Digitale Medien und Kinder: Kompetenzen fördern statt verbieten
Heutzutage gibt es eine Vielzahl an digitalen Kontrollmechanismen, um die Mediennutzung von Kindern einzuschränken oder gar zu verbieten. Dabei geht es vor allem darum, Kinder von Anfang an bei der Mediennutzung zu begleiten. Und nicht zu vergessen: Eltern sollten mit gutem Beispiel vorangehen.
Mit ihren kleinen Fingern greift Malia nach der Wasserflasche, klemmt sie sich zwischen Ohr und Schulter und beginnt zu brabbeln: „Alo?“. Wer glaubt, Kinder kommen erst in der Schule in Berührung mit digitalen Medien, wenn es darum geht, wer schon alles ein eigenes Smartphone hat oder vielleicht schon im Kindergarten, wenn auf dem Tablet erste kleine Kunstwerke entstehen, liegt falsch. Erste Medienerfahrung machen schon die ganz Kleinen, bevor sie überhaupt Laufen oder Sprechen können. „Die Kinder liegen noch im Kinderwagen und sehen ihre Eltern am Handy“, weiß Sophie Pohle vom Deutschen Kinderhilfswerk zu berichten.
Malia hat aufgehört zu brabbeln. Mit der Flasche hinterm Ohr steht sie ruhig da, nur ihr Kopf bewegt sich zu einem verständnisvollen Nicken. Digitale Medien üben nicht nur auf Erwachsene eine große Faszination aus. Wie in vielen anderen Lebensbereichen gilt auch hier: Die Kleinen wollen, was die Großen haben. „Je jünger die Kinder sind, desto mehr orientieren sie sich am Verhalten der Eltern“, erklärt Pohle. Als Vorbilder würden sie den Umgang mit Medien stark beeinflussen. Malia sagt noch einmal „Ja“, dann beendet die Eineinhalbjährige das Telefonat indem sie die Flasche zufrieden in den Sand fallen lässt. Mama Sarah lacht kopfschüttelnd, hebt die Flasche aus dem Sand auf, klopft sie ab und packt sie in ihre Tasche. Seit sie wieder arbeite, klingle auch das Handy wieder öfter, auch mal nach Feierabend. „Und die Großeltern möchten auch zwischendurch skypen, natürlich nur um Malia zu sehen.“
Digitale Medien sind aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. „Deshalb ist es wichtig, dass wir bei der Mediennutzung mit gutem Beispiel vorangehen und auch die eigene Mediennutzung überdenken“, sagt Pohle. Dazu gehöre nicht nur, wie oft Eltern in der Gegenwart ihrer Kinder digitale Medien nutzen, sondern auch, was sie damit machen. Nicht ohne Grund hat das Deutsche Kinderhilfswerk im Jahr 2017 die Social-Media-Kampagne #ErstDenkenDannPosten gestartet. Die Share-Pics der Kampagne zeigen Kinder in vermeintlich lustigen oder niedlichen Situationen – mit Spaghetti im Gesicht oder auf der Toilette. Dazu der Satz: „Liebe Mama, lieber Papa, denkt nach, bevor ihr postet!“
„Kinder haben das Recht am eigenen Bild – von Anfang an“
„Das, was Eltern süß und toll finden, möchten sie in die Welt hinausschreien“, erklärt Pohle, gibt aber zu bedenken: „Die Eltern wissen nicht, wo ein Foto irgendwann mal auftauchen kann. Das kann für die Kinder sehr unangenehm werden.“ Eltern müssten sich bei ihren Kindern vor dem Veröffentlichen die Erlaubnis einholen. Das gelte auch für das Versenden der Bilder über Messenger-Dienste an Freunde oder Verwandte. „Kinder haben das Recht am eigenen Bild – von Anfang an“, bekräftigt die Medienpädagogin. Bis zu einem gewissen Alter könnten die Kleinen aber noch gar nicht abschätzen, was es bedeutet, wenn ihre Bilder online gestellt werden. Hier seien die Eltern gefragt, ganz genau zu überlegen und es im Zweifel lieber sein zu lassen.
Bis in die sozialen Netzwerke hat es Malia noch nicht geschafft. Aber Mama Sarah gibt zu, dass das eine oder andere Töpfchen-Bild schon seinen Weg in Familien-WhatsApp-Gruppen gefunden hat. „Ich hoffe, das sieht sie nie“, sagt Sarah fast peinlich berührt und gibt zu „da muss ich wirklich besser aufpassen“. Gleichzeitig fragt sie sich wie es mal werde, wenn Malia in ein paar Jahren selbst in den Genuss eines eigenen Handys oder Tablets komme. Um Antworten auf diese Fragen zu finden, darauf zielt die Kampagne des Deutschen Kinderhilfswerks: „Medien wirken. Ein Leben lang.“ Die Kampagne soll Eltern dazu sensibilisieren, ihre Kinder von Anfang an bei der Mediennutzung zu begleiten und ihre Kompetenzen aufzubauen. Wann der richtige Zeitpunkt sei, könne man pauschal nicht beantworten, da alle Kinder unterschiedlich seien. „Begleiten heißt hier auch nicht Kontrolle oder Verbote“, betont Pohle. In der eigenen Überforderung mit den Medien griffen Eltern häufig auf Kontrollmechanismen wie z.B. Jugendschutz-Apps oder sogar Tracking-Uhren zurück. „Dabei geht es vor allem darum, Vertrauen zu schaffen und gemeinsam die Medienwelt zu entdecken“, sagt Pohle.
