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Vorurteil: "Zugewanderte nutzen den Sozialstaat aus."

Falsch, denn:

  • Es gibt keine massenhafte „Armutszuwanderung“ in die deutschen Sozialsysteme.
  • Das Grundgesetz garantiert die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums für alle Menschen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten.
  • Zugewanderte und Asylbewerber/-innen werden im deutschen Sozialstaat faktisch diskriminiert.

Fakten & Argumente:

Es gibt keine massenhafte „Armutszuwanderung“ in die deutschen Sozialsysteme.

Die Aussage, dass keine „Zuwanderung in die Sozialsysteme“ erfolgen soll, wird gern als Argument gegen bestimmte Zuwanderergruppen verwendet: Vor einigen Jahren war es ein Argument gegen die Öffnung des deutschen Arbeitsmarktes für Menschen aus den östlichen EU-Staaten, was sich nicht bewahrheitet hat. Im Gegenteil: wie Studien des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit zeigen, zahlten Zuwanderer aus Rumänien und Bulgarien sogar mehr Steuern und Sozialabgaben in deutsche Kassen ein, als ihre Landsleute daraus in Anspruch nahmen. Im Dezember 2016 erhielten 144.000 Bulgaren/-innen und Rumänen/-innen Leistungen nach dem SGB II („Hartz IV“), von insgesamt über sechs Millionen Hartz-IV-Beziehenden, das entspricht einem Anteil von gerade einmal 2,3 Prozent aller Leistungsbeziehenden.

Nun sollen es geflüchtete Menschen sein, die „nur wegen des Geldes kommen“. Die Motive, warum Menschen nach Deutschland flüchten, sind aber nicht die Transferleistungen, sondern ein Leben in Sicherheit und Frieden oder die Aussicht auf Bildung und Arbeit. Die wirtschaftlich gute Situation in Deutschland zieht Geflüchtete ebenso an wie Fachkräfte; Familienmitglieder ziehen nach. Und regelmäßig verlassen Menschen Deutschland auch wieder.

2015 betrug die Nettozuwanderung nach Deutschland 1,1 Millionen Personen: Knapp zwei Millionen ausländische Personen kamen nach Deutschland, gleichzeitig zogen rund 860 000 Ausländerinnen und Ausländer aus Deutschland fort. Im gleichen Jahr wurden rund 888 Mrd. Euro für soziale Leistungen in Deutschland ausgegeben. Das waren rund 30% des BIP. Diese Kosten teilen sich Arbeitnehmer, Arbeitgeber und der Staat. Die mit Abstand größten Posten dabei sind Leistungen der Sozialversicherungen für Versicherungsnehmer/-innen, insbesondere Leistungen der Rentenversicherung (365,1 Mrd. Euro) und der Krankenversicherung (331,2 Mrd. Euro), die zusammen fast 56 Prozent des Sozialbudgets ausmachen. Grundsicherungs- und Sozialhilfeleistungen machen zusammen nur knapp 9 Prozent des Sozialbudgets aus.

Das Grundgesetz garantiert die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums für alle Menschen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten.

Dass auch ausländische Bürgerinnen und Bürger selbstverständlich Anspruch auf soziale Leistungen in Deutschland haben, ist dabei keine Frage besonderer Großzügigkeit, sondern ein Gebot der Humanität und unserer Verfassung: Das Bundesverfassungsgericht hat im Jahr 2012 klargestellt, dass das Grundgesetz „ein Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums“ garantiert. Bei diesem Anspruch handelt es sich um ein Menschenrecht. „Er umfasst sowohl die physische Existenz des Menschen als auch die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben. Das Grundrecht steht deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, gleichermaßen zu.“ Das Bundesverfassungsgericht hat dabei auch klar gestellt, dass dieses Grundrecht unabhängig vom Aufenthaltsstatus und Aufenthaltsgrund sowie Ausreisemöglichkeit gilt. (BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 18. Juli 2012 - 1 BvL 10/10 - Rn. (1-114).

Auch europarechtlich gibt es im Rahmen der Freizügigkeit und des Gleichbehandlungsgrundsatzes klare Vorgaben, aus denen sich Leistungsansprüche für Bürgerinnen und Bürger aus der Europäischen Union, die nach Deutschland kommen, genauso wie für deutsche Bürgerinnen und Bürger, die sich im EU-Ausland aufhalten, ableiten.

Zugewanderte und Asylbewerber/-innen werden im deutschen Sozialstaat faktisch diskriminiert.

Richtig ist: Nicht alle Menschen, die aus dem Ausland nach Deutschland kommen, finden sofort eine Arbeit, um ihren eigenen Lebensunterhalt zu bestreiten. Von den über acht Millionen Menschen ohne deutschen Pass, die in Deutschland leben, waren im Januar 2017 690.000 Menschen arbeitslos gemeldet. Darunter viele Geflüchtete, für die teilweise Arbeitsverbote oder andere Beschränkungen bestehen, die den Zugang zum Arbeitsmarkt verzögern. Es ist aber nicht so, dass alle diese Menschen nun ein üppiges Leben auf Kosten der deutschen Steuerzahler/-innen führen würden, im Gegenteil: Trotz den Vorgaben des Grundgesetzes und des Europarechts gibt es massive Leistungseinschränkungen für Zugewanderte und Asylbewerber/-innen, die zuletzt durch die Bundesregierung noch verschärft wurden.

Bestimmte Personengruppen, die aus anderen EU-Ländern nach Deutschland kommen, sind beispielsweise von Leistungen nach dem SGB II und SGB XII für fünf Jahre ausgeschlossen. Statt eines Anspruchs auf Hartz IV werden nur einmalig so genannte „Überbrückungsleistungen“ für Ernährung und Unterkunft durch das Sozialamt erbracht, rund 180 Euro (Paritätische Arbeitshilfe "Ansprüche auf Leistungen der Existenzsicherung für Unionsbürger/-innen"). Auch über eine Einschränkung des Kindergeldanspruchs für Ausländer/-innen wird nachgedacht.

Was ebenfalls in der öffentlichen Debatte häufig verschwiegen wird: Asylsuchende und geduldete Ausländer/-innen erhalten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz deutlich geringere Leistungen als beispielsweise Hartz-IV-Beziehende, was verfassungsrechtlich mehr als fragwürdig ist. Während bereits der Regelsatz in Hartz IV mit aktuell 409 Euro für eine alleinstehende Person in keiner Weise bedarfsgerecht und viel zu niedrig bemessen ist, betragen die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz aktuell sogar nur 354 Euro im Monat, wobei davon nur maximal 135 Euro überhaupt in Bargeld („Taschengeld“) ausgezahlt werden und der Rest ausschließlich in Sachleistungen erbracht wird bzw. erbracht werden soll. Im Dezember 2016 wollte die Bundesregierung diesen Betrag für Asylbewerber/-innen sogar noch einmal kürzen. Diese erneute Verschärfung wurde jedoch im Bundesrat vorläufig gestoppt und an den Vermittlungsausschuss verwiesen.

Weiterführende Informationen:

Zum Asylbewerberleistungsgesetz

Studie des IAB zu Geflüchteten Menschen in Deutschland

Überblick über die soziale Sicherung, die Grundsicherung und die Sozialversicherung