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Der Mensch muss im Mittelpunkt stehen

Fachinfo
Erstellt von Joachim Hagelskamp

Eine solidarische und gerechte Finanzierung von Pflege und Gesundheit, Leistungen, die den Bedarfen der Menschen gerecht werden, und entschiedene Schritte zur Realisierung der Inklusion – das sind zentrale Forderungen des Paritätischen Gesamtverbands, die Joachim Hagelskamp, Bereichsleiter Gesundheit, Teilhabe, Dienstleistungen in diesem Beitrag zusammenfasst.

Die Gesundheitsreformen der vorhergehenden Bundesregierungen haben die Ungerechtigkeiten in der gesundheitlichen Versorgung verschärft. Unternehmen wurden entlastet, Versicherte müssen durch Zuzahlungen und Zusatzbeiträge alleine für die steigenden Kosten aufkommen. Weil die Gesundheit eines jeden Menschen die zentrale Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe und Selbstbestimmung ist, darf das Gesundheitswesen nicht weiter den marktwirtschaftlichen, ökonomischen Interessen untergeordnet werden. Denn: Gesundheitsversorgung ist ein Menschenrecht. Gesundheitsversorgung ist Daseinsversorgung. Deshalb müssen die marktwirtschaftlichen Mechanismen zurückgedrängt und wieder eine sach- und bedarfsgerechte Steuerung eingeführt werden.

Soziale Bürgerversicherung

Als wichtigen Schritt in Richtung eines solidarischen und gerechteren Gesundheitssystems sieht der Paritätische die Überwindung der Zwei-Klassen-Medizin. Die Versorgung der Menschen muss wieder im Mittelpunkt stehen. Der Paritätische fordert daher die zügige Einführung einer sozialen Bürgerversicherung sowie den zuzahlungsfreien Zugang zu einer qualitativ hochwertigen gesundheitlichen Versorgung für alle Menschen.

Gesundheitsförderung und Prävention

Wer arm ist, stirbt früher und ist häufiger krank. Gute Gesundheitspolitik muss daher stets alle Politikbereiche einbeziehen. Ein stabiles soziales Umfeld, gute Arbeits-, Lern- und Wohnbedingungen beeinflussen die Gesundheit wesentlich. Gesundheitsförderung und Prävention können dazu beitragen, sozial bedingte gesundheitliche Ungleichheiten abzubauen. Zur Erreichung dieses Ziels fordert der Paritätische, flächendeckende und nachhaltige gesamtgesellschaftliche Strategien und Programme zu entwickeln.

Ressourcen für Inklusion

Deutschland hat die UN-Behindertenrechtskonvention und damit die gleichberechtigte Teilhabe und Inklusion von Menschen mit Behinderung anerkannt. Inklusion braucht nicht nur eine verbale Zustimmung. Inklusion verlangt eine neue Haltung, kostet Mühe und Geld. Hierfür sind Ressourcen bereitzustellen! Das neue Bundesteilhabegesetz (BTHG) hat behinderten Menschen Verbesserungen zum Beispiel bei der Heranziehung von Einkommen und Vermögen für Leistungen der Eingliederungshilfe gebracht. Allerdings bleibt es bei Bedürftigkeitsprinzip und Fürsorgerecht. Die Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung muss unabhängig vom Einkommen und Vermögen gewährt werden. Auch die Möglichkeit zur Gewährung von Leistungen zur gemeinschaftlichen Inanspruchnahme von Unterstützungsleistungen etwa in der Freizeit oder beim Schulbesuch gegen den Wunsch des Leistungsberechtigten sind nicht konform mit der UN-Behindertenrechtskonvention. Die Verbesserungen mit dem Bundesteilhabegesetz greifen fast ausschließlich für Menschen, die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt integriert sind oder ein Mindestmaß an verwertbarer Arbeit leisten können. Aber auch Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf haben ein Recht auf eine für sie erreichbare Teilhabe am Arbeitsleben und Beschäftigung. Das Kriterium, die Schaffung eines Mindestmaßes an verwertbarer Arbeit“ ist abzuschaffen und Teilhabe am Arbeitsleben für ALLE – auch für Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf – umzusetzen. Teilhabe steht vor Pflege! Die Fortführung der Sonderregelung im BTHG, mit der eine „Verlegung“ junger Menschen mit Behinderung in Pflegeheime möglich wird, muss abgeschafft werden, weil sie die Leistungsberechtigten selbst bei der Entscheidungsfindung ausschließt. Kinder mit Behinderung und deren Familien brauchen Sicherheit für Leistungen der Früherkennung und Frühförderung. Hierfür sind verbindliche Regelungen zur Finanzierung und Leistung zu schaffen.

Wahlrecht für alle Menschen mit Behinderung

Der Paritätische fordert volles Wahlrecht für ALLE Menschen mit Behinderung. Die Abschaffung der Wahlrechtsausschlüsse von Menschen mit Behinderung ist längst überfällig. Das Menschenrecht auf inklusive Bildung ist anzuerkennen und notwendige sächliche, personelle Ressourcen sind zu gewährleisten. Der Bund muss Verantwortung übernehmen und dafür Sorge tragen, dass Gesetzes- oder Ressourcenvorbehalte gestrichen werden.