„Medienerziehung ist eine Erziehung mit Medien, nicht gegen Medien“
Auch der Kinderschutzbund hält von Verboten nur wenig und betont, wie wichtig es ist, die Kompetenzen der Kinder zur Nutzung digitaler Medien zu fördern. „Medienerziehung ist eine Erziehung mit Medien, nicht gegen Medien“, sagt DKSB-Bundesgeschäftsführerin Cordula Lasner-Tietze. Eltern sollten die Medien gemeinsam mit ihren Kindern aussuchen und über die Inhalte sprechen. „Es geht darum, gemeinsame Zeit zu verbringen, vielleicht sogar gemeinsame Interessen zu entdecken“, sagt Lasner-Tietze und fügt hinzu: „Aber natürlich auch da rum, einen Blick für vielleicht nicht altersgerechte Inhalte, Plattformen oder Tools zu haben“. Wenn die Kinder älter werden bewegen sie sich auch freier und eigenständiger im Internet. Zunehmend spielen dabei Soziale Netzwerke eine große Rolle. „Studien belegen, dass Kinder und Jugendliche das Netz nicht nur zum Recherchieren und Hausaufgaben bewältigen nutzen. Sie bewegen sich autark in sozialen Netzwerken und haben dabei eventuell eigene Erfahrungen mit Cybermobbing gemacht“, sagt Lasner-Tietze.
Der Kinderschutzbund hat daher gemeinsam mit der Knappschaft im Jahr 2012 das Projekt „Firewall Live“ ins Leben gerufen. Erklärtes Ziel von „Firewall Live“ ist es, die junge Internetgeneration darin zu schulen, sich vor Risiken im Netz zu schützen. Dazu finden Medienkurse an Schulen speziell für Kinder und Jugendliche der 6. bis 8. Jahrgangstufen statt. Auch deren Eltern und Lehrkräfte bekommen Medien-Nachhilfe. Knapp 80 Schulen haben bisher teilgenommen. Den größten Aufklärungsbedarf sieht der Kinderschutzbund bei der Nutzung Sozialer Plattformen. Da bei ginge es nicht nur um die Sicherheitseinstellungen, sondern auch um ethische Fragen. Auch die Schüler*innen interessierten sich besonders für Soziale Plattformen und was beim Posten von Bildern zu beachten sei. „Ich werde jetzt im Internet mehr aufpassen und darauf achten was ich hochlade“, sagt ein Schüler aus Köln. Mit Blick auf die Gefahren im Netz kommentiert eine Schülerin aus Bielefeld: „Ich hätte niemals gedacht, dass das so schlimm werden kann“.
Medienzeiten gemeinsam aushandeln
Gemeinsam Digitale Medien erleben, Kompetenzen fördern, vor Gefahren schützen – das sind alles gute Ansätze zum Umgang mit digitalen Medien in Familien. Doch eine Frage ist damit noch nicht beantwortet: Wie lange dürfen Kinder am Handy, Tablet oder Computer sein? Bei jüngeren Kindern ist es noch leichter. Die Initiative SCHAU HIN! empfiehlt für Kinder bis fünf Jahre eine halbe Stunde und von sechs bis neun Jahren eine Stunde am Stück. Die Weltgesundheitsorganisation geht noch einen Schritt weiter und sagt, Kinder bis zu einem Alter von 2 Jahren sollten noch gar keine Screen- time erleben. Ältere Kinder fordern natürlich mehr Zeit ein und Familien können sich schon mal auf lange Diskussionen zu Hause einstellen. Um das zu umgehen und nicht jeden Tag die gleichen Kämpfe auszufechten, empfiehlt Pohle, im Familiengespräch gemeinsame Regeln auszuhandeln. Die könne zum Beispiel in Form eines Mediennutzungsvertrages geschehen, mithilfe dessen Eltern und Kinder gemeinsame Regeln festhalten und gemeinsam auf den Prüfstand stellen können, und an die sich im besten Fall alle Beteiligten halten. „Das schafft eine gute Grundlage, damit Kinder ihr Recht wahrnehmen können, eigenständig digitale Medien zu nutzen.“
Weitere Informationen
Angebote für Eltern:
Das Deutsche Kinderhilfswerk gibt eine gute Übersicht zum Thema Medienkompetenz.
Mit dem Elternguide.online werden Eltern bei der Medienerziehung ih-rer Kinder unterstützt.
klicksafe unterstützt Eltern dabei, ihre Kinder Schritt für Schritt an Internet, PC-Spiele, Smartphone und Apps heranzuführen.
Der Medienratgeber SCHAU HIN! informiert Eltern und Erziehende über aktuelle Entwicklungen der Medienwelt und gibt Tipps, wie sie den Medienkonsum ihrer Kinder be-gleiten können.
Angebote für Kinder:
Kindersache.de ist eine Webseite für Kinder zwischen 8 und 13 Jahren, auf der sie ihrem Alter entsprechende Informationen finden, sich mit anderen austauschen und selbst Beiträge verfassen können.
Pinguin Eddie, Känguru Jumpy, Ameisenbär Percy und Eichhörnchen Flizzy zeigen Kindern, wie das Internet funktioniert und worauf sie achten sollten. Auch für Eltern und Lehrkräfte gibt es reichlich Informationen.
Klare Regeln, weniger Diskussion: Kinder können mit ihren Eltern einen Mediennutzungsvertrag abschließen.
Spielbar.de stellt Spielangebote von Kinderwebseiten, Institutionen und Fernsehsendern vor und gibt Hinweise zur Einordnung.
Autorin:
Janina Yeung
Dieser Beitrag erschien zuerst als Blogbeitrag auf der Website www.der-paritaetische.de