerkannten Diensten erfolgt gegen Vorlage entsprechender Belege. Ein vorheriger Antrag auf Umwandlung des ambulanten Sachleistungsbetrages (40 %) ist nicht notwendig. Mehrauszahlungen werden verrechnet.

§ 45c Absatz 1 und 9 SGB XI: Stärkung regionaler Netzwerke
Die finanziellen Mittel zur Förderung von regionalen Netzwerken zur Verbesserung der Versorgung pflegebedürftiger Personen werden erhöht. Diese vorgesehene Erhöhung der aus dem Ausgleichsfond zur Verfügung stehenden Mittel zur strukturierten Zusammenarbeit in regionalen Netzwerken auf 25 Millionen Euro je Kalenderjahr stärkt aus Sicht des Paritätischen das Wirken der Akteure vor Ort. Ferner werden. Die Änderungen in § 45c verfolgen das Ziel, bundesweit eine gleichmäßige Verteilung der Netzwerke zu ermöglichen. So wird geregelt, dass je Kreis oder kreisfreie Stadt zwei regionale Netzwerke und je Kreis oder kreisfreier Stadt ab 500.000 Einwohner und Einwohnerin bis zu vier regionale Netzwerke gefördert werden können. Der Förderbetrag pro Netzwerk darf dabei 25 000 Euro je Kalenderjahr nicht überschreiten.

§ 61a SGB XI: Beteiligung des Bundes an Aufwendungen
Der Bund leistet zur pauschalen Beteiligung an den Aufwendungen der sozialen Pflegeversicherung ab dem Jahr 2022 jährlich 1 Milliarde Euro. Die ist der Einstieg in eine anteilige Steuerfinanzierung.

§ 71 SGB XI: Fristverlängerung für Weiterbildungsmaßnahmen von verantwortlichen Fachkräften
Die im § 71 Abs. 3 Satz 7 genannte Frist wird vom 01.06.2021 auf den 01.01.2023 verlängert. Zur Erleichterung der Zulassungsvoraussetzungen soll damit die mit Einführung der Betreuungsdienste vorgesehene Übergangsfrist für leitende Fachkräfte von Betreuungsdiensten verlängert werden.

§§ 72 Abs. 3, 3a, b und c; § 82c; § 84 Abs. 7 SGB XI: Tarifliche Entlohnung (Konzertierte Aktion Pflege)
Gem. § 72 SGB XI wird die Tarifbindung bzw. Tariforientierung für Pflegeeinrichtungen ab dem 01.09.2022 zur Pflicht. Die Tarifbindung bzw. die Orientierung der Höhe der Entlohnung an entsprechenden Tarifverträgen nach § 72 Abs. 3a in fachlicher und regionaler Hinsicht ist künftig Voraussetzung zum Abschluss eines Versorgungsvertrages. Die Anpassung bestehender Verträge muss gem. § 72 Abs. 3b bis zum 31.08.2022 erfolgen. Prüfgrundsätze für die Einhaltung der Vorgaben werden erstellt. Der Spitzenverband Bund legt die Richtlinien, erstmals bis zum 30.09.2021 fest. Sie sind vom Bundesgesundheitsministerium zu genehmigen (§ 72 Abs. 3c). Es werden Mitteilungspflichten für Pflegeeinrichtungen zur Tarifanwendung bzw. Tariforientierung eingeführt. Pflegeeinrichtungen sind gem.  § 72 Abs. 3d zu entsprechenden Angaben gegenüber den Pflegekassen im Jahr 2022 bis zum 28.02.2022 verpflichtet. Die Mitteilung gilt, wenn die Pflegeeinrichtung nicht widerspricht, als Antrag zur Anpassung des Versorgungsvertrages mit Wirkung zum 01.09.2022. Bis zum 30.09. des jeweils laufenden Jahres sind gem. § 72 Abs. 3e den Pflegekassen Informationen zu Änderungen der Tarifverträge mitzuteilen.
Das Bundesministerium für Gesundheit evaluiert gem. § 72 Abs. 3f. unter Beteiligung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales bis zum 31. Dezember 2025 die Wirkungen der Regelungen zur Tarifbindung bzw. Tariforientierung. Die Entlohnung aufgrund bestehender Tarifverträge kann, wie nach der bisherigen Regelung, gem. § 82c Abs.1 nicht als unwirtschaftlich abgelehnt werden. Bei nichttarifgebundenen Einrichtungen kann gem. § 82c Abs. 2 die Entlohnung nicht als unwirtschaftlich abgelehnt werden, soweit sie das tarifgebundene regional übliche Entgeltniveau nicht mehr als 10% überschreitet. Der GKV-SV legt dazu gem. § 82c Abs. 4 bis zum 30.09.2021 Richtlinien fest. Der Träger der Einrichtung ist gem. § 84 Abs. 7 ab dem 1. September 2022 verpflichtet, die bei der Vereinbarung der Pflegesätze zugrunde gelegte Bezahlung der Gehälter nach § 82c Absatz 1 oder der Entlohnung nach § 82c Absatz 2 jederzeit einzuhalten und auf Verlangen einer Vertragspartei nachzuweisen. Die gesamte Konzeption entfernt sich nach unserer Auffassung von geltenden Grundsätzen und kann im Schlimmsten Falle einen Rückschritt gegenüber dem Status Quo bedeuten.

