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Paritätische Positionsbestimmung zur Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zur "Dritten Option" beim Geschlechtseintrag

Stellungnahme
Erstellt von Greta Schabram

Geschlechtliche Identität ist von fundamentaler Bedeutung für ein jedes Individuum, eine höchstpersönliche Angelegenheit und steht deshalb unter dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Der Paritätische Gesamtverband tritt deshalb für einen weiteren Geschlechtseintrag im Personenstandsrecht ein. Anstelle von Fremdbestimmung in Form stigmatisierender medizinischer oder psychiatrischer Begutachtungen ist es geboten, dass die Selbsterklärung der Person als Verfahren etabliert wird. Ein nicht-binärer Geschlechtseintrag muss allen Menschen offen stehen, insbesondere transgeschlechtlichen sowie auch intergeschlechtlichen Menschen. Dringend muss die vom Bundesverfassungsgericht im Jahr 2017 geforderte verfassungskonforme Neuregelung zum Geschlechtseintrag den Schutz intergeschlechtlicher Kinder vor medizinisch nicht zwingend notwendigen geschlechtszuweisenden oder -anpassenden Eingriffen sicherstellen – schließlich geht es um deren körperliche Unversehrtheit und geschlechtliche Selbstbestimmung.

Der Paritätische spricht sich dafür aus, einen weiteren Geschlechtseintrag im Personenstandsgesetz nach folgender Maßgabe einzuführen:


Nicht-binärer Geschlechtseintrag auch für transgeschlechtliche Menschen
Ein nicht-binärer Geschlechtseintrags muss auch für transgeschlechtliche Personen mit nicht-binärer Geschlechtsidentität möglich sein, weshalb ein Verzicht auf körperliche Voraussetzungen gefordert wird. Für transgeschlechtliche Menschen wäre der Ausschluss von einer neuen, nicht-binären Geschlechtsoption verfassungswidrig, da er eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts darstellen würde. Neue Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht wären die Folge.

Selbsterklärung anstelle medizinischer Nachweise
Für intergeschlechtliche Menschen wäre die Voraussetzung medizinischer Nachweise eine unzumutbare Barriere, da viele über diese Nachweise nicht verfügen bzw. Begutachtungen erneut zur Pathologisierung der natürlichen Varianz von Geschlechtsmerkmalen führen würden. Statt stigmatisierender medizinischer oder psychiatrischer Begutachtungen sollte die Selbsterklärung der Person und mithin ein niedrigschwelliges Verfahren sowohl für intergeschlechtliche, wie auch für transgeschlechtliche Menschen vorgesehen werden. Damit wäre auch der jahrelange Streit um die Reform des "Transsexuellengesetzes", insbesondere der Begutachtungspraxis, gelöst.

Ausweitung von Beratungsanspruch und Beratungsangeboten zu geschlechtlicher Vielfalt
Es bedarf in Deutschland mehr Beratung für intergeschlechtliche sowie transgeschlechtliche Menschen und deren Eltern. Bislang erfolgt diese Arbeit im hohen Ausmaß auf ehrenamtlicher Basis und reicht längst nicht aus. Deshalb fordert der Paritätische einen gesetzlichen Beratungsanspruch zu geschlechtlicher Vielfalt, eine Ausweitung von Beratungsstrukturen und deren finanzielle Absicherung. Diese Maßnahmen sind notwendig, um Kinder, Erwachsene und Eltern auf eigenen Wunsch hin psychosozial zu begleiten und in wichtigen Lebensfragen- und Phasen professionell zu beraten.


Konsultation der betreffenden Personenkreise für Benennung des Geschlechtseintrags
Zu der Frage nach der Benennung des Geschlechtseintrags sollten die betreffenden Personenkreise, d.h. intergeschlechtliche sowie transgeschlechtliche Interessenverbände, konsultiert werden. Schließlich können nur diese beurteilen, welcher Begriff einen positiven Selbstbezug, wie vom Bundesverfassungsgericht gefordert, ermögliche. Der Vorschlag des Bundesinnenministeriums („anderes“) stellt keine diskriminierungsfreie Benennung dar und wird laut einer Befragung von der deutlichen Mehrheit intergeschlechtlicher Menschen als diskriminierend abgelehnt.


Schutz der körperlichen Unversehrtheit und Selbstbestimmung durch OP-Verbot
Aufgrund des unmittelbaren menschenrechtlichen Handlungsbedarfs zum Schutz intergeschlechtlicher Kinder vor geschlechtsverändernden Operationen muss in dem bevorstehenden Gesetzgebungsverfahren die körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung von Säuglingen und Kleinkindern sichergestellt werden. Gefordert wird, dass das Recht der elterlichen Sorge um ein klarstellendes Verbot der Einwilligung in medizinisch nicht zwingend notwendige geschlechtszuweisende oder -anpassende Eingriffe an Genitalien und Keimdrüsen für die gesetzlichen Vertreter ergänzt wird. Dies ist umso erforderlicher, als jüngst wissenschaftliche Untersuchungen anhaltend hohe Zahlen zu solchen Eingriffen belegen. Aufschiebbare medizinische Eingriffe an intergeschlechtlichen Kindern, bevor diese selbst in der Lage sind, ihre informierte Einwilligung zu geben, sind unzulässig. Menschenrechtsorganisationen, Akteure in den Bereichen Kinderrechte und Kinderschutz sowie Interessenverbände intergeschlechtlicher Menschen fordern das Verbot seit vielen Jahren. Zudem impliziert nicht zuletzt die Anerkennung weiterer Geschlechter, dass es keine Grundlage für Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit dieser nicht einwilligungsfähigen Kinder gibt. Darüber hinaus ist im Sinne eines möglichst effizienten Schutzes intergeschlechtlicher Kinder eine Europäische Lösung in Form eines europaweiten Verbotes anzustreben.


