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Kampagne

Mensch du hast Recht

Kampagne zum 70. Jahrestag der Erklärung der Menschenrechte

Workshops: Menschenrechte in Theorie und Praxis

In insgesamt über 20 themenspezifischen Workshops diskutierten die Teilnehmenden über Fragen des Schutzes und der Gefährdung der Menschenrechte in Deutschland.

Übergreifende Themen

Recht haben heißt nicht automatisch Recht bekommen. Das gilt leider auch in einem Rechtsstaat wie in Deutschland. Immer wieder scheitern Menschen an rechtlichen Hürden. Und es fehlt noch immer an ausreichenden Unterstützungs- und Beschwerdemöglichkeiten – etwa für behinderte und kranke Menschen, Menschen mit Fluchterfahrungen, arme Menschen oder Kinder und Jugendliche. Was kann die Zivilgesellschaft und Wohlfahrtspflege dagegen tun? Worauf ist im Beratungs- und Arbeitsalltag zu achten, damit alle Menschen in unserem Land zu ihrem Recht kommen? Diese Fragen diskutierten wir im Workshop.

Foto: Blick in WorkshopraumImpuls:

Rechtsanwalt Dr. Oliver Tolmein, Fachanwalt für Medizinrecht, Kanzlei Menschen und Rechte:

Hier finden Sie die Präsentation von Dr. Oliver Tolmein„Zugang zum Recht: Warum ein einfaches Konzept so schwer umzusetzen ist.“.

Moderation:

Katrin Frank, Der Paritätische Gesamtverband

Die Diskussionsergebnisse im Überblick (Katrin Frank)

Verletzung / Gefährdung von Menschenrechten; Beispiele:

  • Menschen haben kein Geld für gute Rechtsberatung.
  • Menschen können juristische Texte nicht verstehen („leichte Sprache“).
  • Menschen sind in der Justiz nicht repräsentiert (z. B. dürfen Blinde in Deutschland nicht Strafrichter werden).
  • Justizgebäude / Homepages sind nicht immer barrierefrei.

Finanzierung essenziell für Zugang zum Recht:

  • unabhängige Beratung muss allen zugänglich sein
  • Peer-Unterstützung bei „leichteren“ Fällen
  • ggf. Aufgabe für Wohlfahrtspflege !

Politische Forderungen:

  • Verbandsklagerecht
  • bessere finanzielle Unterstützung für „arme“ Menschen in Rechtsfragen, da nicht alle Kanzleien Prozesskostenhilfe akzeptieren

Zugang zum Recht muss nicht immer Rechtsweg bedeuten. Zugang zum Recht bedeutet auch ohne juristischen Prozess zu seinem Recht zu kommen, z. B. durch PR-Kampagne

Diversity & Recht muss neu gedacht werden:

Wie wäre es mit einem Rechtswiki in einfacher Sprache? Hierfür muss Öffentlichkeit geschaffen werden.

Soziale Menschenrechte sind völkerrechtlich verankert. Mit den UN-Menschenrechtspakten sind 1966 sowohl bürgerliche und politische Rechte (UN-Zivilpakt) als auch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (UN-Sozialpakt) verbindlich verankert worden. Die sogenannten WSK-Rechte haben in Deutschland den Status einfachen Rechts. Die Prüfung, ob und inwieweit die Länder Rechte einhalten, obliegt dem Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Sozialausschuss). Derzeit erarbeitet der Ausschuss eine aktualisierte Bewertung der Umsetzung in Deutschland. Nach grundlegenden Informationen über die verankerten sozialen Menschenrechte und die etablierten Kontrollverfahren im Rahmen der UN wurden folgende Fragen in dem Workshop diskutiert:

  • Welche Kritikpunkte benennt der Sozialausschuss an der Umsetzung der sozialen Menschenrechte in Deutschland?
  • Welche Einschätzung der Umsetzung der sozialen Menschenrechte folgt aus den je eigenen Erfahrungen in der sozialen Arbeit?
  • Allgemein: Wie kann die Umsetzung sozialer Menschenrechte in Deutschland gestärkt werden; welche Handlungsoptionen gibt es?

Foto: Blick in den WorkshopraumImpulse:

Dr. Claudia Mahler, Deutsches Institut für Menschenrechte

Anna-Katharina Dietrich, Geschäftsführerin Nationale Armutskonferenz:

Hier finden Sie die gemeinsame Präsentation von Dr. Claudia Mahler und Anna-Katharina Dietrich„Gewährleistung sozialer Menschenrechte: Völkerrechtliche Verankerung und politischer Auftrag.“.

Moderation:

Dr. Andreas Aust, Der Paritätische Gesamtverband

Die Diskussionsergebnisse im Überblick (Dr. Andreas Aust)

  1. Zentrales Anliegen des Workshops war die Vertiefung des Themas soziale Menschenrechte anhand des Schwerpunkts Armut. Schwerpunktmäßig wurde diskutiert, (1) mit welchen Mechanismen / Verfahren wird die Umsetzung der sozialen Menschenrechte nachgehalten / überprüft und (2) wie können sich zivilgesellschaftliche Akteure in dieses Staatenberichtsverfahren einbringen.

    Anna-Katharina Dietrich, Geschäftsführerin von der Nationalen Armutskonferenz hat zusammen mit Dr. Claudia Mahler über die Verfahren berichtet und Inhalt und Verfahren der Interventionen der nak vorgestellt. Im Zusammenhang des Staatenberichtsverfahrens wird die nak einen eigenständigen Parallelbericht vorlegen.

  2. Ein wichtiger Diskussionspunkt war die Frage nach dem Kosten-Nutzen-Verhältnis: in welchem Verhältnis steht der Einsatz von Ressourcen bei der Erarbeitung alternativer Expertise zu dem politischen Nutzen. Schlicht: lohnt sich der Aufwand? In der Diskussion gab es von Seiten der Teilnehmenden die Aussage: ja, es lohnt sich. Eigene positive Erfahrungen wurden insbesondere mit Blick auf die Behindertenrechtskonvention vorgetragen.

  3. Mit Bezug auf 2. wurde in der Diskussion deutlich, dass die Beteiligung kein Selbstzweck ist, sondern erst effektiv wird, wenn Verfahren und insbesondere die Ergebnisse des Staatenberichtsverfahrens auch in einem „follow-up“ Prozess in die nationale politische Diskussion getragen und übersetzt werden. Hierzu plant die nak eine „Follow-up“ Veranstaltung im Frühjahr 2019, in dem die Befunde des UN-Sozialausschusses dann auch bekannt gemacht werden sollen.

    Ein öffentlicher Träger berichtet von der Entwicklung einer eigenständigen Agenda zur Umsetzung der Ideen und Inhalte der Behindertenrechtskonvention – was als Vorbild für andere Träger gesehen werden kann. Die positiv bewerteten vorgetragenen Beispiele bezogen sich zumeist auf jüngere Menschenrechtskonventionen wie die Behindertenrechtskonvention; hier spürbarere Auswirkungen als bei dem allgemeineren UN Sozialpakt.

