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"Wissen macht Zukunft - mit Digitalisierung die Arbeitswelt von morgen gestalten." - Ein ESF-rückenwind-Projekt von obw und Lebenshilfe

Mit diesem rückenwind+-Projekt erproben die Ostfriesische Beschäftigungs- und Wohnstätten GmbH (obw) und ihr Kooperationspartner, die Lebenshilfe Leer (beide Mitglieder des Paritätischen), seit 2019 wichtige Innovationsschritte und Veränderungsprozesse im Bereich der Personal- und Organisationsentwicklung in den Arbeitsfeldern der Eingliederungshilfe, der Kinder- und Jugendhilfe und im Bildungsbereich. Das ESF-geförderte Projekt bündelt Know-how zur Entwicklung digitaler Strategien, um die Chancen einer modernen Arbeitswelt zu nutzen.

Im Mittelpunkt stehen dabei Konzepte zur Lebensphasenorientierung sowie Maßnahmen zur Förderung der Innovationsfähigkeit mit dem Ziel, die Effizienz der Arbeitsabläufe und die Arbeitgeberattraktivität der beiden Unternehmen zu steigern.

"Wichtig ist es uns vor allem, alle Beschäftigtengruppen mit ihren Bedarfen, Voraussetzungen und vielfältigen Tätigkeitsprofilen gleichermaßen in den Blick zu nehmen", betont Andrea Ludwig, die im Unternehmen für Projektmanagement und Fördermittelakquise verantwortlich ist und "Wissen macht Zukunft" leitet, eine der zentralen Herausforderungen des Projekts. Ein anspruchsvolles Ziel. Mit rd. 500 bzw. 350 Beschäftigten sind die obw und die Lebenshilfe Leer große Dienstleister in der Eingliederungshilfe in der Region Weser-Ems (Niedersachsen). Die Aufgabenfelder der Beschäftigten sind ebenso breit gefächert wie die sich kontinuierlich verändernden Kompetenzanforderungen im Berufsfeld.

Mit dem rückenwind+-Projekt "Wissen macht Zukunft" (August 2019 - Juni 2022) reagieren die beiden Unternehmen deshalb in vier zentralen Handlungsfeldern auf Anpassungsbedarfe im Bereich der Arbeits- und Prozessgestaltung sowie der dazu gehörigen Qualifizierungsnotwendigkeiten. Jedes der vier Handlungsfelder wird dabei von einer eigenen Projektgruppe begleitet, die sich hierarchieübergreifend aus Beschäftigten beider Unternehmen zusammensetzt. "Wir setzen in den Projektgruppen vor allem auf interne Expertise der beteiligten Personen, die in den entsprechenden Bereichen Kompetenzen mitbringen und konkrete Bedarfe aus eigener Erfahrung benennen können. Nur so kann das Prinzip einer "lernenden Organisation" langfristig greifen", stellt Prof. Burghardt Zirpins, Geschäftsführer der obw, den partizipativen Ansatz des Projekts heraus. Um die Erfahrungsprozesse aus den einzelnen Handlungsfeldern zu bewerten und wichtige Abstimmungsprozesse zu lenken, wurde ein Steuerungskreis eingerichtet, der die Projektumsetzung immer wieder neu justieren kann.

Erste Zwischenergebnisse unterstreichen den Erfolg der bisherigen Maßnahmen:

Handlungsfeld: "Digitale Kompetenzerweiterung"

Zielgruppe sind insbesondere Beschäftigte, deren Fähigkeiten im Bereich der Nutzung neuer Medien und digitaler Arbeitsmittel mittels bedarfsgerechter Qualifizierungen erweitert und gesichert werden sollen.

Auf der Grundlage einer Mitarbeitendenumfrage in beiden Unternehmen zu den Themen "digitale Kompetenzen, IT und Schulungsbedarf" im Dezember 2019 entwickelten die Projektverantwortlichen einen Katalog mit hausinternen Qualifizierungsangeboten etwa zur Nutzung neuer Medien, des Intranets oder einer neuen Dokumentationssoftware. Die Mitarbeiter*innen können diese auf freiwilliger Basis hierarchie- und arbeitsfeldübergreifend wahrnehmen. Mit Erfolg: "Bisher haben bereits 259 Teilnehmende mit insgesamt 1.260 Schulungsstunden, in Präsenz oder online, an den Angeboten teilgenommen", freut sich Projektleiterin Andrea Ludwig. Um die Nachhaltigkeit der Angebote zu sichern und passgenauer und flexibler in den einzelnen Arbeitsfeldern zu agieren, hat die obw ein eigenes Mentoring-Modell entwickelt und neben Inhouse-Schulungen zusätzlich 40 Mentor*innen ausgebildet. Diese übernehmen dann in den Abteilungen vor Ort bedarfsorientiert niedrigschwellige Schulungen und kollegiale Beratung.

