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Das neue Soziale Entschädigungsrecht (SGB XIV) tritt zum 1. Januar 2024 vollständig in Kraft

Das SGB XIV soll es den Geschädigten und den weiteren Anspruchsberechtigten nach einer Gewalttat ermöglichen, eine schnellere, transparentere und zielgerichtetere Inanspruchnahme von Leistungen und Hilfen zu erhalten, um sich möglichst schnell wieder im Alltag zurechtzufinden und die Folgen einer Gewalttat zu bewältigen. Gewaltopfer können dazu insbesondere psychotherapeutische Unterstützung der Traumaambulanz in Anspruch nehmen.

Das soziale Entschädigungsrecht regelt die Fürsorge- und Einstandspflicht des Staates, wenn er den Bürger Gefahren aussetzt und dabei nicht ausreichend schützen kann. Das dazu bereits im Jahr 2019 vom Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates beschlossene SGB XIV tritt nunmehr am 1. Januar 2024 vollständig in Kraft (BGBl. I 2019, Bl. 2652 ff.) .

Das SGB XIV regelt nunmehr die Entschädigung

  • von Gewaltopfern (einschließlich Opfern von Terror) - §§ 13 f. SGB XIV,
  • von Opfern der beiden Weltkriege im Inland (gilt auch für Schäden durch nicht entdeckte Kampfmittel - § 21 SGB XIV,
  • von Betroffenen durch Ereignisse, die durch oder im Zusammenhang mit dem Zivildienst stehen - § 23 SGB XIV,
  • von Personen, die durch Schutzimpfungen oder sonstige Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe nach dem Infektionsschutzgesetz eine gesundheitliche Schädigung erlitten haben - § 24 SGB XIV und
  • von Opfern staatlichen Unrechtes in der DDR.

Berechtigte auf Leistungen im Sinne des SGB XIV können folgende Personen sein, die Geschädigten selbst und deren Angehörige (z.B. Ehegatten und Kinder), die Hinterbliebenen (z. B. Witwen, Witwer und Waisen) und die Nahestehenden (z. B. Geschwister und Partner in einer Lebensgemeinschaft).

Für Soldat*innen der Bundeswehr verbleibt es für die Zeit während des Wehrdienstverhältnisses und auch danach bei den gesetzlichen Regelungen des Soldatenversorgungsgesetzes (SVG). Grund dafür ist die besondere Fürsorgepflicht der Bundeswehr.

Auch wenn der Zivildienst aktuell ausgesetzt ist, war eine entsprechende Regelung erforderlich. Die Beschäftigten im Rahmen des Bundesfreiwilligendienstes fallen im Übrigen nicht unter die Regelungen des SGB XIV. Diese freiwillig Tätigen sind bereits kraft Gesetzes als Beschäftigte versichert (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII).

Durch die Neuordnung des Sozialen Entschädigungsrechtes werden insbesondere

  • das Bundesversorgungsgesetz (BVG),
  • das Opferentschädigungsgesetz (OEG),
  • die §§ 60 bis 64 Infektionsschutzgesetz und
  • die §§ 47, 47b Zivildienstgesetz (ZDG)

aufgehoben und gehen im SGB XIV auf.

I.

Im Folgenden wird auf einige Neuregelungen im Rahmen des SGB XIV eingegangen:

1. Berücksichtigung von Opfern psychischer Gewalttaten

Neben den Opfern körperlicher Gewalttaten können nun auch Opfer psychischer Gewalttaten Entschädigungsleistungen geltend machen, wenn sie eine gesundheitliche Störung erlitten haben (vgl. § 13 Abs. 1 Ziffer 2 SGB XIV). Dabei muss es sich um ein schwerwiegendes Verhalten handeln, welchem die betroffene Person ausgesetzt war. Wann es sich um ein solches schwerwiegendes Verhalten handelt ist in § 13 Abs. 2 SGB XIV geregelt. Hier sind u. a. einzelne Tatbestände, wie Sexueller Missbrauch (§§ 174 ff. StGB), Vergewaltigung (§§ 177 f. StGB) und Nachstellung/Stalking (§ 238 Abs. 2, 3 StGB) beispielhaft aufgeführt. Damit ist die Aufzählung in § 13 Abs. 2 SGB XIV nicht abschließend gestaltet und es werden auch Straftatbestände erfasst, die von „mindestens vergleichbarer Schwere“ sind. Was genau darunter konkret fallen wird, bleibt der Rechtsprechung der Gerichte vorbehalten.

2. Gleichstellung von Kindern als Gewaltopfer

Kinder (unter 14 Jahre) wurden Opfern von Gewalttaten gleichgestellt. Voraussetzung ist, dass eine erhebliche Vernachlässigung aufgetreten ist (vgl. § 14 Abs. 1 Nr. 5 SGB XIV). Von einer erheblichen Vernachlässigung ist beispielsweise auszugehen, wenn eine unzureichende Ernährung oder die Verhinderung der notwendigen medizinischen Hilfe festzustellen ist. Für die Prüfung, ob eine Vernachlässigung die Schwelle zur Erheblichkeit überschritten hat, ist jeweils im Einzelfall deren Maß und Häufigkeit zu prüfen.

Ebenfalls gleichgestellt wurden Taten im Zusammenhang mit der Herstellung, Verbreitung und öffentlichen Zugänglichmachung von Kinderpornografie nach § 184 Abs. 1 Nrn. 1, 3 und 4 StGB.

3. Ausländer*innen sind gleichgestellt

Ausländer*innen, die sich rechtmäßig in Deutschland aufhalten und Opfer einer Gewalttat werden, sind ebenfalls anspruchsberechtigt für Leistungen nach dem SGB XIV.