  4. Von Seiten der Teilnehmenden aus dem Paritätischen wurde der Wunsch nach einer Art Workshop, Diskussionsrunde und / oder Fortbildung formuliert: wie macht man einen solchen „follow-up“ Prozess? Wie können die verschiedenen Akteure (schwerpunktmäßig: innerhalb des Paritätischen) koordiniert werden? Welche Aspekte sind dabei zu beachten? Wie ist die Bundesländerebene in den Prozess eingebunden und wie können die Probleme in den Ländern wirksam vorgetragen und in den regionalen politischen Prozess zurückgetragen werden?

  5. Appell aus Schleswig-Holstein: stärkere Politisierung der Menschenrechte in Deutschland. Zuständige Institutionen der Politik mit sozialen Menschenrechten stärker konfrontieren; etwa: Ausschuss Arbeit und Soziales im Deutschen Bundestag.

Foto: Blick in den WorkshopraumStarke Benachteiligungen im Beruf, im Alltag und bei Behördengängen, beim Zugang zu Wohnraum, erleben Menschen z.B. aufgrund ihrer sozialen Lage  oder Herkunft, einer chronischen Erkrankung oder ihres äußeren Erscheinungsbildes. Diese  gehören nach jetziger Rechtslage nicht zu den vom Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) geschützten Kategorien und können daher nicht abgewehrt werden. Spätestens seit dem sanktionslosen sogenannten OSSI-Fall, dem Verbot für Menschen mit Behinderung, in Freizeitparks mitzufahren oder der anlasslosen Kontrolle von Menschen mit Migrationshintergrund wird diskutiert, ob der vorhandene Katalog des § 1 AGG und der Anwendungsbereich erweitert werden sollte. Viele Betroffene nehmen die ihnen zustehenden Rechte oft mangels Kenntnis und zur Verfügung stehender finanzieller und qualifizierter Unterstützung gar nicht wahr. Die gesellschaftliche Realität der Diskriminierung in Deutschland erfordert Regelungen zum effektiven Rechtsschutz jenseits der europarechtlichen oder verfassungsrechtlichen Vorgaben und über diese hinaus. Hierzu gehören Instrumente wie die Prozessstandschaft und Verbandsklage für Antidiskriminierungsverbände als auch z.B. die Verlängerung der Frist, innerhalb derer die Diskriminierung gelten gemacht werden kann. Nach 11 Jahren AGG ist eine Reform des AGG erforderlich.

Impuls:

Daniel Scheer, Referent, Antidiskriminierungsstelle des Bundes

Moderation:

Karina Schulz, Der Paritätische Gesamtverband

Die Diskussionsergebnisse im Überblick (Gertrud Tacke)

Angesichts der aktuellen politischen Situation ist keinerlei Bemühen der Bundesregierung zu erkennen, den mangelnden Rechtsschutz für Betroffene zu verbessern. Der Koalitionsvertrag enthält in Bezug auf das Thema „angemessene“ Vorkehrungen nur einen Prüfauftrag, der sich auf private Dienstleistungen im Gesundheitsbereich beschränkt.

Konkret werden mangelhafter Rechtsschutz im staatlichen Bereich (Behörden, Ämter, aber gerade auch Bildungsbereich) thematisiert. Rechtsdurchsetzung scheitert oft am Geld. Der Betroffene hat zu wenig Unterstützung.

Forderungen:

  • weiterhin Verbandsklage und Prozessstandschaft politisch einfordern, wo es geht
  • über Lösungen für eine Finanzierung von Klagen nachdenken
  • Länderinitiativen zu Landesgesetzen fördern und unterstützen (Bsp. Berlin: Schutz vor Diskriminierung durch staatliche Stellen/ noch nicht verabschiedet)

Anregungen an den Gesamtverband:

  • Stärkung der eigenen Beratungsstrukturen (Bsp. Berlin, NRW)
  • Sichtbarmachen von Diskriminierung
  • Diskriminierungssensibilisierung in den eigenen Einrichtungen (Bsp. Broschüre Thüringen, Brandenburg, Schleswig-Holstein)
  • Dort, wo strukturelle Diskriminierungen zu erkennen sind, öffentlich machen
  • Einrichtung von Antidiskriminierungsbeauftragten auf den verschiedenen Ebenen des Verbandes (--> funktionierende Verweisberatung)

Menschen, die Beratungsstellen jeder Art aufsuchen, machen in ihrem bürokratischen Alltag aufgrund des Alters, des sozioökonomischen Status, des Geschlechts, der Religion oder Herkunft (Mehrfach-)Diskriminierungserfahrungen. Diese sind oftmals für nicht-sensibilisierte Berater/-innen in Beratungsprozessen nicht sichtbar. Sie können, wenn sie nicht aufgearbeitet werden, zu Traumata führen. Zudem können Menschen, die auf Dauer von Diskriminierung betroffen sind und keine Hilfsstrukturen kennen, langfristig von Teilhabe in der Gesellschaft ausgeschlossen werden.

Foto: Teilnehmende diskutierenDie Beratungsstellen brauchen auf niederschwelliger Ebene eine Sensibilisierung im Bereich der Antidiskriminierungsarbeit. Es ist in der Beratungspraxis wichtig, Diskriminierung zu erkennen und zu benennen. Neben der Sensibilisierung ist Empowerment der Beratungsstellen wichtig. Im Rahmen des Workshops wurden Handlungsoptionen aufgezeigt (Verweisberatung, Dokumentation von Fällen, Fortbildung) und Vernetzungsmöglichkeiten (Kooperationen, Teilnahme in Fachgremien) eruiert.

Leitfragen im Workshop waren:

  • Welche Möglichkeiten der (niederschwelligen) Antidiskriminierungsarbeit gibt es?
  • Was benötigen Paritätische Beratungsstrukturen dafür?

Moderation:

Evîn Kofli, Der Paritätische Gesamtverband

Die Diskussionsergebnisse im Überblick (Evîn Kofli)

  1. Innenschau im Paritätischen Gesamtverband: Was tut die Geschäftsstelle gegen Diskriminierung? („Gesamtverband sollte beispielgebend sein.“) -->  Anregung: Einrichtung einer Beschwerdestelle für Mitarbeitende, aber auch für Landesverbände, die Rat und Information zum Thema benötigen

  2. Landesverbände sollten unterstützt werden vom Gesamtverband bei z.B. Initiativen zur Installation eines Landes-Antidiskriminierungsgesetzes, die von Landesverbänden mitgetragen/ unterstützt werden

  3. Betroffene und Berater/-innen sollten stärker sensibilisiert werden --> Fortbildungen

  4. Eine Erklärung von Diskriminierung kann die Verteilung von Gütern bzw. die Situation von Versorgungsstrukturen sein à daher Ausbau von Versorgungsstrukturen voranbringen/ einfordern.