Handlungsfeld: "Arbeitsplatznahe Qualifizierung mittels E-Learning und Qualifizierung von Online-Lernmentor*innen"

Die digitalen Grundlagenkompetenzen aus Baustein 1 nutzend, ermöglicht die obw zusätzlich zunehmend arbeitsplatznahe Qualifizierungen über (aktuell) 24 E-Learning-Einheiten. Seit Anfang Dezember 2020 stehen diese den Mitarbeiter*innen auf der im Intranet der obw online gestellten Lernplattform "obw E-Learning Akademie" zeit- und ortsunabhängig zur Verfügung. Unterschieden wird dabei zwischen freiwilligen Schulungen und Pflichtunterweisungen, die den Mitarbeiter*innen über ein Mailingsystem zugewiesen werden. Die erfolgreiche Bearbeitung der Pflichtunterweisungen kann die fachverantwortliche Person (z. B. die*der Datenschutzbeauftragte im Falle einer Datenschutzunterweisung) im Rahmen eines Reports überprüfen und nachweisen. Weitere Trainings werden erstellt, permanent im Rahmen der Projektgruppe optimiert und im Intranet kommuniziert. Neun ausgebildeten E-Learning-Mentor*innen begleiten die Beschäftigten in den unterschiedlichen Arbeitsfeldern der obw schließlich auch langfristig bei der Nutzung der online-Angebote und stehen ihren Kolleg*innen bei Rückfragen zur Verfügung.

Handlungsfeld: "Anpassungen im Bereich der Arbeitsgestaltung und -prozesse"

Sukzessive digitalisiert werden ebenso unterschiedliche Arbeitsprozesse im Unternehmen. So wurde beispielsweise im Beschaffungsprozess das papierlastige Verfahren Schritt für Schritt in verschiedenen Testphasen digital umgewandelt und schließlich auf einem Webportal abgebildet. Bestellungen und Rechnungen lassen sich nun digital freigeben und ermöglichen so einen effizienteren und transparenteren Arbeitsprozess. "Leichter wird auch die Nutzung des Bildungsportals", nennt Andrea Ludwig weitere Digitalisierungsschritte. "Dort können nun zum Beispiel die Anträge für interne und externe Schulungen digital gestellt und bearbeitet werden." Weitere Workflows im Personalbereich (z.B. digitale Urlaubsanträge) oder im Qualitätsmanagementbereich sind ebenfalls bearbeitet bzw. in Planung.

Handlungsfeld: "Ermittlung und Erprobung von digitalen Assistenzsystemen in der Fertigung"

In Kooperation mit der Hochschule Emden/Leer konzipieren die Projektpartner seit Februar 2021 zudem den Einsatz von digitalen Assistenzsystemen für die Teilhabe im Arbeitsleben. Mit den digitalen Assistenzsystemen sollen die Beschäftigten mit Beeinträchtigung höhere Anforderungen in Produktion und Dienstleistung erfüllen können. Damit wird deren Teilhabemöglichkeit am Arbeitsleben erweitert. "Das ist ein wichtiger Schritt im Selbstverständnis als attraktiver Dienstleister und Arbeitgeber", unterstreicht obw-Geschäftsführer Zirpins ein zentrales Ziel des Handlungsfelds "Assistenzsysteme" im Projekt. Ausgangspunkt für den Projektbaustein war ein Workshop, in dem für drei Arbeitsbereiche aus der Fertigung konkrete Bedarfe ermittelt wurden. Übergreifendes Ziel ist es nun, mit der Unterstützung von Masterstudierenden aus dem Fachbereich Technik für diese Unternehmensbereiche digitale Assistenzsysteme zu entwickeln, die jeweils konkret am Arbeitsplatz von Beschäftigten zum Einsatz kommen. Diese Arbeitsplätze beinhalten Tätigkeiten der Montage von kleinen Werkstücken und der Kommissionierung von z.B. Kleinteilsortimenten. "Wir planen etwa in der Montage und Verpackung, die Beschäftigten mit einem Pick-by-light-System1 bei ihren Arbeitsschritten zu unterstützen und zu motivieren. Dabei erkennt ein Ultraschall-Sensor den Fertigungsschritt (Griff in den Sichtkasten) und gibt ein entsprechendes Signal", beschreibt Andrea Ludwig erste Piloten. Ebenfalls erprobt wird der Einsatz eines Cobots (Kollaborativer Roboter2) bei einem komplizierten Fertigungsschritt. Damit dies zukünftig ohne Betreuung durch die Hochschule funktioniert, werden die Fachkräfte in den Unternehmen in der Handhabung und Programmierung der Assistenzsysteme geschult.

