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Mut zum Handeln! Familie, Kinder, Frauen und Jugend wirksam fördern

Fachinfo
Erstellt von Marion von zur Gathen

Einen Überblick zu Paritätischen Forderungen im Bereich der Familien-, Kinder- und Gleichstellungspolitik gibt in diesem Beitrag Marion von zur Gathen, Leiterin der Abteilung Soziale Arbeit beim Paritätischen Gesamtverband.

Jede Zeit hat ihre eigenen Herausforderungen, muss sich gesellschaftlichen Umbrüchen, Krisen und nationalen und globalen Entwicklungen stellen und hierauf Antworten finden. Besonders gefragt ist hierbei eine Politik, die als gestaltende Kraft Visionen und Ideen in Konzepte gießen und für deren Umsetzung Mehrheiten gewinnen kann. Wenn aber in einem der reichsten Länder der Welt die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander geht, wenn rund 2,7 Millionen Kinder als arm gelten, über 40 Prozent der Alleinerziehenden gegenwärtig mit ihrem Einkommen unterhalb der Armutsschwelle liegen, wenn es nach wie vor erkennbare Defizite bei der Gleichstellung der Geschlechter gibt, wenn Kinder und Jugendliche in Deutschland nicht über die gleichen Bildungs- und Teilhabechancen verfügen, wenn Inklusion vielerorts kaum mehr als ein Lippenbekenntnis ist, dann fehlt es offenbar an Konzepten, Ideen und Gestaltungswillen in der Politik.

Für viele Menschen ist die Familie nach wie vor der zentrale Lebensbereich. Um aber eine Familie gründen und leben zu können, sind verlässliche Rahmenbedingungen unabdingbar. Hierbei ist eine monetäre Entlastung und Förderung von Familien ebenso erforderlich, wie eine familienunterstützende Infrastruktur und eine ausgewogene Zeitpolitik. Laut amtlicher Statistik (Datenreport 2016) lebten in Deutschland 2014 insgesamt 8,1 Millionen Familien, knapp ein Fünftel davon waren Familien mit einem Elternteil. In etwas mehr als der Hälfte der Familien lebte ein Kind, in 36 Prozent zwei und in elf Prozent drei und mehr minderjährige Kinder. Im selben Zeitraum verfügten neun Prozent aller Familien über ein monatliches Familien-Nettoeinkommen von weniger als 1.300 Euro. Knapp jede dritte Familie verfügte monatlich über ein Nettoeinkommen zwischen 1.300 und 2.600 Euro. Vier von zehn Alleinerziehenden mussten 2014 mit einem Familien-Nettoeinkommen von unter 1.300 Euro im Monat  auskommen; rund jeder zweite Haushalt von Alleinerziehenden hatte ein Nettoeinkommen zwischen 1.300 und 2.600 Euro.

Unzureichende Förderung von Familien

Insbesondere die Armutsquote von Alleinerziehenden verharrt seit Jahren auf einem anhaltend hohen Niveau. Ebenso ist die Armutsquote von Familien mit drei und mehr Kindern doppelt so hoch wie von Familien mit einem und zwei Kindern. Demnach ist das Risiko, in Armut zu geraten gerade für Alleinerziehende und Familien mit drei und mehr Kindern besonders ausgeprägt.  Diese  Erkenntnis  ist sicher alles andere als neu, denn die Daten sprechen seit Jahren eine eindeutige Sprache. Es ist in Deutschland nach wie vor nicht gelungen, eine hinreichende finanzielle Förderung und Unterstützung von Familien zu erreichen. Die Leistungen für Familien gelten als ineffizient, unübersichtlich und in ihrer Komplexität kaum mehr verständlich.

Ein  wirksamer  Familienlasten- und –leistungsausgleich findet kaum mehr statt. Jede familienbezogene Leistung hat ihre eigene Systematik, ihre eigene Berechnungsgrundlage und  Anrechnungslogik, die es selbst ausgewiesenen  Kennern der  Materie  oft  nicht leicht macht, den Überblick zu behalten. Obwohl es zahlreiche Ansätze und Überlegungen für eine Reform der familienbezogenen Leistungen gibt, ist es bisher nicht gelungen, ein entsprechendes Vorhaben auf den Weg zu bringen. Nach wie vor fehlt es erkennbar an einer nachhaltigen Strategie zur Bekämpfung der Armut von Familien.

Existenzsichernde Kindergrundsicherung

Vor diesem Hintergrund fordert der Paritätische eine Reform der  monetären  Förderung  und  Unterstützung von Familien. Hierzu sollten alle entsprechenden Leistungen auf den Prüfstand gestellt und zu einer einheitlichen, existenzsichernden Kindergrundsicherung zusammengeführt werden. Mit  dem quantitativen  Ausbau der Kindertagesbetreuung, wie er seit 2007 vorangetrieben wurde, sowie mit der Einführung des Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz für Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr in 2013, sind erste wichtige Schritte für eine Stärkung der Infrastruktur   für Familien geleistet worden. Die anhaltend hohe Nachfrage  nach Betreuungsplätzen macht allerdings deutlich, dass auch in den kommenden Jahren weitere Anstrengungen beim quantitativen Ausbau notwendig sein werden. Darüber hinaus muss die Qualität des Betreuungsangebots stärker  in den Blick genommen werden. Hier müssen deutliche Verbesserungen insbesondere  bei  den  Rahmenbedingungen  erzielt werden. Die Jugend- und Familienministerkonferenz hat sich auf ihrer Sitzung Mitte Mai 2017 auf Eckpunkte für ein Bundesqualitätsentwicklungsgesetz verständigt, der Bund hat die hierfür notwendigen Finanzmittel in Aussicht gestellt.

