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Erste Einschätzung der vorgelegten Eckpunkte des Bundesministeriums der Justiz zur Modernisierung des Unterhaltsrechts

Der Bundesjustizminister, Dr. Marco Buschmann, hat am 25. August 2023 Eckpunkte zur Modernisierung des Unterhaltsrechts vorgelegt. Das Papier trägt den Titel „Ein faires Unterhaltsrecht für Trennungsfamilien“. Laut Bundesjustizministerium soll die geplante Reform dem Ziel Rechnung tragen, eine partnerschaftliche Betreuung minderjähriger Kinder zu fördern und das Unterhaltsrecht fairer und weniger streitanfällig zu machen. Die Vorschläge zur Reform des Kindesunterhalts betreffen v.a. Familien, in denen sich beide Elternteile nach der Trennung an der Betreuung ihrer Kinder beteiligen.

Zum Hintergrund:

Das deutsche Unterhaltsrecht wurde zuletzt vor über 15 Jahren reformiert. Da sich Lebensrealitäten und -modelle laut Bundesjustizministerium seither verändert haben, geht das Ministerium von einem Reformbedarf beim Kindesunterhalt, Betreuungsunterhalt und Selbstbehalt aus. Insbesondere sollen die Situation von Eltern im sog. asymmetrischen Wechselmodell (Fälle zwischen 30 und 49 Prozent der Mitbetreuung) und von nichtverheirateten Eltern bei Trennung nachvollziehbarer und fairer gestaltet sein.  

Vorschlag des Bundesjustizministeriums zur Reform des Kindesunterhalts:

Asymmetrisches Wechselmodell: Die Betreuungsleistung der Eltern soll sich laut dem vorliegenden Eckpunktepapier auch im asymmetrischen Wechselmodell(alle Fälle zwischen 30 % und 49 % der Mitbetreuung) spürbar auf den zu leistenden Unterhalt auswirken. Mit Hilfe eines klar definierten Rechenmodells kann die Unterhaltsleistung entsprechend der Betreuungsleistung und den beiderseitigen Einkommen der Eltern ermittelt werden. Das Bundesjustizministerium schlägt hierfür in einem Rechenmodell z. B. zwar grundsätzlich die Ermittlung des Bedarfs des Kindes anhand der Düsseldorfer Tabelle vor, zieht jedoch für „wesentliche Mitbetreuung“ einen Abschlag beim Bedarf des Kindes in Höhe von 15 Prozent beim hauptbetreuenden Elternteil ab und setzt einen pauschalierten Betreuungsanteil des mitbetreuenden Elternteil in Höhe von einem Drittel an. Zudem soll das Kindergeld, wenn es an den hauptbetreuenden Elternteil ausbezahlt wird, zur Hälfte vom Haftungsanteil in Abzug gebracht und auf diese Weise zwischen den Eltern aufgeteilt werden.

Symmetrisches Wechselmodell: Da die Rechtsprechung in Bezug auf das symmetrische Wechselmodell (genau hälftige Teilung der Betreuungsleistung der Eltern, 50:50) für die Frage der Verteilung der Unterhaltslast bereits eine akzeptierte Lösung gefunden hat, und insoweit laut Bundesjustizministerium kein zwingender Reformbedarf besteht, soll es hier bei der geltenden Rechtslage verbleiben.

Die Möglichkeit der gesetzlichen Vertretung des Kindes nach § 1629 Absatz 2 und 3 BGB und andere Regelungen außerhalb des BGB sollen für Fälle des Wechselmo-dells angepasst werden.

Einschätzung des Paritätischen zur Reform des Kindesunterhalts:

Bereits im Jahr 2020 hat sich der Paritätische dahingehend positioniert, dass ein Wechselmodell im Hinblick auf den Kindesunterhalt nicht zum Vorteil des einkommensstärkeren und zu Lasten des einkommensschwächeren Elternteils führen dürfe. Grundsätzlich besteht auch dringender Reformbedarf für das symmetrische Wechselmodell. Die sich nach der jetzigen Rechtslage ergebenden Unterhaltsansprüche sind systematisch zu niedrig. Im Regelfall wird überhaupt kein Unterhalt gezahlt oder es ergeben sich marginale Unterhaltsansprüche von unter 100 Euro. Dadurch besteht die Gefahr der Unterdeckung des Bedarfs des Kindes beim geringer verdienenden Elternteil. Hier muss es eine substantielle Unterhaltshöhe und eine angemessene Berücksichtigung von Wechselmehrkosten geben. Im asymmetrischen Wechselmodell darf es grundsätzlich keine beidseitige Barunterhaltspflicht geben.