Lernende Organisationen

Erfahrungen miteinander teilen und erfolgreiche Veränderungsprozesse langfristig in Unternehmen der Sozialwirtschaft verankern, ist ebenfalls ein übergreifendes Ziel in der Förderung des ESF-Programms rückenwind+. Die ESF-Regiestelle in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) bietet deshalb immer wieder unterschiedliche Austauschformate für Projektträger sowie externe Interessierte an und dokumentiert diese auf der Programmwebsite. Zugleich bietet die Programmseite einen umfassenden Einblick in die rd. 150 geförderten Modellprojekte und deren Themen, Entwicklungsprozesse sowie entstandene Transfermaterialien und Publikationen.

Wie viel Einsatz und Ausdauer Veränderungsprozesse benötigen, wird am Beispiel der obw schnell deutlich. So profitiert das Unternehmen bei Umsetzung des rückenwind+-Projekts "Wissen macht Zukunft" auch von den Erfahrungen eines vorangegangenen rückenwind+-Projekts. "OPEN NoW! - Verbundprojekt Nord-West für Personal- und Organisationsentwicklung" hat die obw von August 2016 bis Juli 2019 in enger Zusammenarbeit mit der Lebenshilfe Nordhorn gGmbH umgesetzt. Inhalt war die Weiterentwicklung des Unternehmensleitbilds, die Entwicklung von Führungsgrundsätzen und Qualifizierung der Führungskräfte sowie die Analyse und Neustrukturierung der Personalsteuerung. Entstanden sind u.a. softwarebasierte Wissenslandkarten (Webinar-Aufzeichnung Corel GmbH/MindManager), die eine systematische Darstellung, Sicherung und Transfer stellenbezogenen Wissens ermöglichen. Auch das Konzept der "internen Projektteams" und die Weiterentwicklung des Unternehmens mittels Kompetenzentwicklung der Mitarbeiter*innen, haben sich bereits bei "OPEN NoW!" bewährt. "Erkenntnisse, auf die wir mit "Wissen macht Zukunft" aufbauen können und das Unternehmen Stück für Stück voranbringen können", ist sich Andrea Ludwig sicher. Dazu gehört auch der Ansatz der "Branchendialoge", die die obw im Rahmen ihrer Projekte durchführt. "Idee ist, die gewonnenen Projektergebnisse mit anderen Akteuren auf Verbands-, Kommunal- oder Landkreisebene zu diskutieren und gute Herangehensweisen auch für andere Unternehmen der Sozialwirtschaft zugänglich zu machen", beschreibt Projektleiterin Ludwig den Transferansatz und lädt ein: "Wir sind schon sehr gespannt auf die Endergebnisse in den vier Handlungsfeldern von "Wissen macht Zukunft" und freuen uns sehr, diese am 19. Mai 2022 auf unserem nächsten Branchendialog präsentieren zu können."

Glossar:

1 Pick-by-light-System beschreibt die Technologie des beleglosen Kommissionierverfahrens. Dabei führt den Kommissionierer ein optisches Lichtsignal zu den jeweiligen Lagerfächern und zeigt ihm die zu entnehmende Menge für einen Kommissionierauftrag an.
2 Kollaborativer Roboter (kurz Cobot): Industrieroboter, der mit Menschen gemeinsam arbeitet und im Produktionsprozess nicht durch Schutzeinrichtungen von diesen getrennt ist.

Das ESF-Programm "rückenwind - Für die Beschäftigten und Unternehmen in der Sozialwirtschaft" (kurz: "rückenwind+")

Das ESF-Programm "rückenwind+" ist ein im Jahr 2015 gestartetes Förderprogramm zur Fachkräftesicherung in sozialen Berufsfeldern. Ansatzpunkt ist die Personal- und Organisationsentwicklung in Unternehmen und Verbänden der gemeinnützigen Sozialwirtschaft. Ziel der Förderung ist die Verbesserung der Anpassungs- und Beschäftigungsfähigkeit der Beschäftigten in der Sozialwirtschaft in Verbindung mit einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen und Organisationsstrukturen in den Einrichtungen, Diensten und Verbänden. Das Förderprogramm wurde gemeinsam vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales und der BAGFW entwickelt. Gefördert wird es aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF) und aus Bundesmitteln.

Weitere Informationen zum Programm "rückenwind+" finden Sie auf dem ESF-Webportal, auf der Programmwebsite sowie auf Twitter.

Kontakt:regiestelle(at)bag-wohlfahrt.de

Ansprechpartner für Mitgliedsorganisationen des Paritätischen für das Programm "rückenwind+" und das Folgeprogramm "rückenwind³" für die EU-Förderperiode 2021 bis 2027: Tilo Liewald (bildung@paritaet.org)

Quelle: BMAS ESF-Newsletter Oktober 2021