Aufbruch und Pragmatismus: Ein neuer Wohlfahrtsverband entsteht
Geburtstag des Verbandes
Als am 7. April 1924 eine Gruppe von Gleichgesinnten aus unabhängigen Krankenanstalten und Reha-Einrichtungen im Kaiserin-Auguste-Viktoria-Haus in Berlin-Charlottenburg zusammenkommt, um die Vereinigung der freien privaten gemeinnützigen Wohlfahrtseinrichtungen Deutschlands e. V. zu gründen, stehen zunächst pragmatische Motive im Vordergrund. Angesichts des verlorenen Ersten Weltkrieges, von Inflationserfahrungen und der allgemeinen Krisenhaftigkeit der Weimarer Republik gilt es, die materielle Existenz der eigenen Mitgliedsorganisationen sicherzustellen.
Fachliche Öffnung der Vereinigung
Bereits 1920 unternimmt man deshalb den ersten Schritt zur reichsweiten Organisation und gründet die Vereinigung der freien privaten gemeinnützigen Kranken- und Pflegeanstalten Deutschlands. Doch um die von der Reichsregierung angekündigten Zuschüsse für anerkannte Wohlfahrtsverbände erhalten zu können, muss die noch junge Vereinigung in allen Bereichen der Wohlfahrtspflege reichsweit aktiv sein. Mit dem Gründungsakt im Kaiserin-Auguste-Viktoria-Haus im April 1924 erweitert sich perspektivisch das Wirkungsfeld neben der Gesundheitsfürsorge um die Erziehungs- und Wirtschaftsfürsorge, die Bedingungen zum Erhalt der Zuschüsse sind somit erfüllt und die Anzahl der Mitglieder steigt. Mehr Mitgliedsorganisationen bedeuten darüber hinaus mehr finanzielle Mittel, die die Vereinigung in den Ausbau der Organisation steckt. Im Zuge dessen können viele Landes- und Provinzialvertretungen überhaupt erst entstehen.
Den Vorsitz übernimmt wie bereits bei der Vorgängerorganisation Leopold Langstein, einer der führenden Kindermediziner der Weimarer Republik und Leiter der Reichsanstalt zur Bekämpfung der Kinder- und Säuglingssterblichkeit. Sein Stellvertreter wird Carl Hofacker, der allgemein als Fachmann für den Bereich der Krankenhausverwaltung gilt und seit 1915 Hospitalmeister der Stiftung Hospital zum Heiligen Geist in Frankfurt ist.
Hintergrund der Entwicklung sind auch die gesetzlichen Neuerungen innerhalb der jungen Republik, die die Demokratisierung der öffentlichen wie auch freien Wohlfahrtspflege fördern. Das Reichsjugendwohlfahrtsgesetz (RJWG) von 1922 und die Reichsfürsorgepflichtverordnung (RFV) von 1924 sorgen darüber hinaus für reichsgesetzliche Schutzgarantien, die der privaten Fürsorge einen Vorrang gegenüber der öffentlichen einräumen. Damit ist das Subsidiaritätsprinzip geboren, wonach keine staatlichen Fürsorgeeinrichtungen geschaffen werden sollen, soweit geeignete Einrichtungen der freien Wohlfahrtspflege ausreichend vorhanden sind.
Der Verband wächst und gibt sich einen neuen Namen
Schnell wird deutlich, dass es für die Fortsetzung der Arbeit und vor allem für die erfolgreiche Etablierung des Verbandes eines kürzeren Namens bedarf. Die Wahl fällt pragmatisch auf Fünfter Wohlfahrtsverband, da man sich der Entstehung nach an fünfter Stelle unter den Wohlfahrtsverbänden verortet. Neben diesem existieren in der Weimarer Republik weitere Verbände im Bereich der Freien Wohlfahrtspflege: Die Innere Mission (1848), die Caritas (1898), die Zentralwohlfahrtsstelle der deutschen Juden (1917), das Rote Kreuz (1866 bzw. 1921) und die 1919 gegründete sozialistisch geprägte Arbeiterwohlfahrt (AWO). Zuletzt gründet sich der Zentralausschuss der christlichen Arbeiterschaft, als Gegenverband zur sozialistisch geprägten AWO.
Von großer Bedeutung in der Entwicklung des Fünften Wohlfahrtsverbands ist die darüber hinaus die Fusion mit der Humanitas, Verband für Erziehungs- und Wirtschaftsfürsorge, und dem Paritätischen Wohlfahrtsverband Bayern im Oktober 1925 auf Landesebene. Der noch im Aufbau befindliche Verband kann dadurch seine Aktivitäten in der Erziehungs- und Wirtschaftsfürsorge nachhaltig ausbauen. Mit der Fusion wird außerdem die Satzung geändert, in der nun festgeschrieben wird, dass der Fünfte Wohlfahrtsverband die „Zusammenarbeit im Dienste der Nächstenliebe“ bezwecke.
Die Fusion mit der Humanitas verläuft nicht ohne Konflikte, nicht alle ehemaligen Mitgliedsorganisationen fühlen sich und ihre Anliegen vom Fünften Wohlfahrtsverband ausreichend und zukunftsorientiert vertreten. Der Vorstand um Leopold Langstein reagiert mit der Veröffentlichung eines pragmatisch gefassten Schreibens, in dem u. a. kurz und knapp aufgelistet ist, was der Fünfte Wohlfahrtsverband den angeschlossenen Einrichtungen an Dienstleistungen und Vorteilen bietet.
Mit Anna von Gierke, die eine wichtige Rolle bei der Gründung und dem Aufbau der Humanitas spielt, und Luise Kiesselbach vom Paritätischen Wohlfahrtsverband Bayern, bestimmen nun auch zwei tatkräftige und selbstbewusste Frauen die Geschicke des noch jungen Verbandes mit.