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Regelbedarfsanpassung 2024 beschlossen

Das Bundeskabinett hat in der Sitzung vom 13. September die Anpassung der Regelbedarfe zum 1. Januar 2024 beschlossen. Danach steigen die Regelbedarfe um etwa 12 Prozent, bei einer*m Alleinstehenden steigen damit die Regelleistungen von 502 Euro auf 563 Euro. Die Anpassung ist gesetzlich vorgeschrieben. Die Anpassungsformel wurde zuletzt durch das Bürgergeld verändert, um einen Kaufkraftverlust der Leistungsberechtigten durch die aktuell sehr hohe Inflation zu verhindern.

In der angehängten Verordnung wird die Anpassung der Regelbedarfe zum 1. Januar 2024 normiert. Konkret lauten die Regelbedarfe ab 1. Januar 2024 wie folgt:

Regelbedarfsstufe 1 (alleinlebende Erwachsene): 563 Euro

Regelbedarfsstufe 2 (Erwachsene Partner*innen): 506 Euro

Regelbedarfsstufe 3 (dritte Erwachsene): 451 Euro

Regelbedarfsstufe 4 (Jugendliche 14 bis 17 Jahre): 471 Euro

Regelbedarfsstufe 5 (Kind 6 bis 13 Jahre): 390 Euro

Regelbedarfsstufe 6 (Kind bis 6 Jahre):  357 Euro

 

Die Anpassung der Regelbedarfe wirkt sich aus auf die Leistungen nach den Sozialgesetzbüchern II (Bürgergeld) und XII (Sozialhilfe). Zudem werden die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und die Leistungen der Sozialen Entschädigung analog angepasst. Schließlich werden auch die persönlichen Schulbedarfe im Rahmen der Leistungen für Bildung und Teilhabe mit diesem Faktor angepasst (siehe für weitere Details den Entwurf der Rechtsverordnung).   

Zur Erläuterung:

Angesichts der dynamischen Preisentwicklungen insbesondere bei Energie und Lebensmitteln wurde in dem Bürgergeldgesetz ein Handlungsbedarf zur Änderung der Anpassungsformel bei der Fortschreibung der Regelbedarfe anerkannt. Die Bundesregierung reagierte damit nach eigenem Bekunden auf die Aufforderung des Bundesverfassungsgerichts aus 2014, nach der der Gesetzgeber zeitnah auf Preisentwicklungen reagieren müsse.

Die modifizierte Regelung sieht nunmehr ein zweistufiges Fortschreibungsverfahren (§ 28a SGB XII neu) vor: Die bisherige Fortschreibung der Regelbedarfe mit dem Mischindex aus regelbedarfsrelevanter Preisentwicklung (70%) und Lohnentwicklung (30%) bleibt in identischer Form bestehen und bildet nunmehr die erste Stufe der Fortschreibung (»Basisfortschreibung«). Der zweite Schritt berücksichtigt zusätzlich die aktuelle Entwicklung des regelbedarfsrelevanten Preisindex im zweiten Quartal des aktuellen Jahres gegenüber dem entsprechenden Vorjahreszeitraum (»ergänzende Fortschreibung«). Mit der ergänzenden Fortschreibung wird de facto ein Teilaspekt der regulären Fortschreibung deutlich stärker gewichtet: die Preisentwicklung im zweiten Quartal gegenüber dem Vorjahreszeitraum geht doppelt in das neue Verfahren ein. Beide Verfahrenschritte ergeben kombiniert die Fortschreibung.

Für das Jahr 2023 ergaben sich durch die modifizierte Fortschreibung folgende Werte (§ 134 SGB XII): »Basisfortschreibung«: 4,54%, »ergänzende Fortschreibung«: 6,9%. Daraus ergab sich laut Gesetz eine Fortschreibung der Regelbedarfe um 11,75%. Im Ergebnis führte das neue Verfahren zu der gewünschten höheren Anpassung. Statt einer angesichts der hohen Inflation völlig unzureichenden Anpassung von lediglich 4,54% (nach einer desaströsen Fortschreibung zum 1. Januar 2022 von 0,76 Prozent!), ergab sich eine Anpassung von immerhin 11,75%. Für die Leistungsberechtigten war dies eine willkommene Entlastung. Gleichwohl war diese Anpassung unzureichend, um die Kaufkraft der Leistung zu erhalten. Denn im Dezember 2022 sind die regelbedarfsrelevanten Preise gegenüber dem Vorjahr um 12,6% angestiegen. Im Lichte dieser Zahlen reichte die – scheinbar generöse – Anpassung nicht einmal aus, um den Preisanstieg zu kompensieren. Nach den Berechnungen von Irene Becker hätte der Regelbedarf zu Anfang 2023 bereits 525 Euro statt 502 Euro betragen müssen - nur um die regelbedarfsspezifische Inflation auszugleichen.