§ 88a SGB XI: Wirtschaftlich tragfähige Vergütung der Kurzzeitpflege
Auf der Bundesebene werden Rahmenempfehlungen für wirtschaftlich tragfähige Vergütung für Kurzzeitpflege von den Vereinbarungspartnern erstellt. Diese können Grundlage zur Anpassung der Rahmenverträge gem. § 75 SGB XI auf der Landesebene sein. Es ist positiv zu bewerten, dass der Gesetzgeber bis zur Anpassung der Landesrahmenverträge entsprechend der Bundesrahmenempfehlungen letztere für unmittelbar verbindlich erklärt. Der Änderungsantrag lässt allerdings offen, wie diese Verbindlichkeit hergestellt werden kann.

§ 89 SGB XI: Berücksichtigung für die Vergütung bei längerer Wegezeiten
Insbesondere im ländlichen Raum soll der Mehraufwand von längeren Wegezeiten in den Vergütungsvereinbarungen für ambulante Pflegedienste gem. § 89 Abs. 3 berücksichtigt werden.

§ 113 Absatz 1 SGB XI Vorgaben für Qualitätsgrundsätze (Maßstäbe und Grundsätze - MuGs)
Kurzeitpflege und der teilstationären Pflege werden als jeweils eigenständige Bereiche aufgenommen. Ferner werden in den MuGs Maßnahmen zur Qualitätssicherung in Krisensituationen aufgenommen. Für ambulante Dienste sollen in den Maßstäben und Grundsätzen nach § 113 SGB XI auch die einseitig festgelegten Qualifikationsanforderungen für Betreuungskräfte aus den Richtlinien nach § 112a SGB XI aufgenommen werden.

§ 113b Absatz 4a SGB XI i. V. mit § 114c Absatz 3 SGB XI: Weiterentwicklung der Qualität
Mit der Neueinführung des Absatzes 4a wird klargestellt, dass die Weiterentwicklung der Qualitätssysteme nach Absatz 4 Satz 2 Nummern 1 bis 3 zu den Aufgaben der Vertragsparteien nach § 113 SGB XI gehört und der Prozess wird entsprechend beschrieben. Die Evaluationsergebnisse nach § 113b Absatz 4 Satz 2 Nummer 5 (derzeit Indikatorensystem stationär) und die Berichte des Spitzenverbands Bund der Pflegekassen nach §114c Absatz 3 SGB XI sind zu berücksichtigen.

§ 113b Absatz 10 SGB XI: Klagemöglichkeit gegen Entscheidungen des Qualitätsausschuss Pflege
Es wird eine Klagemöglichkeit vor dem Sozialgericht gegen Entscheidungen des Qualitätsausschusses Pflege sowie gegen Maßnahmen des BMG eingeführt. Klagen sollen dabei keine aufschiebende Wirkung haben. Hierbei handelt es sich um eine Klarstellung der nach Artikel 19 Absatz Satz 1 bestehenden Rechtsweggarantie.

§ 113c SGB XI: Umsetzung des Personalbemessungsverfahrens (Konzertierte Aktion Pflege)
Im Großen und Ganzen orientiert sich die Umsetzung in § 113c SGB XI an der auf Basis eines Beschlusses der Konzertierten Aktion Pflege erarbeiteten „Roadmap zur Verbesserung der Personalsituation in der Pflege und zur schrittweisen Einführung eines Personalbemessungsverfahrens für vollstationäre Pflegeeinrichtungen“.