Selbsthilfe stärken

Damit Partizipation von behinderten und chronisch kranken Menschen auf allen gesellschaftlichen Ebenen gelebt werden kann, ist die finanzielle Ausstattung ihrer Selbsthilfeorganisationen unter Einbeziehung weiterer Institutionen wie etwa den privaten Krankenversicherungen zu verbessern und gemäß den wachsenden Aufgaben anzupassen. Die Patientenvertretungen müssen im Hinblick auf personelle und zeitliche Ressourcen vergleichbar mit den Leistungserbringern und ihren Verbänden ausgestattet sein. Zugleich müssen die Selbsthilfe- und Patientenbeteiligungsrechte in den Sozialgesetzbüchern V (Gesetzliche Krankenversicherung) und XI (Soziale Pflegeversicherung) weiter ausgebaut werden. Dazu gehört beispielsweise, dass die Selbsthilfe- und Patientenvertreter/-innen im Gemeinsamen Bundesauschuss langfristig ein Stimmrecht erhalten. Dieses sollte in einem ersten Schritt ein Stimmrecht in Verfahrensfragen umfassen. Da die Krankenkassen keine Transparenz bezüglich der Verwendung ihrer kassenindividuellen Selbsthilfeförderung herstellen, bedarf es hierzu einer entsprechenden gesetzlichen Vorgabe, die vorsieht, dass die Vertreter der Selbsthilfe an der Vergabe dieser Mittel zu beteiligen sind.

Umfassende Barrierefreiheit

Damit Menschen möglichst selbstbestimmt lernen, arbeiten und wohnen, aber auch ihre Freizeit gestalten können, gilt es Barrieren möglichst schnell und umfassend abzubauen und künftig zu vermeiden. Nachdem sich der öffentliche Sektor hier bereits auf den Weg gemacht hat, bedarf es nun einer besseren Verankerung von Barrierefreiheit im privatwirtschaftlichen Bereich. Dazu braucht es eine bindende Verpflichtung für private Unternehmen zur Barrierefreiheit, die dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung tragen muss und ein je nach Dienstleistungsbereich gestuftes und zeitlich festgelegtes Umsetzungskonzept beinhaltet.

Mehr Pflegepersonal

In der Altenpflege wird es keine grundlegende Verbesserung der Versorgung ohne mehr Personal und mehr Zeit für Pflege und Betreuung geben. Der neue Pflegebedürftigkeitsbegriffs bringt etwas Bewegung in die Sache. Wenn aber nicht nur Personen mit eingeschränkter Alltagskompetenz eine bessere Versorgung erhalten sollen, sondern auch die Gruppe der rein somatischen Pflegebedürftigen, ist eine Anhebung der Personalschlüssel alternativlos. Die Erhöhung der Personalschlüssel beziehungsweise die tatsächliche Umsetzung erreicht in dieser Hinsicht aber nicht das benötigte Niveau. Der Hemmschuh liegt in den Kosten und im Fachkraftmangel. Durch die Übernahme der Kosten für Behandlungspflege in teilstationären und stationären Pflegeeinrichtungen durch die Krankenversicherung könnte bereits ein wesentlicher Personalzuwachs refinanziert werden.

Leistungen der Pflegeversicherung müssen angehoben werden

Um dem Fachkraftmangel entschieden entgegenzutreten, führt kein Weg an einer besseren Bezahlung der Pflegekräfte vorbei. Deshalb müssen die Leistungen der Pflegeversicherung deutlich angehoben werden. Die Pflegebedürftigen beziehungsweise deren Angehörige können nicht weiter finanziell belastet werden. Der Mehrbedarf an Personal und Zeit sowie notwendige Lohnsteigerungen müssen refinanziert werden. Der Umbau hin zu einer sozialen Bürgerversicherung muss daher oberste politische Priorität genießen. Die Beitragsbemessungsgrenze muss auf das Niveau der Rentenversicherung angehoben und das zu berücksichtigende Einkommen ausgeweitet werden. Dem kontinuierlichen Anstieg der Eigenanteile muss durch regelmäßige und regelgebundene Leistungsanpassungen begegnet werden.

Personenkreis erweitern

In der Hilfe zur Pflege sind die „vergessenen Personengruppen“ wieder zu berücksichtigen. Personen ohne Pflegegrad erhalten derzeit keine Leistungen der Hilfe zur Pflege mehr. Pflegebedürftige unterhalb von Pflegegrad 2 haben keinen Anspruch auf Leistungen in vollstationären Pflegeeinrichtungen, und deren Leistungen sind gedeckelt. Betroffen sind sowohl Nichtversicherte als auch Versicherte mit ergänzender Hilfe zur Pflege.

Kommunen haben eine zentrale Rolle bei der wohnortnahen Versorgung

Die Stärkung kommunaler Aufgaben in der Pflege ist ein Flop. Für eine angemessene, wohnortnahe und aufeinander abgestimmte, miteinander verzahnte Beratungs-, Versorgungs- und Unterstützungslandschaft sowie für eine bedarfsgerechte Infrastruktur müssen die Kommunen Verantwortung in den relevanten Feldern für ihre originären Aufgaben der Koordination, Vernetzung, Planung und Steuerung übernehmen. Ziel muss die Gestaltung einer wohnortnahen Versorgung und nicht die bloße Steuerung von Leistungen und der Einbezug der Wohlfahrtspflege sein.