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Erste Schlussfolgerungen aus aktueller BAG-Entscheidung zur Arbeitszeiterfassung

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat am 13. September 2022 entschieden, dass Arbeitgeber verpflichtet sind, ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmer*innen geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann. Wir hatten hierüber berichtet. Vorbehaltlich einer Analyse der Beschlussgründe, die noch nicht vorliegen, können jedoch schon erste Schlussfolgerungen gezogen werden.

Bislang war der Blick, wenn es um gesetzliche Vorgaben zur Arbeitszeiterfassung ging, vor allem auf § 16 Abs. 2 Arbeitszeitgesetz (ArbZG) gerichtet. Nach dieser Vorschrift ist der Arbeitgeber unter anderem verpflichtet, die über die werktägliche Arbeitszeit des § 3 Satz 1 ArbZG hinausgehende Arbeitszeit der Arbeitnehmer aufzuzeichnen. Das bedeutet, dass Arbeitgeber nur die werktäglich acht Stunden überschreitende sowie die Arbeitszeiten an Sonn- und Feiertagen erfassen müssen.

Eine bestimmte Form ist dafür nicht vorgesehen, so dass als Nachweis zum Beispiel digitale Dateien in elektronischen Zeiterfassungssystemen in Frage kommen, was inzwischen die Regel sein dürfte. Denkbar sind aber auch (handschriftliche geführte) Stundenzettel. Arbeitgeber müssen die Zeiten nicht zwingend selbst erfassen, sondern können auch ihre Beschäftigten verpflichten, die geleisteten Arbeitszeiten aufzuzeichnen.

Das BAG hat in seinem Beschluss nun aber auf § 3 Abs. 2 Nr. 1 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) aufmerksam gemacht. Nach dieser Vorschrift hat der Arbeitgeber zur Planung und Durchführung von Maßnahmen des Arbeitsschutzes unter anderem für eine geeignete Organisation zu sorgen und die erforderlichen Mittel bereitzustellen.

Bei unionsrechtskonformer Auslegung dieser Regelung ist der Arbeitgeber, so die Schlussfolgerung des BAG, gesetzlich verpflichtet, die Arbeitszeiten der Arbeitnehmer*innen zu erfassen.

Damit nimmt das Gericht auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshof (EuGH) vom 14. Mai 2019 Bezug, der schon damals die EU-Mitgliedsstaaten aufgefordert hatte, die Arbeitgeber zu verpflichten, ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzurichten, mit dem die von einem jeden*r Arbeitnehmer*in geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann (EuGH, Urteil vom 14. Mai 2019, C-55/18 CCOO ./. Deutsche Bank SAE).

Allein durch dieses Urteil, so die herrschende Meinung, ergeben sich für private Unternehmen aber noch keine unmittelbaren Konsequenzen, weil sich die Entscheidung in erster Linie an die EU-Staaten richtet, die aufgerufen sind, entsprechende (nationale) gesetzliche Regelungen zu erlassen. In Deutschland ist dies bislang jedoch nicht geschehen.

Nach der Entscheidung des BAG haben alle Arbeitgeber in Deutschland, unabhängig von der Größe des Betriebs, aber schon „hier und heute“ eine Pflicht zur umfassenden Arbeitszeitaufzeichnung. Diese Pflicht ist behördlich durchsetzbar, Verstöße können sanktioniert werden.

Einzelheiten, wie die Erfassung im Detail auszusehen hat, werden sich aus den Beschlussgründen ergeben, die erfahrungsgemäß erst in einigen Wochen vorliegen werden. Einrichtungen tun jedoch gut daran, ihr System der Arbeitszeiterfassung nach folgenden Kriterien nun rasch auf den Prüfstand zu stellen:

  • Ein objektives, verlässliches und zugängliches System, mit dem die von einem jeden*r Arbeitnehmer*in geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann, wie es der EuGH schon im Jahr 2019 gefordert hat, worauf das BAG nun Bezug nimmt, ist kaum denkbar, ohne dass nicht wenigstens Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit der Arbeitnehmer*innen erfasst wird. So schreibt es auch schon § 17 Abs. 1 Mindestlohngesetz (MiLoG) für Arbeitgeber von geringfügig Beschäftigten oder mit Beschäftigten in bestimmten Wirtschaftszweigen vor. Nur so kann die Einhaltung der werktäglichen (Höchst-)Arbeitszeit, der Ruhepausen und -Zeiten nach §§ 3 bis 5 ArbZG kontrolliert werden.
  • Wann die Aufzeichnungen zu erfolgen haben, zum Beispiel taggleich oder innerhalb einer bestimmten Frist, und wie lange die Aufzeichnungen aufzubewahren sind, wird sich noch zeigen. Vorläufig sollten Einrichtungen die Arbeitszeiten möglichst zeitnah erfassen (lassen) und aufbewahren, bis Weiteres zur Aufbewahrungsfrist bekannt wird.
  • Da auch im Anwendungsbereich des § 16 Abs. 2 ArbZG zulässig ist, die Pflicht zur Aufzeichnung auf die Arbeitnehmer*innen zu delegieren, wie zum Beispiel bei Vertrauensarbeitszeitmodellen, dürfte (vorläufig) davon auszugehen sein, dass dies auch weiterhin möglich bleiben wird. Allerdings sollten Einrichtungen in solchen Fällen überprüfen, ob sie ihren Beschäftigten insoweit auch klare Weisungen zur Arbeitszeiterfassung erteilt haben und ob es vor allem auch hinreichende Kontrollmechanismen gibt, die Verstöße gegen die Aufzeichnungspflicht schnell erkennen lassen (zum Beispiel durch elektronische Warnmeldungen oder regelmäßige Durchsicht der Erfassungsbögen).
  • Soweit in Einrichtungen Betriebsräte gebildet wurden, können diese nicht (initiativ) verlangen, dass ein elektronisches Zeiterfassungssystem in der Einrichtung eingeführt wird, weil Arbeitgeber schon von Gesetzes wegen verpflichtet sind, die Arbeitszeiten zu erfassen. Eine andere Frage ist, wie ein solches Erfassungssystem konkret ausgestaltet wird, mit welcher Software und welchen Funktionalitäten gearbeitet wird, ob die Arbeitnehmer*innen ihre Zeiten selbst erfassen, etc. Insoweit wird der Betriebsrat regelmäßig zu beteiligen sein, weil er insbesondere nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) ein Mitbestimmungsrecht bei der Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen hat, die dazu bestimmt (oder auch nur potentiell geeignet) sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer*innen zu überwachen.

Weitere Informationen folgen (spätestens), wenn der vollständige BAG-Beschluss mit den Entscheidungsgründen veröffentlicht sein wird.