Eine Bewertung der Höhe der Personalanhaltswerte nach § 113c Absatz 1 im Zu-sammenspiel mit den Bestandsschutzregelungen nach Absatz 2 SGB XI, den u.a. an den Personalanhaltswerten orientierten Verhandlungen der Rahmenverträge nach § 75 Absatz 1 SGB XI sowie der allgemeinen Konvergenzstrategie ist mit Blick auf die unterschiedlichen Ausgangsniveaus der Personalschlüssel und in zeitlicher Hinsicht nicht einfach. Als Grundlage geht der Gesetzesentwurf von den bereinigten, bundesdurchschnittlichen Ist-Stellenschlüsseln aus. Die bundeseinheitlichen Stellenschlüssel, die als Personalanhaltswerte ab dem 01.07.2023 durch das Gesetz vorgegeben werden, berücksichtigen den personellen Mehrbedarf nach dem Abschlussbericht des PeBeM-Projekt in Höhe von rund 40 Prozent gegenüber diesen bereinigten, bundesdurchschnittlichen Ist-Stellenschlüsseln. Ab dem 01.07.2023 gelten demnach folgende Personalanhaltswerte pro zu versorgenden Pflegebedürftigen als „Höchstwerte“:

 

PG 1

PG 2

PG 3

PG 4

PG 5

 

Hilfskraft ohne Ausbildung

0,0872

0,1202

0,1449

0,1627

0,1758

Helfer mit mind. 1-jähriger Ausbildung

0,0564

0,0675

0,1074

0,1413

0,1102

Fachpersonal

0,0770

0,1037

0,1551

0,2463

0,3842

Mit der Durchschnittsbetrachtung ergeben sich mit diesem Schritt nicht für alle Bundesländer höhere Personalschlüssel. Daher sollen Bestandsschutzregelungen und insbesondere auch Regelungen zum Schutz vor Fachkraftabbau greifen (§ 113c Absatz 2 Satz 1 Nr. 2; § 113c Absatz 5 Satz 1 Nr. 1). D.h. es müssen gem. § 113c Abs. 2 SGB XI unter Berücksichtigung aller bisher vertraglich vereinbarter Stellen höhere Personalschlüssel vereinbart werden können. § 113c Absatz 3 transformiert u.a. die derzeitigen Regelungen zur Schaffung von Pflegehilfskraftstellen aus dem § 84 Absatz 9 in Verbindung mit § 85 Absatz 9 bis 11 in die Konvergenzphase ab 01.07.2023. Damit werden wichtigen Regelungen übertragen. 

Die Schwierigkeit besteht in der Konvergenzphase darin, Vorgaben zu treffen, mit der sowohl die Träger in Bundesländern mit hoher als auch die Träger in Bundesländern mit geringerer Personalausstattung umgehen können. Da in dem beschriebenen Schritt ab 01.07.2023 zunächst nur ein Teil der Ergebnisse als Personalanhaltswerte vorgegeben werden, stellt sich dabei unwillkürlich die Frage nach Erhalt des Personals auf der einen Seite. Auf der anderen Seite stellt sich so oder so die Frage, wie viel Mehrpersonalisierung im zeitlichen Kontext erreichbar ist, ohne es ins Belieben zu stellen? Der Regelung fehlt im Kern, was insgesamt erreicht werden soll. Es wird offen gelassen, ob es weitere Ausbaustufen geben soll. Dazu sei beispielhaft folgender Auszug aus der Gesetzesbegründung zitiert: “Um schrittweise eine Konvergenz der Personalanhaltswerte hin zu bundeseinheitlichen Werten zu erreichen, sollte der Korridor, in welchem die Personalausstattung für vollstationäre Pflegeeinrichtungen vereinbart werden kann, künftig nicht vergrößert werden. Daher ist auch zu prüfen, ob die personelle Ausstattung, die ab dem 1. Juli 2023 auf Grund der Rahmenverträge nach § 75 Absatz 1 mindestens zu vereinbaren ist, in einem nächsten Schritt als bundeseinheitliche Vorgabe erhöht werden kann. Eine solche Erhöhung kommt jedoch nur in Betracht, wenn die pflegerische Versorgung dabei nicht gefährdet wird.”. Daher stellt sich die Frage, ob ein Konzept mit einer fehlenden weitergehenden Argumentationsstrategie für eine „Konvergenzphase“ wirklich geeignet ist?

Zu den genannten Landesrahmenvereinbarungen nach § 75 SGB XI werden gem. § 113c Abs. 4 auf der Bundesebene von den Trägervereinigungen und dem GKV-SV gemeinsame Empfehlungen getroffen. Soweit bis zum 01.07.2023 keine gesonderten Vereinbarungen nach § 113c Abs. 5 (Landesrahmenverträge) getroffen werden, sind die Regelungen gem. § 113c Abs. 4 SGB XI unmittelbar verbindlich.