4. Gewalttat mit einem Kraftfahrzeug

Soweit die Gewalttat mit einem Kraftfahrzeug oder einem Anhänger verübt wurde (wie bei dem Anschlag auf dem Breitscheidplatz/Berlin am 19. Dezember 2016), bestehen nunmehr Leistungsansprüche nach dem § 18 SGB XIV. Insoweit ist eine betroffene Person aufgrund des bisherigen Ausschlusses solcher Taten nach dem OEG auch nicht mehr darauf angewiesen, sich an den Entschädigungsfond zu wenden. Auch dies soll Betroffenen die Möglichkeit eröffnen, schneller die erforderlichen Hilfen in Anspruch nehmen zu können.

5. Leistungen der Schnellen Hilfen (§§ 29 ff. SGB XIV)

Das Hauptaugenmerk der Neuregelungen liegt darauf, den Opfern schnelle Hilfe zukommen zu lassen. Im Rahmen dieser Schnellen Hilfen nach §§ 29 ff. SGB XIV sind insbesondere die Inanspruchnahme eines Fallmanagements und die Behandlung in der Traumaambulanz vorgesehen. Ob ein Anspruch auf Schnelle Hilfe besteht, wird dabei summarisch geprüft und entsprechende Hilfen werden lediglich dann abgelehnt, wenn ein geschilderter Sachverhalt offensichtlich unrichtig ist. 

Mit dem Fallmanagement sind Hilfen im Antrags- bzw. Verwaltungsverfahren verbunden.

Die Traumaambulanz dient der psychotherapeutischen (Früh-) Intervention und soll psychische Gesundheitsstörungen bzw. deren Chronifizierung verhindern. Die erste Sitzung hat innerhalb von 12 Monaten nach dem schädigenden Ereignis oder nach dessen Kenntnisnahme oder wenn es später zu einer psychischen Belastung führt, zu erfolgen (§§ 32f. SGB XIV). Diese Hilfen stehen auch den Angehörigen, Hinterbliebenen und den nahestehenden Personen offen (§ 32 Abs. 2 SGB XIV).

Es besteht zunächst ein Anspruch auf 15 Sitzungen (bei Kindern und Jugendlichen 18 Sitzungen). Sofern ein entsprechender Bedarf festgestellt wird, besteht ein Anspruch auf weitere 10 Sitzungen.

Wird im Rahmen dieser Behandlung ein weiterer psychotherapeutischer Bedarf festgestellt, ist die Traumaambulanz verpflichtet, dies den zuständigen Behörden mitzuteilen (vgl. § 35 Abs. 2 SGB XIV).

II.

Ein Anspruch auf folgende weitere Leistungen kann unter Berücksichtigung der entsprechenden gesetzlichen Vorausetzungen bestehen und von der betroffenen Person in Anspruch genommen werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass hier nicht alle Leistungen aufgeführt werden können, die das SGB XIV tatsächlich vorsieht.

1. Krankenbehandlung

Für anerkannte Schädigungsfolgen besteht ein Anspruch auf Krankenbehandlung  nach  § 41 SGB XIV und soweit notwendig auf ergänzende Leistungen nach § 43 SGB XIV (wie z. B. psychotherapeutische oder zahnärztliche Leistungen, medizinische Rehabilitation).

2. Krankengeld

Weiterhin haben Geschädigte im Fall einer schädigungsbedingten Arbeitsunfähigkeit oder einer erforderlichen stationären Behandlung Anspruch auf Krankengeld (vgl. § 47 SGB XIV).

3. Leistungen zur Teilhabe

Auch können Geschädigte Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (vgl. § 63 SGB XIV) und zur Sozialen Teilhabe (vgl. § 66 SGB XIV) sowie Leistungen bei Pflegebedürftigkeit (vgl. § 71 SGB XIV) geltend machen.

4. Besondere Leistungen im Einzelfall

Hier wird betroffenen Personen geholfen, die schädigungsbedingt nicht oder nicht mehr in ausreichender Form in der Lage sind, ihre Lebensgrundlage durch erzieltes Einkommen oder durch Vermögen sicher zu stellen.  Es können z. B. Leistungen zum Lebensunterhalt und auch zur Weiterführung eines Haushaltes sowie Leistungen zur Förderung einer Berufsausbildung beantragt werden.

5. Monatliche Entschädigungszahlungen

Auch eine monatliche Entschädigungszahlung (oder eine Abfindungszahlung) kommt in Betracht und dient der Kompensation der durch die erlittene gesundheitliche Schädigung verlorenen gesundheitlichen Integrität und dem Ausgleich von Mehraufwendungen für die Folgen der Schädigung.

6. Übergangsregelungen

Das SGB XIV gilt für Anträge, die ab dem 1. Januar 2024 gestellt werden.  Das Gesetz sieht umfangreiche Übergangs- und Besitzstandsregelungen vor, auf die in diesem Rahmen im Einzelnen nicht eingegangen werden kann. Beispielhaft wird hier lediglich auf das bestehende Wahlrecht hingewiesen, soweit eine betroffene Person bereits vor dem 1. Januar 2024 Leistungen nach dem BVG erhalten hat. In diesem Fall kann die betroffene Person wählen, ob sie in das neue Recht des SGB XIV wechselt oder im Rahmen des Besitzstandsschutzes weiterhin Leistungen nach dem "alten" BVG erhalten möchte. 

Wichtig:

Entsprechende Entschädigungsleistungen werden in der Regel auf Antrag erbracht (vgl. § 10 SGB XIV). Manche Leistungen, wie die Leistungen auf Teilhabe am Arbeitsleben, können auch von Amts wegen erbracht werden.

 

Weitere Hinweise können der Broschüre "Das Soziale Enschädigungsrecht - SGB XIV" entnommen werden, die vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales veröffentlicht wurde.