  5. Frage diskutieren, ob man einen Selbstreflexionsprozess einleiten will und das Thema Diskriminierungsschutz/ diskriminierungssensible Arbeit in der sozialen Arbeit/ Wohlfahrtspflege stärker platzieren und bearbeiten will.

Recht auf Teilhabe

Hunderttausende langzeitarbeitslose Menschen sind dauerhaft vom Arbeitsmarkt und von der Teilhabe an dieser Gesellschaft über Erwerbsarbeit ausgeschlossen sind. Es ist Paritätische Position, dass diese Menschen  zum Zweck der sozialen Teilhabe ein Angebot öffentlich geförderter Beschäftigung erhalten sollten.

Im Workshop wurde eingangs begründet, warum die Teilhabe an Erwerbsarbeit als Menschenrecht angesehen werden kann. Im Folgenden wurde diskutiert, wie die Angebote öffentlich geförderter Beschäftigung auszugestalten sind, um die gewünschte Teilhabe bestmöglich zu erzielen und welche Rahmenbedingungen in der Praxis Paritätischer Träger, der Arbeitsmarktförderung und in der Arbeitsmarktpolitik dafür vorhanden sein müssen.

Impulse:

Holger Schelte, Fachreferent, Der Paritätische Nordrhein-Westfalen

Julian Beywl, stellvertretender Landesvorsitzender im Paritätischen Nordrhein-Westfalen und Geschäftsführer, ASH-Sprungbrett e. V.

Hier finden Sie die gemeinsame Präsentation von Holger Schelte und Julian Beywl„Teilhabe an Erwerbsarbeit für langzeitarbeitslose Menschen“.

Moderation:

Tina Hofmann, Der Paritätische Gesamtverband

Die Diskussionsergebnisse im Überblick (Tina Hofmann)

  1. Ein konsistenter Ansatz zur Verwirklichung des Menschenrechts auf Arbeit erfordert neben einem Angebot öffentlich geförderter, sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung (Sozialer Arbeitsmarkt) auch die Sanktionsfreiheit des Hartz-IV-Systems.

  2. Das Menschenrecht auf Arbeit für langzeitarbeitslose Menschen im Sozialen Arbeitsmarkt zu verwirklichen bedeutet, sie mit Arbeitnehmerrechten auszustatten.

  3. Der Paritätische soll sich dafür einsetzen, dass die Arbeitswelt humaner und besser zugänglich auch für schwächere Arbeitnehmer/-innen wird (Idee eines „inklusiven Arbeitsmarkts“). Dafür könnten Bündnisse, etwa mit den Gewerkschaften, gesucht und eine Weiterentwicklung der Ausgleichsabgabe diskutiert werden.

Foto: Blick in den WorkshopraumDas Thema „Soziale Rechte unabhängig von Aufenthaltsstatus und Staatsangehörigkeit“ kann anhand der Debatte um den Ausschluss von Sozialleistungen von EU-Bürgern aufgegriffen werden, gilt aber genauso für die Gruppe der geflüchteten Menschen sowie andere Menschen aus Drittstaaten. Es hat in den letzten Jahren eine intensive Debatte, insbesondere auch beim Brexit, darum gegeben, wer Zugang zu Sozialleistungen erhalten soll. Die Frage der Gesundheitsversorgung schließt sich an die Frage des Anspruchs auf Sozialleistungen an. Mittlerweile gibt es in Deutschland Rechtsprechung des EuGH und des BSG und ein im Dezember 2016 verabschiedetes Gesetz zur Einschränkung der Sozialleistungsansprüche von EU-Bürger/-innen, dessen verfassungsmäßig aufgrund des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums zweifelhaft ist. Im Rahmen des Workshops und mit dem Blick auf die Menschenrechte wurde ein Konzept eines Zugangs zu Sozialen Rechten unabhängig von Aufenthaltsstatus und Staatsangehörigkeit vorgestellt und diskutiert.

Impuls:

Dr. Ibrahim Kanalan, Wissenschaftlicher Mitarbeiter Centre for Human Rights Erlangen-Nürnberg (CHREN) & Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Völkerrecht, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

Hier finden Sie die Präsentation von Ibrahim Kanalan "Soziale Sicherheit unabhängig von Aufenthaltsstatus und Staatsangehörigkeit".

Moderation:

Claudia Karstens und Natalia Bugaj-Wolfram, Der Paritätische Gesamtverband

 

Die Diskussionsergebnisse im Überblick

1.

Neben EU-Bürger/-innen sind auch geflüchtete Menschen von verschiedenen Verletzungen der Menschenrechte betroffen. Dies zeigt sich zum einen beim Zugang von Sozialleistungen oder aber auch an der Versorgung mit Essenspaketen durch das sog. Sachleistungsprinzip in Unterkünften für Geflüchtete. Die Gesetze, welche den Zugang zu sozialen Leistungen regeln, werden im Fall von Ausländern in der Praxis von den Leistungsträgern (Jobcenter, Sozialämter) unterschiedlich ausgelegt oder sind wie z.B. das Gesetz zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch, kurz das sog. Leistungsausschlussgesetz  oder aber auch das Asylbewerberleistungsgesetz selbst nicht menschenrechtskonform.

2.

Es wird gefordert, die gesellschaftlichen Probleme in die Sprache des Rechts zu transferieren und mit dem Verweis auf die verbindlichen Rechte aus dem UN-Sozialpakt zu argumentieren. Auf diesen wird noch viel zu selten Bezug genommen. Die deutsche Bundesregierung muss zudem aufgefordert werden, die Ratifikation des Zusatzprotokolls zum UN-Sozialpakt vorzunehmen und damit eine wichtige Voraussetzung für die individuelle Einklagbarkeit dieser Rechte nicht länger zu verweigern. 

3.

Bei der Diskussion um soziale Leistungen für Zuwanderer/-innen müssen die globale Perspektive berücksichtigt und Fragen wie z.B. Was sind die Gründe der Zuwanderung? Welche Rolle spielt Deutschland in diesem Kontext? beantwortet werden. Es fiel auch das Stichwort „Moderner Kolonialismus“ mit Blick auf den teilweise stattfindenden „brain drain“ bei z.B. aus Rumänien kommenden Ärzten.

4.

Wunsch an den Paritätischen Gesamtverband, völkerrechtlich verbriefte Grundsätze in einfacher Sprache für politische Arbeit zu verschriftlichen.

5.

Diskussion um die soziale Sicherheit unabhängig vom Aufenthaltsstatus muss differenziert geführt werden und unter Berücksichtigung von einzelnen Faktoren wie der EU-Freizügigkeit, dem Recht auf Soziale Sicherheit nach Art. 9 des UN-Sozialpakts und juristisch konzeptionellen Fragestellungen zur sozialrechtlichen Zugehörigkeit wie territoriale vs. personelle Nähe. Es wurde der Wunsch nach einer Gegenbewegung z.B. zur Verwertbarkeitsdebatte von Menschen geäußert sowie die soziale Marktwirtschaft wieder stärker in den Fokus zu rücken.