Gem. § 113c Absatz 5 sollen die in den Landesrahmenvereinbarungen nach § 75 SGB XI bisher festgelegten Personalanhaltswerte für das Pflege- und Betreuungspersonal geprüft und gegebenenfalls angepasst werden. Sie sollen fortan die personelle Ausstattung definieren, die mindestens zu vereinbaren ist, um eine bestimmte Anzahl an Pflegebedürftigen zu versorgen. Hierbei geht es um die Konkretisierung der Vereinbarungspartner zur Anwendung der Personalanhaltswerte nach § 113c Absatz 1 und in dieser Hinsicht im besonderen Maße um die Bundesländer mit einer vergleichsweise geringen Personalausstattung. Es geht aber auch um besondere Personalbedarfe wie Pflegedienstleitung, Qualitätsbeauftragte und Praxisanleitung und der erforderlichen Qualifikationen des eingesetzten Personals.

Die bislang über gesonderte Vergütungszuschläge finanzierten Stellenanteile nach § 8 Absatz 6 SGB XI (Pflegefachkraftstellenprogramm) und nach § 84 Absatz 9 in Verbindung mit § 85 Absatz 9 bis 11 SGB XI (Pflegehilfskraftstellenprogramm) werden mit § 113c Absatz 6 in die Pflegesatzvereinbarungen bzw. geltenden Verträge überführt. Diese werden gemäß den Neuregelungen Bestandteil der zukünftigen Personalanhaltswerte. Hinsichtlich des Bestandschutzes soll sichergestellt werden, dass auch diese Stellen tatsächlich in der Konvergenzphase zusätzlich berücksichtigt werden und keinesfalls abgebaut werden, wenn Einrichtungen in bestehenden Pflegesatzvereinbarung gemäß § 84 Absatz 5 Satz 2 Nummer 2 SGB XI eine bessere Personalausstattung vor der Einführung der Personalbemessung hatten. Die Begründung weist expressis verbis aus, dass “ein etwaiger Abbau des bisher durch diese Förderprogramme in stationären Pflege-einrichtungen erreichten Stellenzuwachses [...] damit nicht verbunden sein […]” soll. Hinsichtlich der bisherigen Finanzierung können bis 2025 Sonderregelungen greifen.

§ 141 Absatz 3 bis 3c SGB XI: Aufhebung Besitzstandsschutz
Der Gesetzgeber normiert die Aufhebung von § 141 Absatz 3 bis 3c mit der Begrün-dung, dass der in § 141 Absatz 3 bis 3c geregelte Besitzstandsschutz für vollstatio-när versorgte Pflegebedürftige, die schon Ende 2016 Leistungen nach § 43 bezogen haben, nach Einführung der zeitlich gestaffelten Eigenanteilsbegrenzung keine Wirkung mehr entfaltet, da die Besitzstandsschutzbeträge mit den Eigenanteilsreduzierungen verrechnet würden. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass sich daraus materiell-rechtlich für die Pflegebedürftigen keine Verschlechterung ergäbe. Wir sind der Meinung, dass es vereinzelt Fälle geben kann, die schlechter gestellt werden und haben daher gefordert, die Regelung nicht zu streichen.

Änderungen des SGB V:

§ 37 Absatz 2a SGB V: Pauschale Beteiligung der GKV an den Kosten der medizinischen Behandlungspflege
Mit § 37 Absatz 2a Satz 1 und 2 wird die pauschale Beteiligung der GKV an den Kosten der medizinischen Behandlungspflege in vollstationären Einrichtungen in Höhe von 640 Mio. € geregelt, die bisher schon zur Umsetzung des § 8 Abs. 6 SGB XI (Spahn-Stellenprogramm) eingesetzt werden. Daraus ergibt sich aber zunächst für Pflegebedürftige kein zusätzlicher sichtbarer Effekt. Aus unserer Sicht kann dies weiterhin nur ein erster Schritt im Zusammenhang mit der systemgerechten Finanzierung der Behandlungspflege in vollstationären Pflegeeinrichtungen aus der GKV sein.

§ 37 Absatz 8 neu i.V. mit § 132a Absatz 1 Satz 4 Nummer 7 SGB V: Blankover-ordnung HKP / KAP: Stärkung Pflegefachpersonen
Pflegefachkräfte, die bestimmte, noch zu definierende Anforderung erfüllen, können künftig Verordnungen im Rahmen des vertragsärztlichen Verordnungsrahmens, eigenverantwortlich ausstellen. Insbesondere ist dies denkbar bei Positionswechsel zur Dekubitusbehandlung sowie An- oder Ausziehen von ärztlich verordneten Kompressionsstrümpfen/-strumpfhosen, Anlegen oder Abnehmen eines Kompressionsverbandes, muss aber noch festgelegt werden.  