Die Anpassung zum 1.1.2024 durch die anhängende Verordnung (Entwurf) wiederholt nunmehr das beschriebene Verfahren. Allerdings werden in diesem Jahr nicht die aktuell gültigen Regelbedarfe als Ausgangspunkt des zweistufigen Berechnungsverfahrens genommen, sondern die Werte, die sich für 2023 aus dem Mischindex ergeben. Die ergänzende Fortschreibung wird jeweils für die Folgejahre nicht berücksichtigt. Die Ausgangswerte für die Anpassung 2024 liegen damit um 6,9 Prozent unter den aktuellen Regelbedarfen. Der Ausgangswert für die Fortschreibung für eine erwachsene alleinlebende Person beträgt danach nicht 502 Euro (der aktuelle Regelbedarf), sondern 469,38 Euro. Das klingt und ist kompliziert, entspricht aber der gesetzlichen Vorgabe und wird in der Verordnung auch entsprechend umgesetzt. Nach dem Mischindex (erster Schritt) ergibt sich nach den Angaben des Verordnungsentwurfs eine Anpassung von 9 Prozent (Preisentwicklung: 10,6 Prozent und Lohnentwicklung: 5,5 Prozent). In dem zweiten Schritt erfolgt die ergänzende Fortschreibung (Preisentwicklung im 2. Quartal 2023 gegenüber dem Vorjahr) in Höhe von 9,9 Prozent. Die Kombination aller Berechnungsschritte ergibt schließlich eine Anpassung der Regelbedarfe gegenüber dem Status quo um ca. 12 Prozent.

Zur Einordnung und Bewertung der Anpassung der Regelbedarfe sei abschließend auf folgende Aspekte hingewiesen:

1. Eine Anhebung der Regelbedarfe um 12 Prozent liegt geringfügig oberhalb der Preisentwicklung der regelbedarfsspezifischen Güter und Dienstleistungen zum Ende des zweiten Quartals 2023 gegenüber dem Vorjahr. Dies ist für die Betroffenen eine willkommene und überfällige Entlastung. Sie ist auch insofern berechtigt, da die Anpassung zum 1.1.2023 unterhalb der tatsächlichen Preisentwicklung geblieben ist und ein entsprechender Nachholbedarf besteht. Die Regelbedarfsanpassung sorgt damit im Kern dafür, dass angesichts der weiterhin hohen Inflation die Kaufkraft erhalten bleibt, von einer realen Erhöhung kann daher keine Rede sein. Die strukturelle Unterdeckung der Bedarfe von Grundsicherungsbeziehenden wird durch die Regelbedarfsanpassung nicht korrigiert. Besonders spürbar ist die Unterdeckung insbesondere bei den Aspekten Ernährung und Stromkosten. Der hohe und wachsende Andrang bei den Tafeln ist ein deutlicher Hinweis auf die massiven Probleme der Deckung selbst existenzieller Bedarfe bei den Leistungsberechtigten.

2. Die Anpassung folgt der gesetzlichen Regelung, die von allen politischen Parteien bei der Einführung des Bürgergelds mitgetragen wurde. Die aktuelle Fortschreibung stellt keine politische Entscheidung dar, sondern ist das rechnerische Ergebnis einer modifizierten Fortschreibeformel, die eingeführt wurde, um Grundsicherungsbeziehende besser vor akuten Kaufkraftverlusten zu schützen.

3. In der politischen Debatte wird verschiedentlich wieder einmal auf ein Lohnabstandsgebot verwiesen: Erwerbsarbeit lohne sich nicht oder nur zu wenig, weil die Grundsicherungsleistungen zu stark stiegen. Dazu prinzipiell: die rechtliche Norm eines Lohnabstandes wurde vom Bundesverfassungsgericht 2010 kritisiert und findet sich seitdem nicht mehr im Gesetz. Für die Ermittlung des Existenzminimum sind die Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt rechtlich nicht relevant. Gleichwohl ist es eine gesellschaftlich geteilte Norm, dass Erwerbstätige mehr Geld zur Verfügung haben sollen als Nicht-Erwerbstätige. Dies ist mit den geltenden Regeln auch gewährleistet, da ggf. auch für Erwerbstätige Ansprüche auf ergänzende Leistungen bestehen und Erwerbseinkommen teilweise nicht angerechnet werden. Zur Stärkung von Erwerbsanreizen gibt es zudem eine einfache Lösung: Anpassung auch des Mindestlohns und der Tariflöhne, damit auch für Erwerbstätige mit geringen Einkommen ein hinreichender Inflationsausgleich realisiert wird. Eine faktische Absenkung des menschenwürdigen Existenzminimums durch eine unzureichende Fortschreibung der Regelleistungen ist dagegen unsozial und widerspricht den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts.

4. Schließlich muss darauf hingewiesen werden, dass die hohe Anpassung durch die ergänzende Fortschreibung ein Problem für die Fortschreibung im folgenden Jahr werden könnte. Der Ausgangswert für die Fortschreibung 2025 startet mit einem Wert knapp 10 Prozent unterhalb der Regelbedarfe 2024. Die Kombination der beiden Berechnungsschritte müsste aus diesem Grund eine höhere Anpassung als 10 Prozent ergeben, damit es im Folgejahr überhaupt eine positive Fortschreibung gibt. Dies hängt maßgeblich von der weiteren Entwicklung der Inflation ab. Sofern die Inflation wieder zurückgeht, ist für das Jahr 2025 eine Nullrunde bei der Anpassung nicht unwahrscheinlich.