Foto: Blick in den WorkshopraumEngagement als  Einsatz für Menschenrechte und gelebtes Menschenrecht bewegt viele Gruppen auch im Paritätischen. Die Auseinandersetzung, wie Engagement an dieser Stelle strategisch in Zukunft im Paritätischen aufgestellt sein soll und unterstützt werden kann, steht erst am Anfang. Was braucht der Paritätische, um dem Anspruch, sich für Menschenrechte einzusetzen und Engagement als Menschenrecht für benachteiligte Gruppen umzusetzen, tatsächlich gerecht zu werden?  Der Workshop zeigte Facetten von Engagement auf, die über das so genannte „klassische Ehrenamt“ hinausgehen: Engagement ist (auch) politisch, Engagement vernetzt sich und Engagement heißt Partizipation. Es stellte sich das Netzwerk MunichKyivQueer aus München vor und der Paritätische Landesverband Hamburg zeigte auf, wie sich das Thema Engagement als Menschenrecht für Menschen mit Behinderung umsetzen ließe. Sichtbar wurden Ansätze von Engagementnetzwerken und Bündnissen, die in ihrem Engagement für Menschenrechte auch über den nationalen Tellerrand hinausgehen und Beispiele von Partizipation benachteiligter Menschen und Gruppen.

Impulse:

Andrea Dallek, Der Paritätische Schleswig-Holstein

Hier finden Sie Präsentation und Notizen von Andrea Dallek zur Einführung in den Workshop.

Naomi Lawrence, ehrenamtliches Mitglied des Netzwerkes und der Kontaktgruppe Munich Kyiv Queer München

Dr. Nicole Schmidt, Referentin für Inklusion und Teilhabe sowie Projektleitung engagiert + inklusiv, Der Paritätische Hamburg

Moderation und Koordination:

Juliane Meinhold und Julia Schlicht, Der Paritätische Gesamtverband, zusammen mit Andrea Dallek, Paritätischer LV Schleswig-Holstein, Monika Nitsche, Paritätischer LV Bayern und Dr. Nicole Schmidt, Paritätischer LV Hamburg

Die Diskussionsergebnisse im Überblick (Julia Schlicht)

  1. Es muss (auch im Paritätischen) eine stärkere Sensibilisierung für marginalisierte Gruppen und deren „Recht auf Engagement“ erfolgen. Oftmals werden diese Gruppe – bspw. Menschen mit Behinderungen, Menschen mit Fluchterfahrungen, Menschen mit Beeinträchtigungen, Menschen mit niedrigen Bildungsniveaus, Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit – als Empfänger von Engagement gesehen. Diese Menschen haben – genau wie alle anderen – ein Recht sich zu engagieren. Häufig sind jedoch die Hürden so hoch, dass sie dieses Recht nicht umsetzen können. Zukünftig müssen auch marginalisierte Gruppen als potentielle Engagierte wahrgenommen werden und Rahmenbedingungen so ausgestaltet werden, dass sich diese Menschen engagieren können (bspw. durch Assistenzen, neue Engagementformen).

  2. Ungeachtet dessen gibt es eine Reihe von guten Beispielen im Paritätischen, die zeigen, dass Engagement auch für Menschen, die sich bislang eher seltener engagieren oder in „neuen“, unverbindlichen Formen engagieren, möglich ist (bspw. Projekt engagiert+inklusiv beim Paritätischen Landesverband Hamburg, Kontaktgruppe munich kiev queer). Solche Engagementformen legen häufig ein anderes, breiteres Engagementverständnis, geprägt von Wandel und Mitsprache, als die altbewährten Engagementformen zugrunde.

  3. Im Zusammenhang mit einem vielfältigen Begriffsverständnis muss Engagement und Partizipation zusammengedacht werden. Engagement ist nicht auf Hilfstätigkeiten beschränkt, Partizipation mündet auch in praktischer Unterstützung. Engagement und Partizipation sind keine zwei unterschiedlichen Spielwiesen, sondern ein großes Feld, das, gerade auch aufgrund des zunehmenden Populismus, zusammengedacht werden muss. Nur wenn dieser Zusammenhang beachtet wird, sind die vielfältigen Engagementformen unter dem Dach des Paritätischen auch stets ein Engagement für Menschenrechte.

  4. In der innerverbandlichen Auseinandersetzung mit dem Thema sollten Vielfalt von Engagement, der Einbezug marginaler Gruppen, das Zusammenspiel von Engagement und Partizipation sowie das Eingehen neuer Bündnisse mitbedacht werden.  Angeregt werden Strategiegespräche mit den Landesverbänden angeregt, um eine gemeinsame Vision im Paritätischen von einer engagierten Gesellschaft zu entwickeln, sowie eine Überarbeitung der Paritätischen Freiwilligencharta (von 2001) unter Berücksichtigung der erarbeiteten Vision.

  5. Sprache ist leitbildgebend. Daher sollten positive Botschaften gesendet werden, um das Thema „Engagement als Menschrecht – Engagement für Menschenrechte“ innerverbandlich und darüber hinaus zu verankern. Engagement als Menschenrecht sollte positiv wahrgenommen werden. Das Aufzeigen von Missständen erzeugt eher Widerstand als Aktivismus.

Links zu den Inputgebenden:

www.paritaet-hamburg.de/verband/einrichtungen-und-projekte/engagiert-und-inklusiv/zum-hintergrund-des-projekts.html

munichkyivqueer.org/startseite/

www.naomi-lawrence.com

Wer politisch teilhaben möchte, hat verschiedene Wege sich einzubringen. Zentral ist dabei das Recht, die politischen Vertreter/-innen im Parlament zu wählen. Dieses Recht ist keineswegs natürlich gegeben, sondern historisch lange umkämpft und erkämpft worden. Seit Einführung des Frauenwahlrechts 1918 gilt schließlich das Prinzip One (wo)man, one vote. Doch stimmt das überhaupt? Schließlich sind durchaus noch Menschen von der Gruppe der Wahlberechtigen ausgeschlossen. Dies sind beispielsweise ältere und behinderte Menschen, für die eine rechtliche Betreuung in allen Angelegenheiten bestellt wurde sowie schuldunfähige Straftäter/-innen in psychiatrischen Krankenhäusern. Welche politischen Strategien für eine zügige und umfassende Abschaffung der Wahlrechtsausschlüsse sind erfolgsversprechend? Wie sehen praktische Hilfestellungen für die Wahlentscheidungen von Menschen mit Behinderung aus? Mit dem Wahlrecht hört politische Partizipation jedoch nicht auf. Der Workshop widmete sich deshalb auch weiteren Fragen, von den Chancen und Risiken direktdemokratischer Verfahren für Menschen mit Behinderung und ihre Interessen über neue Formen des behindertenpolitischen Aktivismus‘ bis zur Partizipation im Rahmen des Bundesteilhabegesetzes.