§ 39c SGB V: Übergangspflege im Krankenhaus
Können im unmittelbaren Anschluss an eine Krankenhausbehandlung erforderliche Leistungen der häuslichen Krankenpflege, der Kurzzeitpflege, Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder Pflegeleistungen nach dem Elften Buch nicht oder nur unter erheblichem Aufwand erbracht werden, erbringt die Krankenkasse Leistungen der Übergangspflege in dem Krankenhaus, in dem die Behandlung erfolgt ist.

§ 39d SGB V: Förderung der Koordination in Hospiz- und Palliativnetzwerken durch einen Netzwerkkoordinator
Die Landesverbände der Krankenkassen und die Ersatzkassen fördern gemeinsam und einheitlich in jedem Kreis und jeder kreisfreien Stadt die Koordination der Aktivitäten in einem regionalen Hospiz- und Palliativnetzwerk durch einen Netzwerkkoordinator.

§ 64d SGB V i.V.m. § 14 PflBG: KAP Modellvorhaben zur Übertragung ärztlicher Tätigkeiten auf Pflegefachpersonen / Verpflichtende Durchführung von Modellvorhaben zur Übertragung ärztlicher Tätigkeiten
Nach diversen mehr oder weniger gescheiterten Versuchen wird das Themen neu belebt. Die Landesverbände der Krankenkassen und die Ersatzkassen führen gemeinsam in jedem Bundesland mindestens ein Modellvorhaben nach § 63 zur Übertragung von ärztlichen Tätigkeiten auf Pflegefachkräfte mit einer Zusatzqualifikation nach § 14 des Pflegeberufegesetzes durch. Es handelt sich dabei um selbstständige Ausübung von Heilkunde. In den Modellvorhaben sind auch Standards für die interprofessionelle Zusammenarbeit zu entwickeln. Die Vorhaben beginnen spätestens am 1. Januar 2023 und sind auf längstens 4 Jahre zu befristen (§ 64 Abs. 2 und 3).

§ 132 Absatz 1 SGB V: Anerkennung von tarifgerechten Gehältern auch in der Hauswirtschaft
Hierbei handelt es sich um eine Änderung, die nach der Anhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestages aufgenommen wurde. Tarifgerechte Gehältern werden auch in der Hauswirtschaft als wirtschaftlich anerkannt.

§ 132 Absatz 4 SGB V: Versorgungsverträge und Maßnahmenbescheide
Aufgenommen wurde in Absatz 4, dass der Abschluss von Versorgungsverträgen nur mit „zuverlässigen“ Leistungsanbietern erfolgen kann. Ferner wurde in Absatz 4 normiert, dass bei einer Prüfung nach § 275b Absatz 1 Satz 1 bis 3 festgestellte Qualitätsmängel, die Landesverbände der Krankenkassen oder die Krankenkassen nach Anhörung des Leistungserbringers entscheiden, welche Maßnahmen zu treffen sind. Sie erteilen dem Leistungserbringer hierüber einen Bescheid und setzen ihm darin zugleich eine angemessene Frist zur Beseitigung der festgestellten Mängel.

Zum Schluss:
Im Anhang dieser Fachinformation finden Sie die Beschlussempfehlung und den Bericht des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) vom 09.06.2021 / Drucksache 19/30550 und die Drucksache 19/30560 vom 10.06.2021 (Bericht des Ausschusses für Gesundheit zu dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung mit Begründungen zu den mit der Beschlussempfehlung geänderten §§) sowie die Stellungnahme des Paritätischen zu den pflegerelevanten Änderungsanträgen, die am 07. Juni 2021 in eben diesem Ausschuss behandelt wurde. Ferner verweisen wir auf die Fachinformation des Paritätischen zum Thema vom 04. Juni 2021.

Das Gesetz muss am 25. Juni 2021 den Bundesrat passieren. Der Gesundheitsausschuss des Bundesrates empfiehlt dem Bundesrat ferner in beigefügter Drucksache 511/1/21 diverse Entschließungen zu fassen. Es wird gefordert, die Eigenbeteiligung weiter zu senken, ohne dass sich die Länder dabei selber bei den Investitionskosten in die Pflicht nehmen. Gefordert wird auch die Etablierung eines ständigen Arbeitsgremiums zur Weiterentwicklung der Pflegeversicherung - gleich zu Beginn der nächsten Legislatur.