Erwerbstätigkeit der Eltern vor Trennung ist zu berücksichtigen

Die gelebte Realität ist in vielen Paarfamilien noch nicht so weit, wie sie mit Blick auf Gleichstellung und gleichberechtigte Aufteilung der häuslichen Care-Arbeit oftmals dargestellt wird. Insbesondere ist laut Angaben des Bundesverbandes Alleinerziehender Mütter und Väter (VAMV) zu berücksichtigen, dass in einem Viertel der Paarfamilien die Mutter noch immer ganz aus dem Beruf aussteigt. Wenn beide Elternteile arbeiten, dominiert das Modell er Vollzeit, sie Teilzeit. Der Verband verweist auf entsprechende Zahlen des Statistischen Bundesamtes, die nahelegen, dass in den meisten heterosexuellen Paarfamilien eine traditionelle Rollenaufteilung bei der häuslichen Care-Arbeit vorherrscht.[1] Wenn es zu einer Trennung kommt, sind viele Mütter daher strukturell benachteiligt, da sie aufgrund ihrer Teilzeittätigkeit beruflich zurücksteckten oder gar erst wieder den Einstieg suchen müssen, was mit Blick auf die Entlohnung und den in Deutschland bestehenden gender pay gap von derzeit 18 Prozent zu erheblichen Ungleichberechtigungen führt. Auch ist es vielen Teilzeitbeschäftigten nicht möglich, ad hoc in Vollzeit zu arbeiten, da die eigene Arbeitsstelle eben nur in Teilzeit vorgesehen ist. Hinzu kommt laut VAMV, dass Alleinerziehende bereits zu 46 Prozent in Vollzeit arbeiten, die Armutsquote ist mit 42 Prozent dennoch so hoch wie bei keiner anderen Familienform. Regelungen zu Erwerbsobliegenheiten, die diese Lebensrealitäten nicht im Blick haben, wird der Paritätische im Gesetzgebungsverfahren kritisch begleiten. Bislang fehlt eine klare Regelung zu angemessenen Übergangsfristen für den Eintritt von Erwerbsobliegenheiten im Konzept des Bundesjustizministeriums völlig. Das ist eine eklatante Lücke des Entwurfs.

Barunterhaltspflicht muss auf das 50:50 Wechselmodell beschränkt sein
Aus Paritätischer Sicht ist deshalb eine Regelung erforderlich, die eine Barunterhaltspflicht der Eltern auf das paritätische Wechselmodell (50:50) eindeutig beschränkt. Die Einführung einer Barunterhaltspflicht für beide Eltern unterhalb einer paritätischen Betreuungsaufteilung käme in vielen Fällen, gerade bei Betreuungsanteilen um 30 Prozent, einer bloßen Umetikettierung gleich. 30 Prozent werden bereits mit 9 Tagen Betreuung im Monat erreicht. Umgänge an jedem zweiten Wochenende und in der Woche dazwischen an einem zusätzlichen Tag sind vielfach schon üblich und führen bereits zu 7 Tagen Betreuung. Werden Ferientage mitgezählt, sind 30 Prozent schnell erreicht. An der Betreuungssituation vieler Alleinerziehender würde sich nicht viel ändern, sie wären lediglich zusätzlich dazu verpflichtet, einen Teil des Kindesunterhalts zu erwirtschaften und es würden sie die im Rahmen der Barunterhaltspflicht bestehenden Erwerbsobliegenheiten treffen. Deshalb ist auch der vom Bundesjustizministerium vorgeschlagene Abschlag beim Kindesbedarf in Höhe von 15 Prozent für wesentliche Mitbetreuung abzulehnen.  Generell gilt: Der Bedarf des Kindes muss zumindest durch den Mindestunterhalt gedeckt sein. Er darf in keinem Fall unter den Mindestunterhalt sinken. Auch muss der Anspruch auf Unterhaltsvorschuss im erweiterten Umgang weiter bestehen bleiben. Durch das Wechselmodell kann, muss es aber nicht zu entsprechenden Ersparnissen kommen. Zudem entspricht es der Lebensrealität, dass es zu Mehrbelastungen kommt, da Dinge des alltäglichen Gebrauchs doppelt angeschafft werden müssen. Wechselmehrkosten sind daher zu berücksichtigen, ein Abschlag wegen vermeintlicher Ersparnisse wäre aus Paritätischer Sicht gar unlogisch.

Vorschlag des Bundesjustizministeriums zur Reform des Betreuungsunterhalts:

Die Regeln zum Betreuungsunterhalt sollen vereinheitlicht werden: Die nicht gerechtfertigten Unterschiede zwischen dem Betreuungsunterhalt bei geschiedenen und bei nichtehelichen Paaren sollen beseitigt werden.

Einschätzung des Paritätischen zur Reform des Betreuungsunterhalts:

Die Beseitigung von Unterschieden zwischen geschiedenen und nichtehelichen Ex-Partner*innen bezüglich des Betreuungsunterhalts sind umzusetzen, da sie nicht gerechtfertigt sind.

Vorschlag des Bundesjustizministeriums zum Selbstbehalt:

Der notwendige Selbstbehalt soll erstmals im BGB geregelt werden. Die jeweilige Höhe soll – wie der Mindestunterhalt – durch Rechtsverordnung alle zwei Jahre geregelt werden. Als einzige inhaltliche Änderung soll die Bestimmung der angemessenen Wohnkosten künftig auf die Regelung zum Wohngeldgesetz Bezug genommen werden, um die großen regionalen Unterschiede abzubilden. Damit wird in angespannten Wohnungsmärkten mit teuren Mieten der Selbstbehalt höher ausfallen als bisher.

In § 1603 Absatz 2 BGB soll klarstellend aufgenommen werden, dass dem Verpflichteten der notwendige Selbstbehalt verbleiben muss.

Einschätzung des Paritätischen zum Selbstbehalt:

Die Änderungswünsche des Bundesjustizministeriums sind grundsätzlich nachzuvollziehen, sind jedoch umfassend und können final erst bei der konkreten Vorlage eines Gesetzesentwurfs bewerten werden. Die Düsseldorfer Tabelle muss im Hinblick auf die Wohnkosten jedenfalls ebenfalls entsprechend angepasst werden. Das heißt, auch im Rahmen des Kindesunterhalts müssen die regional tatsächlich anfallenden Wohnkosten für das Kind berücksichtigt werden. Sonst besteht beim Kindesunterhalt eine Unterdeckung des Bedarfs, wohingegen durch die vom BMJ beabsichtigte Neuregelung des Selbstbehalts die Zahl der Mangelfälle steigen wird.

 


[1] DESTATIS, 69 % der Mütter minderjähriger Kinder waren 2022 erwerbstätig,  https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2023/08/PD23_323_12.html, (abgerufen am: 29. August 2023).