Foto: Blick auf die Impulsgeber/-innenImpulse:

Dorothee Czennia, Sozialverband VdK

Tim Weber, Mehr Demokratie

Constantin Grosch, AbilityWatch

Claudia Scheytt, Der Paritätische Gesamtverband

Moderation:

Dr. Jonas Pieper, Der Paritätische Gesamtverband

 

Diskussionsergebnisse im Überblick

  1. Wahlrechtsausschlüsse: Menschen, für die eine rechtliche Betreuung in allen Angelegenheiten eingerichtet ist, haben auf Bundesebene und in den allermeisten Bundesländern kein Wahlrecht. Gleiches gilt für schuldunfähige Straftäter/-innen in geschlossenen psychiatrischen Einrichtungen. Der Paritätische fordert ebenso wie andere Verbände eine Abschaffung dieser Ausschlüsse. Rund um den Vortrag von Dorothee Czennia gab es eine Diskussion um die Chancen, dieses Ziel auf Bundesebene durchzusetzen. Der Koalitionsvertrag sieht dazu eine Passage vor, lässt sich allerdings so lesen, dass nur der Ausschluss bei einer Betreuung in allen Angelegenheiten abgeschafft werden soll. Darüber hinaus wird das Thema aktuell zusammen mit der allgemeineren, größeren Wahlrechtsreform (Stichwort: Überhangmandate) gehandelt. Da dies allerdings ein zäher und langwieriger Prozess werden dürfte, sollte sich der Paritätische dafür einsetzen, die Wahlrechtsausschlüsse gesondert zu verhandeln.

  2. Politische Repräsentation von Menschen mit Behinderung: Rund um den Vortrag von Constanin Grosch entspann sich eine äußerst angeregte und anregende Diskussion um die behindertenpolitische Interessenvertretung in Verbänden und durch Aktivisten und Aktivistinnen. Die Konfliktlinie in der Diskussion verlief entlang der Frage, inwieweit Verbände Schwächen bei der „Legitimität durch Betroffenheit“ haben, wie stark das Kriterium der Betroffenheit gewichtet sein sollte und welche Art von Betroffenheit gemeint ist (sichtbare versus unsichtbare Betroffenheit). Dahinter liegend steht die Frage, welche Art von Interessenaggregation nötig ist und wie offen Sozial- und Wohlfahrtsverbände für Stimmen von Betroffenen sind. Herr Grosch stellte aus seiner Perspektive als Inklusionsaktivist Überlegungen zu den Protesten gegen das BTHG an und stellte als positive Merkmale dieser Proteste heraus, dass sie u.a. die Prinzipien Betroffene first, Legitimität durch Betroffenheit und Diversity as an agenda stark gemacht hätten.

  3. Direkte Demokratie – Gefahr und Chancen für Menschen mit Behinderungen: Tim Weber diskutierte die Chancen und Risiken, die sich für Menschen mit Behinderung und ihre Anliegen aus direktdemokratischen Verfahren ergeben. Er schlug eine Unterscheidung von Ergebnis und Prozess vor. Bei den Ergebnissen direktdemokratischer Verfahren gäbe es bislang eher positive Entscheidungen für Menschen mit Behinderung (bei allerdings kleiner Fallzahl und widerläufigen Ergebnissen aus der Schweiz). Viel mehr noch stellten direktdemokratische Prozesse eine Möglichkeit dar, die inklusionspolitische Agenda mitzugestalten. Weber stellte abschließend dar, dass eine Verbindung von Sozialer Arbeit und politischer Beteiligung notwendig sei. Wie bei anderen politisch unterrepräsentierten Gruppen gelte es auch bei Menschen mit Behinderung durch zeitintensive aufsuchende Arbeit gesellschaftliche Integration zu stärken, um Menschen in der Folge auch für (kommunales) politisches Engagement gewinnen zu können.

  4. Partizipation bei der Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes: Claudia Scheytt stellte die Möglichkeiten vor, die Verbänden und Individuen bei der Umsetzung des BTHG gegeben sind. Diese reichen von Mitberatungsrechten von Verbänden in Beiräten (siehe BMAS-Beirat für die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen, Versorgungsmedizin-Verordnung, Umsetzungsbegleitung beim Deutschen Verein, Wirkungsprognose) über die Arbeitsebene (Schwerbehindertenvertretungen, Werkstatträte, Frauenbeauftrage) bis zur individuellen Ebene (Teilhabeplankonferenz, Gesamtplankonferenz). Während einzelne Partizipationselemente durchaus positiv zu bewerten seien, griffen andere zu kurz.

 

Siri, Cortana oder Alexa – drei bekannte Beispiele für eine fortschreitende Digitalisierung unserer Gesellschaft, die längst in nahezu alle gesellschaftlichen Bereiche Einzug gehalten hat.

Für die nächsten fünf bis zehn Jahre wird den sogenannten „smarten“ Technologien, von Haushaltsgeräten über personale Assistenten bis hin zu Servicerobotern für Haushalt, Pflege und Gesundheit eine Massenverbreitung vorhergesagt, deren Auswirkungen wir heute nur erahnen können.

Sicher bietet diese Entwicklung große Chancen zur Verbesserung der Selbstbestimmung und Teilhabe gerade von Älteren oder Menschen mit Behinderungen. Selbstbestimmtes Wohnen bspw. wird für viele Menschen leichter, einfacher und länger möglich sein.

Allerdings ist die digitale Entwicklung zurzeit primär angebotsgetrieben und nicht ausgerichtet am tatsächlichen Bedarf. Von partizipatorischen Ansätzen zwischen Nutzern und Produzenten sind wir weit entfernt, Fragen der Finanzierung sind ebenso wie die Ethik der Digitalisierung nur ansatzweise im Fokus. Foto: Blick in den Workshopraum

Kurz gesagt: welche Möglichkeiten und Auswirkungen die Digitalisierung für die soziale Arbeit, die Menschen und unser Gemeinwesen haben kann – das war Thema dieses Workshops.

Impulse:

Gerlinde Bendzuck, Deutsche Rheuma-Liga

Gerhard Seiler, 21st Century Competence Center (Förderverein für Jugend und Sozialarbeit e.V.)

Hier finden Sie die Präsentation von Gerhard Seiler„Alles ändert sich… Zukunft der (sozialen) Arbeit im 21. Jahrhundert“.

Moderation:

Martin Wißkirchen und Dr. Joachim Rock, Der Paritätische Gesamtverband

Damit alle Menschen – mit und ohne Einschränkungen – an Veranstaltungen teilhaben können, muss auch die Information und Kommunikation barrierefrei sein. Der Workshop demonstrierte praxisnah, wie eine Veranstaltung barrierefrei geplant, durchgeführt und dokumentiert wird. Selbstvertreter/innen von Betroffenenverbänden berichten in eigener Sache über ihre persönlichen Erfahrungen mit Barrieren und formulieren ihre Bedarfe. Dem gegenüber wurden neue technische Lösungen für eine barrierefreie Kommunikation und Information sowie verschiedene Beispieldokumente vorgestellt. Grundlage ist der "Leitfaden barrierefreie Kommunikation bei Veranstaltungen", den IT-Masterstudierende der Hochschule der Medien Stuttgart in Kooperation mit dem Paritätischen Wohlfahrtsverband Baden-Württemberg und Betroffenenverbänden erstellt haben.

