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Deutscher Frauenrat: Offener Brief zur EU-Gewaltschutzrichtlinie

Der Deutsche Frauenrat und die European Women's Lobby (EWL) fordern gemeinsam mit 40 Organisationen in einem offenen Brief Deutschland auf, sich auf europäischer Ebene für Vergewaltigung als Tatbestand im EU-Gewaltschutzpaket stark zu machen.

Den Brief unterzeichnet haben u.a. auch Frauenhauskoordinierung und das Forum Menschenrechte, in denen der Paritätische Gesamtverband jeweils Mitglied ist. 

Offener Brief im Wortlaut:

An den Bundeskanzler,
An den Bundesminister der Justiz,
An die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend,
An die Bundesinnenministerin,
An die Bundesaußenministerin,
An den Bundesrat,
An die Bundestagsausschüsse für Recht, für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie für Angelegenheiten der Europäischen Union,
An die Medien

 

Berlin, 30. Oktober 2023

In der Europäischen Union steht die „Richtlinie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“ aktuell in den Trilog-Verhandlungen zwischen Europäischem Parlament, Kommission und Rat. Am 9. Juni 2023 hat der Europäische Rat seine Position festgelegt, dabei kam es zu einer negativen Überraschung:

Die Mitgliedsstaaten – darunter auch die deutsche Bundesregierung – haben sich darauf geeinigt, den Artikel zu Vergewaltigung aus dem Kommissionsvorschlag zu streichen.

Das schockiert uns. Diese Richtlinie ist eine einzigartige und einmalige Möglichkeit, Vergewaltigung in der gesamten EU strafrechtlich zu verfolgen und (insbesondere) Frauen zu schützen. Das deutsche Recht stellt Vergewaltigung unter Strafe und hat dies in Übereinstimmung mit der sog. Istanbul-Konvention im Zuge der „Nein heißt Nein“-Reform jüngst noch gestärkt. Es sollte also kein Widerspruch sein, dasselbe in der Richtlinie zu unterstützen. Stattdessen beruft sich die Bundesregierung auf unionsrechtliche Bedenken. Sie gibt an, dass Vergewaltigung außerhalb des EU-Kompetenzrahmens stehe, obwohl „sexuelle Ausbeutung von Frauen“ explizit in Art. 83 (1) des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union genannt wird. Wir sind daher der Auffassung, dass das Hauptgegenargument, welches ins Feld geführt wird, unhaltbar ist. Wir Frauen wissen nur zu gut, dass Vergewaltigung „sexuelle Ausbeutung“ ist (vgl. Stellungnahme des Deutschen Juristinnenbunds).

Vergewaltigung ist eines der schwersten Verbrechen gegenüber Frauen. Deshalb ist es mehr als unverständlich, dass Deutschland nicht offensiv die Aufnahme der Vergewaltigung in diese Richtlinie fordert.

Wir erwarten, dass die Bundesregierung ihre Position offiziell ändert und aktiv fordert, dass Vergewaltigung als Tatbestand in das EU-Gewaltschutzpaket aufgenommen wird.

Deutschland muss sich Belgien, Griechenland, Italien und Luxemburg sowie der EU-Kommission anschließen, die sich aktiv dafür einsetzen, dass Vergewaltigung Teil des Paketes wird.

Auch der Bundesrat begrüßte bereits am 8. Juli 2022 ausdrücklich, „dass mit dem in Artikel 5 des Richtlinienvorschlags festgesteckten Rahmen für die Strafbarkeit einer Vergewaltigung ein umfassender Schutz des Rechtsguts der sexuellen Selbstbestimmung innerhalb der gesamten EU gewährleistet würde“ (Abs. 16, S. 5, Drucksache 131/22 (Beschluss).

Auf europäischer Ebene gibt es inzwischen rund 100.000 Unterstützer*innen, die fordern, Vergewaltigung in die neue Richtlinie aufzunehmen. Wir haben das federführende Bundesministerium der Justiz gemeinsam mit dem Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend von der Unterschriftenkampagne der größten Lobby der Frauen in Europa, der Europäischen Frauenlobby (EWL) in Kenntnis gesetzt und werden die Unterschriften demnächst überreichen.

Ein geschlechtsspezifisches Gewaltschutzpaket, das Vergewaltigung nicht thematisiert, ist kein Gewaltschutzpaket.

Wir erwarten, dass Deutschland hier voran geht und fordern auch Sie auf: Bekennen Sie sich zu einer gleichgestellten und gewaltfreien Gesellschaft.

 

Quelle: Deutscher Frauenrat