Hintergrund
Am 10. Oktober 2017 hat das Bundesverfassungsgericht der Klage der intergeschlechtlichen Person „Vanja“ stattgegeben, die eine weitere Geschlechtsangabe neben den bisher möglichen Geschlechtseinträgen „männlich“, „weiblich“ und dem Offenlassen des Geschlechtseintrags nach § 22 Abs. 3 PStG gefordert hat. Der Gesetzgeber wurde aufgefordert, bis zum 31.12.2018 eine verfassungsgemäße Neuregelung zu schaffen. In der Urteilsbegründung wird ausdrücklich auf den Schutz der geschlechtlichen Identität im Rahmen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts verwiesen: „Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt die geschlechtliche Identität auch jener Personen, die weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuzuordnen sind“. Weiter heißt es dazu u.a., dass bei einer Verwehrung einer personenstandsrechtlichen Anerkennung der geschlechtlichen Identität „[…] die selbstbestimmte Entwicklung und Wahrung der Persönlichkeit dieser Person spezifisch gefährdet [sei]“. Das Bundesverfassungsgericht folgt mithin einem auf Selbstbestimmung basierenden Geschlechtskonzept und stellt ausdrücklich das Geschlechtsempfinden bzw. die Geschlechtsidentität von Individuen unter den Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts.

Aus dem Bundesinnenministerium gibt es erste Hinweise zur Vorbereitung eines Gesetzgebungsverfahrens zur Umsetzung des Bundesverfassungsgerichtsurteils, das eine ungenügende Minimallösung befürchten lässt, weil sie das Persönlichkeitsrecht von intergeschlechtlichen sowie auch transgeschlechtlichen Menschen zur Bestimmung ihres Geschlechts nur unzureichend anzuerkennen droht. Dies ist auch vor dem Hintergrund erstaunlich, dass der Interministeriellen Arbeitsgruppe „Transsexualität/ Intersexualität“ seit 2017 zwei vom BMFSFJ in Auftrag gegebene Gutachten mit der Forderung eines weiteren Geschlechtseintrags sowie ein nur auf Selbstauskunft der Person basierendes Verfahren zur Bestimmung und Änderung des Geschlechtseintrags vorliegt. Im rechts- wie sozialwissenschaftlichen, von der Humboldt-Universität zu Berlin erstellten Gutachten zum Regelungs- und Reformbedarf für transgeschlechtliche Menschen wird eine Aufhebung des „Transsexuellengesetzes“ sowie u.a. die Abschaffung der psychologischen Begutachtungspflicht (zur Änderung von Vornamen und Geschlechtseintrag) gefordert. Wie das Bundesverfassungsgericht beschloss, wird das Recht zur Bestimmung des eigenen Vornamens und Geschlechts als ein Selbstbestimmungsrecht mit keinerlei Zusammenhang zu medizinischen oder therapeutischen Maßnahmen verortet. Zudem weisen die Ergebnisse auf ein bestehendes Begutachtungsverfahren hin, das in vielen Fällen von unverhältnismäßigem Zeit- und Kostenaufwand, von entwürdigenden und diskriminierenden Erfahrungen geprägt ist und somit die antragstellenden Personen in ihren Grundrechten verletzt. Das vom Deutschen Institut für Menschenrechte verfasste Gutachten zum grund- und menschenrechtlichen Schutz von Geschlechtervielfalt entwirft ebenso ein Gesetz, das neben einer Reihe weiterer notwendiger Regelungen einerseits einen dritten Geschlechtseintrag („weitere Geschlechtsoptionen“ mit eigener Bezeichnung von maximal 30 Zeichen) vorsieht. Andererseits wird zur Änderung des Vornamens und Geschlechtseintrags ein auf Selbstauskunft basierendes Verfahren gefordert, d.h. eine von körperlichen Voraussetzungen, medizinischen Nachweisen und Begutachtungspflichten freie Beantragung.

Definition Intergeschlechtlichkeit und Transgeschlechtlichkeit
Der Begriff Intergeschlechtlichkeit meint Menschen, deren körperlich-biologisches Geschlecht nicht in die medizinische und gesellschaftliche Norm weiblicher und männlicher Körper passt. Dies kann in der Ausprägung der Chromosomen, der Keimdrüsen oder der anatomischen Entwicklung von primären oder sekundären Geschlechtsmerkmalen begründet sein. Der Begriff Transgeschlechtlichkeit meint Menschen, die sich nicht (nur) mit dem ihnen bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren. Der Begriff bezieht sich damit auf die Vielzahl der Geschlechtsidentitäten. In beiden Personengruppen befinden sich sowohl Menschen, die sich mit einem binären Geschlecht (männlich oder weiblich) identifizieren als auch solche, die das nicht tun.




Berlin, den 15. Juni 2018

Stellungnahme_Paritaet_DritteOption_15062018.pdfStellungnahme_Paritaet_DritteOption_15062018.pdf