Foto: Blick in den WorkshopraumImpulse:

Damaris Rothfuss, Mitautorin „Leitfaden“, Consultant bei der Acando GmbH

Hier finden Sie die Präsentation von Damaris Rothfuss„Hinkommen. Reinkommen. Zurechtkommen. Barrierefreie Kommunikation bei Veranstaltungen“.

Moderation:

Deborah Castello und Hina Marquart, Der Paritätische Baden-Württemberg

Recht auf Schutz, Zuflucht, Hilfe

Am 1. Februar 2018 ist für Deutschland die sog. Istanbul-Konvention in Kraft getreten. Damit verpflichtet sich Deutschland den Schutz von Frauen vor allen Formen von Gewalt weiter zu stärken und Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen. Doch wie sieht die Umsetzung aus und was ist nun konkret hierfür erforderlich?

Die Realität zeigt: Diese Fragen sind drängender denn je und werden im Rahmen dieses Workshops diskutiert. Wie sieht es etwa aus in den Bereichen Barrierefreiheit sowie Prävention, Schutz, Hilfe und Unterstützung vor allen Formen von Gewalt? Was muss sich beispielsweise auch im Hinblick auf die finanzielle und personelle Ausstattung von Frauenhäusern und Frauenberatungsstellen ändern?

Foto: Blick in den WorkshopraumImpulse:

Iris Pallmann, Fachreferentin Frauen- und Mädchenorganisationen, Der Paritätischer Nordrhein-Westfalen

Dr. Leonie Steinl, LL.M. (Colombia), Vorsitzende der Strafrechtkommission, Deutscher Juristinnenbund e.V.

Hier finden Sie die gemeinsame Präsentation von Dr. Leonie Steinl, Iris Pallmann und Katrin Frank„Frauenrechte sind Menschenrechte: Recht auf (Gewalt)schutz und Gewaltfreiheit für alle“.

Moderation:

Katrin Frank, Der Paritätische Gesamtverband

Die Diskussionsergebnisse im Überblick (Katrin Frank)

  1. Wir müssen Aktionspläne zur Umsetzung der Istanbul Konvention (IK) einfordern.

  2. Wohlfahrtspflege muss sich in Überwachung / Monitoring IK einbringen. Sie muss über Mechanismen aufklären und Frauen über ihre Rechte informieren.

  3. IK tangiert verschiedene Bereiche --> interministerielle Ebene erforderlich

  4. IK als Querschnittsthema im Verband, aber auch in der Lebenswelt implementieren

  5. Kinder nicht vergessen! Themenfelder wie Sorge- und Umgangsrecht, Recht Transsexueller, intergeschlechtliche Operationen in Angriff nehmen. IK ist weit mehr als Gewaltschutz!

Das Recht auf Schutz vor Verfolgung – in Europa unerreichbar?

Die europäische Asylpolitik der letzten Jahre ist stärker denn je auf die Abschottung als auf die Aufnahme von Schutzsuchenden ausgerichtet. Die Sicherung der Außengrenzen wird zunehmend zur Priorität, Seenotrettungsmaßnahmen werden eingeschränkt oder nur noch mit dem Ziel Nordafrika zugelassen. Diejenigen, die es trotzdem schaffen, individuell nach Europa einzureisen, landen in sog. Hotspots an den europäischen Außengrenzen, wo sie unter oft menschenunwürdigen Bedingungen leben müssen, bis über ihren Verbleib in der EU entschieden ist. Legale Zugangswege gibt es hingegen nach wie vor nur in kleiner Zahl. Die aktuellen Reformvorschläge der Europäischen Union zum gemeinsamen Asylsystem werden diese Situation nicht verbessern, sondern eher noch verschlechtern.

Foto: Blick in den WorkshopraumLeitfragen im Workshop waren:

  • Was passiert tatsächlich vor und an den europäischen Außengrenzen?
  • Inwiefern werden Menschenrechte und insbesondere das Recht auf Schutz vor Verfolgung (Non-Refoulement-Gebot) hierdurch verletzt? 
  • Was können wir tun, um den Zugang zu Schutz in Europa sicherzustellen?

Impuls:

Harald Glöde, Borderline Europe – Menschenrechte ohne Grenzen e.V.

Moderation:

Kerstin Becker und Susann Thiel, Der Paritätische Gesamtverband

Die Diskussionsergebnisse im Überblick (Susann Thiel und Kerstin Becker)

  1. Mit einer Politik der Auslagerung entzieht sich Deutschland/ Europa seiner Verantwortung. Europäische Solidarität bedeutet auch die Öffnung legaler Zugangswege für Schutzsuchende nach Europa. Das Massensterben von Menschen in der Wüste und im Mittelmeer muss ein Ende haben.

  2. Die Kriminalisierung und (teilweise lebensgefährdende) Bedrohung der zivilen Seenotrettungsorganisationen muss beendet werden. Die zivile Seenotrettung ist elementar und wichtig und muss (mehr) unterstützt/ anerkannt/ gewertschätzt werden; v.a. weil sich der Staat als Akteur immer weiter aus der Verantwortung zieht.

  3. Es braucht mehr politische Verbündete/ Vernetzung und Öffentlichkeitsarbeit, die immer wieder über die Missstände informiert.

  4. Wir müssen die positiven Stimmen stärken und Teil einer starken Zivilgesellschaft sein.

Wir beobachten, dass in den letzten Jahren zunehmend sowohl auf deutscher als auch auf europäischer Ebene Maßnahmen ergriffen werden, die darauf abzielen, Menschen an der Flucht bzw. Weiterwanderung nach Europa zu hindern. Statt für nachhaltige entwicklungspolitische Projekte und Programme, die tatsächlich Fluchtursachen mindern, Perspektiven schaffen und Aufnahmeregionen stabilisieren können, werden Gelder in migrationspolitische Maßnahmen verschoben: Ausbau von Grenzschutzaktivitäten und Partnerschaften mit despotischen Regimen oder Milizen. Diese Aktivitäten verletzen auf vielfältige Weise die Menschenrechte der betroffenen Personen.

Foto: Blick in den WorkshopraumLeitfragen im Workshop waren:

  • Wie beurteilen Akteure, die vor Ort tätig sind, die beschriebenen Maßnahmen, die der Fluchtursachenbekämpfung dienen sollen?
  • Welche Menschenrechte sind in diesem Kontext konkret betroffen?
  • Sind diese Eingriffe migrationspolitisch zu rechtfertigen?
  • Was heißt das für den Paritätischen?

 

Impulse:

Mechtild Schröder, HelpAge e.V., Projektbetreuung und -bearbeitung mit Schwerpunkt Asien und Afrika

Hier finden Sie die Präsentation von Mechthild Schröder„Verletzung von Menschenrechten durch die vermeintliche Fluchtursachenbekämpfung: Was kann Humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit vor Ort leisten?“.

