Paritätischer spricht sich für frühere Entscheidung zur allgemeinen Impfpflicht aus
Mit einem Brandbrief zur Impfpflicht wendet sich der Paritätische an die Politik und warnt vor einer Unterversorgung von auf Unterstützung, Pflege und Betreuung angewiesenen Personen.
Mit einem Brandbrief wendet sich der Paritätische Wohlfahrtsverband an die demokratischen Fraktionen im Deutschen Bundestag und fordert einen zügigen Beschluss des Deutschen Bundestages zu einer allgemeinen Impfpflicht und eine Harmonisierung der Fristen für die einrichtungsbezogene und avisierte allgemeine Impfpflicht.
Im Folgenden dokumentieren wir den Brief im Wortlaut.
An die Fraktionsvorsitzenden und die Mitglieder der Fraktionen der SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und Die Linke des Ausschusses für Gesundheit im Deutschen Bundestag
nachrichtlich an den Bundesminister für Gesundheit, Prof. Dr. Karl Lauterbach
Sehr geehrte Damen und Herren,
anlässlich der Umsetzung der kürzlich beschlossenen einrichtungsbezogenen Impfpflicht erreichen uns Meldungen unserer Mitgliedsorganisationen und Einrichtungen, die mit Blick auf die drohenden Konsequenzen der Impfpflicht in ihren Häusern und Diensten große Sorge und dringenden Handlungsbedarf zum Ausdruck bringen. Die Umsetzung einer lediglich einrichtungsbezogenen Impfpflicht stellt zahlreiche Einrichtungen und Dienste der Freien Wohlfahrtspflege sowie die von ihnen versorgten Menschen aktuell und perspektivisch vor reale Schwierigkeiten. Hier stellt sich nicht nur die Frage, wie das freigestellte Personal ersetzt werden kann, viele weitere arbeits- und ordnungsrechtliche Fragen sind ebenfalls nicht geklärt.
Es besteht nach verschiedentlichen Rückmeldungen die reale Gefahr und es ist nicht auszuschließen, dass es regional durchaus zu Unterversorgungsszenarien von auf Unterstützung, Pflege und Betreuung angewiesenen Personen kommen kann. Die vierte Infektionswelle wird in den Einrichtungen bei ohnehin dünner Personaldecke zu krankheits- oder quarantänebedingtem Personalmehrausfall führen. Dazu kommt nun in regional möglicherweise relevanter Größenordnung eine erhöhte und in den Einrichtungen bereits angekündigte Personalabwanderung ungeimpfter Mitarbeitender in Bereiche, die nicht mit einer Impfpflicht belegt sind. Bei Verbleib und weiterer Impfverweigerung droht ihnen ein Beschäftigungsverbot ab dem 16. März 2022. Eine mögliche Verschärfung des Versorgungsgefälles zwischen städtischen und ländlichen Regionen ist vor diesem Hintergrund ebenfalls ernst zu nehmen.
Zudem wird die Durchsetzung einer einrichtungsbezogenen Impfpflicht letztlich auf dem Rücken geimpfter Mitarbeitender vollzogen, die sich – und nicht erst seit der Corona-Pandemie – tagtäglich an ihrer Belastungsgrenze und zudem einem erhöhten Infektionsrisiko stark exponiert für das Wohlergehen ihrer Patient*innen und Bewohner*innen einsetzen. Umso schwerer wiegt vor diesem Hintergrund die bereits lange vor der Corona-Pandemie hinlänglich bekannte und nicht unerhebliche Personalnot in diesen Bereichen.
Wir unterstützen die Maßnahmen zur Pandemiebewältigung einschließlich der Schutzimpfung vollumfänglich. Die uns angeschlossenen Einrichtungen und Dienste haben im Rahmen zahlreicher Impfkampagnen bereits über ihre Ressourcen hinaus wertvolle Unterstützung durch niedrigschwellige Aufklärungsarbeit und die Ermöglichung von Impfungen, Testungen und weiteren Infektionsschutzmaßnahmen geleistet.
Eine hohe Impfquote innerhalb der gesamten Bevölkerung ist aus unserer Sicht ein wichtiger Schlüssel, um eine weitere unkontrollierte und exponentielle Ausbreitung des Coronavirus eindämmen, das Gesundheitssystem mit seinen vielen Beschäftigten entlasten, vulnerable Gruppen nachhaltig schützen und auf eingriffsintensive Schutzmaßnahmen langfristig verzichten zu können. Durch die schnelle Einführung einer allgemeinen Impfpflicht kann der drohenden und evtl. nicht mehr reparablen Personalabwanderung in Bereiche ohne bestehende Impfpflicht und der daraus resultierenden Unterversorgung vorgegriffen werden. Nur mit einer verpflichtenden Impfung aller, die sich impfen lassen können, können diese Ziele mittel- und langfristig erreicht werden.
Dass nach der Ankündigung einer baldigen allgemeinen Impfpflicht durch den Bundeskanzler diese nun von verschiedener Seite in Frage gestellt wird und eine Entscheidung darüber erst zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen soll, die einrichtungsspezifische Impfpflicht aber bereits in Kraft ist und unverändert fortgeführt werden soll, führt zu Verunsicherungen bei den uns angeschlossenen Einrichtungen und Diensten. Vor diesem Hintergrund können wir kein Verständnis dafür aufbringen, dass in dieser schwierigen Lage im Februar wegen Karneval nur eine Sitzungswoche stattfinden soll. Was weiter dringend benötigt wird, ist eine abgestimmte, kohärente Impfgesamtstrategie, die im Lichte gegebener und absehbarer Veränderungen der Infektionslage auch das Verhältnis zwischen einrichtungsbezogener und allgemeiner Impfpflicht austariert.
Wir bitten Sie daher, unser Anliegen zu unterstützen und darauf hinzuwirken, dass der Beschluss des Deutschen Bundestages zu einer allgemeinen Impfpflicht deutlich vor dem jetzt diskutierten Zeitpunkt Ende März gefasst wird. Auch sehen wir Anlass dazu, die Fristen für die einrichtungsbezogene und avisierte allgemeine Impfpflicht zu harmonisieren. Da die Erstimpfung der bisher ungeimpften Beschäftigten bis Mitte Januar erfolgen müsste, um einen vollen Impfschutz bis März überhaupt gewährleisten zu können, ist hier Eile geboten. Dies gilt insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass aufgrund bestehender Abgrenzungsfragen einige Organisationen und Einrichtungen immer noch keine verbindliche Antwort auf die Frage haben, ob sie unter die Impfpflicht fallen oder nicht.
Mit freundlichen Grüßen
Prof. Dr. Rolf Rosenbrock Dr. Ulrich Schneider
Vorsitzender Hauptgeschäftsführer