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Studie: Was brauchen Sexarbeiter*innen für ihre Gesundheit?

Zwei Jahre lang hat sich die Deutsche Aidshilfe im Rahmen einer partizipativen qualitativen Studie mit den Bedarfen von Sexarbeiter*innen auseinandergesetzt. Heute wurden die Ergebnisse dazu veröffentlicht. Gefördert wurde die Studie vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG).

Die Deutsche Aidshilfe beschreibt den Hintergrund sowie die Ergebnisse der Studie wie folgt:

Sexarbeiter*innen bilden keine homogene Gruppe. Ihre Lebenslagen sind sehr divers, sie haben unterschiedliche geschlechtliche Identitäten und die Kontexte, in denen sie der Sexarbeit nachgehen, sind äußerst vielfältig. Gemeinsam ist ihnen, dass sie sexuelle Dienstleistungen gegen Geld oder andere Formen der Entlohnung erbringen. Weltweit sind sie in besonderem Maß Stigmatisierung, Gewalt und Kriminalisierung ausgesetzt, was ihre Vulnerabilität für HIV und andere sexuell übertragbare Infektionen (STIs) deutlich erhöht.

Die Ergebnisse dieser Studie widerlegen die in öffentlichen Diskursen verbreitete dichotome Unterteilung in „unfreiwillige Prostituierte“ und „selbstbestimmte Sexarbeiter*innen“. Die Studienteilnehmenden beschreiben äußerst komplexe und vielfältige Empfindungen und Einstellungen gegenüber ihrer Tätigkeit und benennen sowohl Vor- als auch Nachteile. Allen gemeinsam ist, dass sie über die Tätigkeit als Arbeit sprechen. Sexarbeit wird von vielen als Ressource verstanden – in dem Sinne, dass sie für sie die beste oder einzige Möglichkeit darstellt, Geld zu verdienen und damit den eigenen Lebensunterhalt und in manchen Fällen auch den ihrer Familien zu sichern.

Die aus den verschiedenen Fokusgruppen hervorgehenden Bedarfe unterscheiden sich voneinander. Insgesamt zeichnen sich vier Kernprobleme ab, die das Leben von Sexarbeiter*innen erschweren und sich negativ auf ihre Gesundheit auswirken können:

  • Gewalterfahrungen und Angst vor Gewalt (zum Beispiel durch Kunden und Anwohner*innen),
  • Finanzielle Prekarität und existenzielle Not,
  • Belastungen psychischer Art, die oft in Zusammenhang mit erlebter Stigmatisierung stehen,
  • Kriminalisierung und fehlende Legalität – beispielsweise, wenn sie ohne gültige Anmeldung nach Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG) arbeiten, in Sperrbezirken arbeiten, keinen legalen Aufenthaltstitel besitzen und/ oder gegen das Betäubungsmittelgesetz verstoßen. Daraus folgend haben viele Studienteilnehmende Angst vor Polizei und Behörden.

Wenn eines oder mehrere dieser vier Kernprobleme und die daraus resultierenden Herausforderungen im Vordergrund stehen, können sich Sexarbeiter*innen nicht prioritär und meist nicht ausreichend um den Schutz ihrer Gesundheit kümmern.

Gleichwohl sprechen viele Studienteilnehmende dem Thema sexuelle Gesundheit eine hohe Bedeutung zu. Sie wünschen sich mehr Informationen, insbesondere zur HIV-Prä-Expositionsprophylaxe (PrEP), einer medikamentösen Schutzmethode vor HIV, und zur HIV-Postexpositionsprophylaxe (PEP), einer Notfallmaßnahme zum Schutz vor HIV nach einem Übertragungsrisiko. Fast die Hälfte der Befragten hatte vor der Teilnahme an der Studie noch nie von der PrEP gehört, ein weiterer Teil verfügte nur über vage Kenntnisse. Die PrEP erscheint vielen Studienteilnehmenden als eine vorteilhafte Safer-Sex-Methode und mögliche Professionalisierungsmaßnahme. Diverse Bedenken gegenüber der PrEP sowie Medikamenten-Einnahme im Allgemeinen waren jedoch auch weit verbreitet.

Viele Studienteilnehmende beobachten, dass zunehmend Sex ohne Kondom nachgefragt wird. Einige beschreiben, wie dieser Trend, verbunden mit der Verschlechterung ihrer finanziellen Situation, sie unter Druck setzt. Dadurch steigt die Angst bei Sexarbeiter*innen, sich mit HIV und STIs zu infizieren. Zu diesem Gefühl tragen Erfahrungen mit gerissenen Kondomen und Stealthing1 bei – genauso wie das Wissen darum, dass Kondome nicht zu hundert Prozent vor STIs schützen.

Einrichtungen des Öffentlichen Gesundheitsdienstes spielen für die sexuelle Gesundheit von Sexarbeiter*innen eine wichtige Rolle, insbesondere durch die kostenlosen und anonymen HIV/ STI-Untersuchungsangebote nach § 19 Infektionsschutzgesetz.

Eine zentrale Hürde vieler teilnehmenden Sexarbeiter*innen ist ein fehlender Krankenversicherungsschutz. Die Ergebnisse der Studie unterstreichen die Notwendigkeit, dass alle Menschen Zugang zur Krankenversicherung und alle Menschen mit HIV Zugang zur HIV-Therapie bekommen. Damit Sexarbeiter*innen von der PrEP profitieren können, sollte diese häufiger in Gesundheitsämtern, etwa auf Privatrezept, angeboten werden. Für die Verbesserung der Gesundheit von Sexarbeiter*innen sind auch strukturelle Veränderungen notwendig, die ihre Sicherheit und ihre Chancen auf ein selbstbestimmtes Leben erhöhen. Dazu gehören zum einen der Ausbau von Sozialarbeit und Beratung sowie das Schaffen von Räumen für den Peer-to-Peer-Austausch unter Sexarbeiter*innen. Zum anderen braucht es an Kunden gerichtete Präventionsmaßnahmen – etwa eine Kampagne zur Förderung von Respekt, fairen Preisen, der Nutzung von Kondomen sowie zur Aufklärung zu HIV/ STIs.

Auf Basis dieser Ergebnisse wurden elf Kernempfehlungen zur Verbesserung der Lebens-, Arbeits- und Gesundheitsbedingungen von Sexarbeiter*innen entwickelt, die im Anhang der Fachinformation neben weiteren Informationen abrufbar sind.

Zuständige Ansprechperson bei der Deutschen Aidshilfe:
Eléonore Willems, Projektleiterin
E-Mail: eleonore.willems@dah.aidshilfe.de