Nils Utermöhlen, Referent für migrationspolitische Fragen bei Brot für die Welt e.V.

Hier finden Sie die Präsentation von Nils Utermöhlen„Neue Initiativen zur ‚Bekämpfung von Fluchtursachen‘ – ein nachhaltiger Ansatz?“.

Moderation:

Marta Bociek und Kerstin Becker, Der Paritätische Gesamtverband

Recht auf Gesundheit

Chronische Erkrankungen wie beispielsweise Krebs verändern die wirtschaftliche Situation der betroffenen Patientinnen und Patienten einschneidend. Eine chronische Erkrankung ist häufig mit drastischen finanziellen Einbußen verbunden. Meist steigen die Ausgaben dramatisch an, bei gleichzeitigem Rückgang der monatlichen Einnahmen. Viele Betroffene erleben ihre finanziellen Einbußen sogar als noch dramatischer als die diagnostizierte Krankheit. Erwerbslosigkeit und Erwerbsminderung – dauerhaft oder auf Zeit – und damit ein Abrutschen in eine prekäre Lebenssituation sind häufig die Folge. Hinzu kommen die Zuzahlungen und Eigenbeteiligungen für medizinisch notwendige Medikamente, für Diäten, Heil- und Hilfsmittel, die von den Patientinnen und Patienten selbst getragen werden müssen und die wirtschaftliche Lage zusätzlich deutlich verschlechtern.

Foto: Blick in den WorkshopraumLeitfragen im Workshop waren:

  • Was sind die Hauptprobleme? Was sind die Ursachen?
  • Welche Gesetzeslücken bestehen?
  • Was muss politisch/gesetzlich getan werden, um die Situation für die Patientinnen und Patienten zu verbessern (z.B. Abschaffung von Eigenbeteiligungen, Zuzahlungen, Krankengeldregelung, Erwerbsminderung)?

 

Impulse:

Jürgen Walther, Nationales Centrum für Tumorerkrankungen (NCT), Leiter des Sozialdienstes, Heidelberg

Hier finden Sie die Präsentation von Jürgen Walther„Krebs und Armutsrisiken: Erfahrungen aus der Beratungspraxis und aktuelle Studienergebnisse“.

Rainer Göbel, Deutsche Leukämie- & Lymphomhilfe e.V. (DLH), Mitglied des Vorstands, Berlin

Hier finden Sie die Präsentation von Rainer Göbel„Armutsfalle Krebs: Eine doppelte Bedrohung“.

Moderation:

Martina Huth, Der Paritätische Gesamtverband

Diskussionsergebnisse im Überblick (Martina Huth)

1.       Ausgangssituation und Rahmenbedingungen

Eine Diagnose wie Krebs ist für die Betroffenen immer ein großer Schock und häufig eine Konfrontation mit der eigenen Sterblichkeit. Die gesamte Lebensperspektive ist von einem Tag auf den anderen radikal verändert. Gleichzeitig sind die Patienten und Patientinnen durch körperliche, familiäre, soziale und finanzielle Beeinträchtigungen stark belastet. Eigentlich sollte sich in dieser Situation jede/r voll und ganz darauf konzentrieren können, wieder gesund zu werden. Dies ist jedoch mitnichten der Fall. Für viele bedeutet die Krankheitsdiagnose eine erhebliche psychische und physische Belastung bei gleichzeitig extremen finanziellen Einbußen. Dies kann sogar bis zur existentiellen Gefährdung führen, vor allem durch den (zeitweisen) Verlust des Arbeitsplatzes oder durch den dauerhaften Bezug einer Erwerbsminderungsrente. Für viele ist die Sorge, in wirtschaftliche Not zu geraten sehr real und konkret und häufig sogar mit noch größerer Angst besetzt als die gesundheitlichen Folgen der Erkrankung.

Durch Fortschritte in der Medizin und verbesserte Therapieverfahren haben sich die Überlebenschancen von Krebspatienten und -patientinnen teilweise wesentlich verbessert. Die Problemkonstellationen – sozial, familiär, beruflich – werden mit dieser Entwicklung ebenfalls zunehmend komplexer. Um die Situation der Patienten/Patientinnen zu verbessern, müsste die Sozialgesetzgebung dementsprechend angepasst werden.

Die fortschreitende Ökonomisierung der medizinischen Versorgung hat ebenfalls erhebliche Auswirkungen auf die Situation der Betroffenen. Exemplarisch benannt wurden:

  • Fallpauschalen in Krankenhäusern führen zu kürzeren Verweildauern im stationären Bereich. Dadurch erfolgt z.T. eine verfrühte Verlagerung der Behandlung aus dem stationären in den ambulanten Bereich.
  • Es bestehen nach wie vor erhebliche Versorgungslücken zwischen den Sektoren (ambulant / stationär).
  • Wettbewerb und Konkurrenz der Leistungsträger ist politisch gewollt. Die Folge für die gesundheitliche Versorgung sind steigender Effizienzdruck und Kürzung medizinischer Leistungen.

2.       Armutsfalle Krankheit

Die Ursache finanzieller Höherbelastungen bei chronischer Erkrankung ist vor allem auf die mit der Krankheit einhergehenden Einkommensverluste zurückzuführen. Die wirtschaftliche Situation vieler Betroffener führt rapide abwärts: vom regulären, auskömmlichen Arbeitseinkommen zum Krankengeld, vom Krankengeld zur Erwerbsminderungsrente, u.U. zum Bezug von Arbeitslosengeld bis hin zur Grundsicherung/Sozialhilfe. 35 bis 40 Prozent der Krebspatienten und Krebspatientinnen erkranken im erwerbsfähigen Alter und wollen nach erfolgter Therapie wieder zurück ins Erwerbsleben. Dieser Weg zurück bleibt vielen von ihnen häufig jedoch versperrt.

Des Weiteren entstehen finanzielle Belastungen durch vermehrte, dauerhafte Zuzahlungen und Eigenbeteiligungen für Medikamente. Durch die verschiedenen Gesundheitsreformen der vergangenen Jahre sind diese Kosten enorm angestiegen. Das Prinzip der Zuzahlung sei die Axt an der Wurzel der Solidarität, wie mit einem Hinweis auf einen Artikel in der Süddeutschen Zeitung treffend feststellt wurde. Hinzu kommen weitere krankheitsbedingte Mehrkosten für Kinderbetreuung, Haushaltshilfen, Krankenfahrten u.Ä.

