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Dokumentation der Paritätischen Fachtagung vom 06.10.2022 „Jugendliche und Jugendhilfe im Strafverfahren - Was geht?!“ in Berlin

Berichte, Zahlen, Kooperation, Selbstverständnis und ein europäischer Blick – Straffällige Jugendliche und die Jugendhilfe im Strafverfahren

Am 6. Oktober 2022 fand er Paritätische Fachtag „Jugendliche und Jugendhilfe im Strafverfahren - Was geht?!“ in Berlin statt. Das Interesse der Mitarbeitenden der Jugendhilfe im Strafverfahren an der Fachtagung sowie an den aktuellen Entwicklungen vor Ort, auf der Bundesebene und auf europäischer Ebene war groß. Der Fachtag bedeutete eine gute Möglichkeit des fachlichen Austausches und der Vernetzung in einem Arbeitsbereich, der von den Teilnehmenden selbst als „Nische“ beschrieben wurde.

 

Dr. Annemarie Schmoll und Dirk Lampe vom Deutschen Jugendinstitut (DJI) lieferten spannende Zahlen und Zwischenergebnisse ihres Projekts „Jugend(hilfe) im Strafverfahren – Neue Gesetzeslage, veränderte Aufgaben und die Perspektive der jungen Menschen“. Im Rahmen des Projekts wurden neben den Fachkräften bisher 22 Jugendliche befragt. Daneben gab es im Rahmen des Inputs auch einen Einblick in das Verstehen der Jugendlichen als Adressat*innen im Verfahren. Dabei wurde deutlich, wie schwer es für die Mehrheit der Jugendlichen ist, sich im sozialen Raum der (Jugend)Gerichte, mit einer ganz eigenen Fachsprache und unbekannten Ritualen zurecht zu finden. Die Referierenden sehen in der Reform eine Aufwertung der Jugendhilfe im Strafverfahren und schätzen sie als „Reform im Werden“ ein.

 

Frank Schallenberg, Geschäftsführer der Brücke Köln e.V. berichtete, wie sie als freier Träger der Jugendhilfe in Köln mit Justiz und Jugendamt eine gute Kooperation und Zusammenarbeit leben. Dabei sieht auch Frank Schallenberg die Angebote der Brücke Köln als Nische in der Jugendhilfelandschaft mit vielen großen Playern. Die Brücke Köln verfolgt dabei den Ansatz, aktiv, fachlich selbstbewusst und mit großer Transparenz hinsichtlich ihres Angebotsspektrums in die direkte Kommunikation mit allen Verfahrensbeteiligten zu gehen. Das schaffe laut Frank Schallenberg Vertrauen in die fachliche Arbeit der Brücke Köln, Vertrauen bei den Auftraggeber*innen und Verfahrensbeteiligten sowie Vertrauen bei den Jugendlichen – die Grundlage für eine gelingende Kooperation und Zusammenarbeit auf Augenhöhe.

 

Claus Richter widmete sich der Frage, wie in der ambulanten Arbeit mit straffälligen jungen Menschen der Auftrag aus dem Jugendgerichtsgesetz (JGG) übersetzt werden kann und mit welcher Haltung und welchem professionellen Selbstverständnis straffällig gewordene junge Menschen begleitet werden können.

Besonders schwierig sei seiner Erfahrung nach dabei der „Zwangskontext“, den es aufzulösen gelte, um eine tragende (Beratungs)Beziehung zum jungen Menschen aufbauen zu können. Das eigene professionelle Selbstverständnis wurde durch Claus Richter mit Witz und fundierter beruflicher Praxiserfahrung hinterfragt. In seiner Arbeit mit straffälligen Jugendlichen gehe es nicht um Sanktionen, sondern um Hilfe – als ganz grundlegende Haltung den jungen Menschen gegenüber.

 

In den zwei Runden Workshops konnten die Teilnehmenden die Inputs vertiefen und es entstand ein spannender und fruchtbarer fachlichen Austausch.

 

Dr. Astrid Podsiadlowski stellte die Ergebnisse des Reports der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) zu der EU-Richtlinie über Verfahrensgarantien in Strafverfahren für Kinder, die Verdächtige oder beschuldigte Personen in Strafverfahren sind, vor. Dabei ging sie u. a. auf das Recht auf schnelle und leicht verständliche Information ein, bei dem deutlich wurde, wie groß der Unterschied zwischen der Wahrnehmung der Kinder und der Wahrnehmung der Fachkräfte ist, was das wirkliche Verstehen von Informationen angeht – grundlegende Voraussetzung für die Wahrnehmung von Verfahrensrechten. Großes Interesse hatten die Teilnehmenden daran, wie sich aus europäischer Perspektive die aktuelle Situation in Deutschland darstellt und wie Deutschland im Vergleich zu den anderen Mitgliedsstaaten die Verfahrensgarantien in Strafverfahren umsetzt. Der Bericht benennt die Mängel in den nationalen Justizsystemen und schlägt mögliche Abhilfemaßnahmen vor, die die Länder anwenden könnten, um die Rechte des Kindes in der Justiz zu wahren.

 

Weiterführende Informationen

  • Presseinformationen zum FRA-Report EU-Richtlinie Verfahrensgarantien in Strafverfahren für Kinder, die Verdächtige oder beschuldigte Personen in Strafverfahren sind (Deutsch)

https://fra.europa.eu/de/news/2022/wie-kinder-strafverfahren-besser-geschuetzt-werden-koennen

 

  • FRA-Report EU-Richtlinie Verfahrensgarantien in Strafverfahren für Kinder, die Verdächtige oder beschuldigte Personen in Strafverfahren sind (Englisch)

https://fra.europa.eu/sites/default/files/fra_uploads/fra-2022-children-procedural-safeguards_en.pdf