Bundesqualitätsentwicklungsgesetz auf den Weg bringen

Der Paritätische fordert die neue Bundesregierung auf,  auch in  der  kommenden Legislatur den eingeschlagenen  Weg  konsequent  weiterzuverfolgen, das Bundesqualitätsentwicklungsgesetz auf den Weg zu bringen und umzusetzen sowie die hierfür notwendigen Finanzmittel zur Verfügung zu stellen.

Nachhaltige Zeitpolitik

Ein wichtiger Aspekt für die Lebensqualität von Familien ist Zeit, die für Familie, Erwerbsarbeit, bürgerschaftliches Engagement, die Freizeit sowie die  eigene Regeneration zur  Verfügung steht. Familien sehen sich immer stärker unter Druck, in der „rush hour of life“ möglichst viele der Erwartungen zu erfüllen. Eine nachhaltige Familienpolitik muss Konzepte und Strategien für eine nachhaltige Zeitpolitik entwickeln und auf den Weg bringen. Diese reichen unter anderem von der Förderung der partnerschaftlichen Vereinbarkeit von Familie und Beruf, dem erleichterten  Zugang zum Arbeitsmarkt nach Betreuungs- und Erziehungszeiten bis   hin zu einer Förderung einer familienfreundlichen Arbeitswelt sowie der Unterstützung bei  der  Übernahme  von  Pflegetätigkeiten und Sorge für Angehörige.

Der  Paritätische fordert  die  neue Bundesregierung auf, sich stärker als bisher mit Ansätzen und Überlegungen für eine nachhaltige Zeitpolitik für Familien auseinanderzusetzen  und hierbei auch Familienarbeitszeitmodelle zu entwickeln.

Inklusion als Prozess

Inklusion steht für die selbstverständliche Teilhabe aller Menschen an der Gesellschaft.  Die  Teilhabe  ist unabhängig von Behinderung, Geschlecht, sozialen  Bedingungen, Fähigkeiten, ökonomischen Voraussetzungen, Ethnizität,  Sprache,  Religion,  sexueller Orientierung und weiteren individuellen Merkmalen. Inklusion ist ein zu gestaltendes gesellschaftliches Prinzip, ein  Prozess,  dessen Umsetzung  für alle Lebensbereiche und Systeme entwickelt  und  gestaltet  werden muss.  Inklusion darf nicht nur Gegenstand von Sonntagsreden und  Lippenbekenntnissen sein, sie muss mit Leben gefüllt, zu einem Grundsatz des Zusammenlebens in unserer Gesellschaft werden. Erste Ansätze für eine Umsetzung von  Inklusion finden  sich vor allem im frühkindlichen Bildungsbereich.  Weitere  Bereiche,  wie  etwa das  Schul-  oder  Ausbildungssystem, müssen folgen. Klar sein muss dabei jedoch, dass Inklusion nicht zum Nulltarif zu haben ist. Das gilt auch für die Schaffung  einer  inklusiven Kinder- und Jugendhilfe. Der Paritätische fordert die neue Bundesregierung auf, sich konsequent für Inklusion einzusetzen, die hierfür erforderlichen Prozesse zu initiieren sowie die notwendigen Finanzmittel verbindlich bereitzustellen.

Gleichstellung der Geschlechter

Laut Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes sind Männer und Frauen gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. Die Ergebnisse des 1. und 2. Gleichstellungsberichts zeigen nicht nur den konkreten Handlungsbedarf, sie machen auch deutlich, dass es zwischen Männern und Frauen nach wie vor ungleiche Verwirklichungschancen  sowie  die  ungleiche Verteilung von Chancen und Risiken im Lebenslauf gibt. Ausdruck dessen ist unter anderem der „Gender Pay Gap“ (Einkommensunterschiede aufgrund des Geschlechts) sowie der „Gender Pension Gap“ (Einkommensungleichheit von Männern und Frauen im Alter).

Es ist nicht länger hinnehmbar, dass Frauen für die gleiche Arbeit weniger verdienen als Männer, dass „typische Frauenberufe“ schlechter entlohnt werden als  andere  und  Frauen aufgrund der Übernahme von Sorge- und Pflegearbeiten seltener Karriere machen und geringere Rentenanwartschaften erwerben. Der Paritätische fordert die neue Bundesregierung  auf,  endlich ein Rahmenkonzept für eine konsequente Gleichstellung der Geschlechter vorzulegen und um zusetzen.

Es ist an der Zeit, Mut zum Handeln zu zeigen und mit neuen Konzepten und Ideen endlich Teilhabe und Chancengerechtigkeit für alle Menschen in Deutschland herzustellen.