81 Prozent der Befragten einer Studie des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen (NCT) bestätigten, Mehrausgaben durch die Krankheit bewältigen zu müssen (Zuzahlungen, Eigenbeteiligungen etc.). Ein Drittel der Befragten gab an, drastische Einkommensverluste erlitten zu haben. Bei 36 Prozent der Befragten lagen diese bei über 500 Euro im Monat, bei 24 Prozent bei über 1200 Euro im Monat. Die Zuzahlungen für Medikamente, Heil- und Hilfsmittel sind ebenfalls gravierend, aber nicht in dem gleich hohen Maße wie die monatlichen Einkommensverluste, so die Studie des NCT. Die finanziellen Verluste belasten die Patient/-innen und ihr soziales Umfeld (Angehörige, Freund/-innen, Familie) erheblich. Mit den steigenden Ausgaben und der Notwendigkeit zu sparen, erhöht sich die psychische Belastung, was sich wiederum negativ auf den Genesungsprozess, aber auch auf die soziale Situation (z.B. Trennung/Scheidung) auswirken kann.

Hauptrisikogruppen für wirtschaftliche Notsituationen aufgrund von länger andauernder bzw. chronischer Erkrankung sind:

  • junge Erwachsene (kurz nach Absolvierung der Ausbildung),
  • Selbstständige (soziale Absicherung oft lückenhaft, „Ich-AG“/Scheinselbstständigkeit, starker Anstieg der Kosten der PKV)
  • Familien mit Kindern,
  • Alleinerziehende.

Ein weiteres Problem wird sowohl in der Dauer der Zahlung als auch im Wegfall des Krankengeldbezugs gesehen (§ 51 SGB V). In Verbindung mit § 116 SGB VI kann ein Rehabilitationsantrag in einen Rentenantrag umgedeutet werden (Rentenantragsfriktion).

Betroffene werden nicht ausreichend und häufig nicht adäquat über ihre Rechte und Pflichten aufgeklärt. Erhebliche Konflikte entstehen insbesondere immer wieder beim Übergang vom Krankengeld zur Erwerbsminderungsrente. Krankenkassen fordern Patient/-innen häufig sogar aktiv dazu auf, einen Rentenantrag zu stellen (nach Reha-Entlassung).

Die wirtschaftlichen Einbußen führen bei vielen Betroffenen zur Überschuldung. Häufig kommt es sogar zum Absetzen teurer Medikamente sowie zu massiven Einsparungen bei Freizeitaktivitäten.

3.       Zentrale Forderungen:

  • Ein verlässlicher und längerer Anspruch auf Krankengeld muss gesetzlich gewährleistet werden (Überarbeitung des § 51 SGB V).

  • Erwerbsminderungsrente muss in angemessener, existenzsichernder Höhe gezahlt werden (klassisches Armutsrisiko). Das Erwerbsminderungsrentenniveau muss angehoben werden (in den letzten 15 Jahren ist es im Durchschnitt um 20 bis 25 Prozent gesunken).

  • Erleichterung des Zugangs zur Teilerwerbsrente.

  • Erwerbsarbeit muss an die Bedürfnisse chronisch Kranker angepasst werden. Dazu zählt u.a.: Weiterentwicklung/Verbesserung des Hamburger Modells, Möglichkeiten zur Teilzeitbeschäftigung, Homeoffice, flexiblere Arbeitszeitmodelle, Befreiung von Schichtarbeit.

  • Die Logik der Leistungsträger ist grundsätzlich falsch. Das Sozialrecht muss konsequent an den Bedürfnissen der Menschen ausgestaltet werden und nicht umgekehrt.

  • Frühzeitige, unabhängige Information, Beratung und Aufklärung der Patienten/ Patientinnen, auch zur beruflichen Wiedereingliederung beispielsweise durch Soziallotsen.

  • (Wieder-)Einrichtung der Arbeitsgruppe „Armut und Gesundheit“ im Bundesministerium für Gesundheit, unter Einbeziehung der Betroffenenverbände, Wohlfahrtsverbände, Gewerkschaften sowie Krankenkassen, Ärztekammern und weiterer Akteure der gesundheitlichen Versorgung, um an zentraler politischer Stelle auf gesellschaftliche Veränderungen und soziale Missstände und Härten aufmerksam zu machen.

Seit vielen Jahren signalisieren uns Mitgliedsorganisationen aus dem Bereich der Kinder- und Jugendhilfe, der psychosozialen Beratungsstellen (hier insbesondere der Erziehungs- und Familienberatung und Suchtberatung) und der Versorgung psychisch Kranker, dass es eine eklatante Unterversorgung hinsichtlich ambulanter psychotherapeutischer Angebote gibt – insbesondere im ländlichen Raum. Die Zunahme posttraumatischer Belastungsstörungen, Depressionen, Ess- und Angststörungen und Verhaltensstörungen bei Kindern und Jugendlichen führt zu Hilflosigkeit und hohen Belastungen in den Familien und zu einer Überforderung der o.g. sozialen Dienste, die nicht an geeignete Therapeuten verweisen können. Monatelange Wartezeiten auf psychotherapeutische Hilfe führen häufig zu lebensbedrohlichen Krisenzuständen.

Foto: Blick in den WorkshopraumImpulse:

Nadine Mahnecke-Windhövel, Ostdeutsche Psychotherapeutenkammer

Martina Marx, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin

Anja Quilitz, päd. Leiterin Bergvilla ASB Barnim

Moderation:

Antje Ludwig, Der Paritätische Sachsen-Anhalt, und Melanie Lorenz, Der Paritätische Brandenburg

 

 

Die Diskussionsergebnisse im Überblick

 

1.

Eklatante Unterversorgung hinsichtlich ambulanter psychotherapeutischer Versorgung – Recht auf Gesundheit wird eingeschränkt:

Seit Jahren ist eine Zunahme von psychischen und psychosomatischen Erkrankungen zu verzeichnen. Mittlerweile gehören sie zu den häufigsten Erkrankungen im Erwachsenenalter. Depressionen, Angststörungen, posttraumatische Belastungsstörungen und Verhaltensstörungen bei Kindern und Jugendlichen belasten nicht nur die Betroffenen selbst, sondern in hohem Maße auch die Familien. Auch die Einrichtungen der Erziehungshilfe berichten von dieser Entwicklung. Der Zugang zu psychosozialen und ambulanten psycho-therapeutischen Hilfen ist bedingt durch die zu geringe Zahl anerkannter Psychotherapeut*innen deutlich eingeschränkt – gerade auch in ländlichen Regionen. Bis zu 20 Wochen warten die Betroffenen auf einen Termin zum ambulanten Erstgespräch. In den neuen Terminservicestellen sind Anfragen zu psychotherapeutischen Angeboten der wichtigste Einzelposten. In akuten Krisensituationen bleibt den Betroffenen häufig nur der Weg in eine stationäre Einrichtung. Eine Behandlungsverzögerung kann u.U. zu einer Verschlechterung bzw. Chronifizierung der Erkrankung führen – dies ist besonders im Kindesalter fatal. 

2.

Input der Ostdeutschen Psychotherapeuten- Kammer (OPK) Nadine Mahnecke-Windhövel:

  • Langsame Verbesserung der Versorgungssituation – aber bei weitem noch nicht ausreichend (Therapeuten sind häufig in Ballungsräumen ansässig)
  • Nach neuer Psychotherapierichtlinie vom April 2017 soll Zugang erleichtert werden – schnelleres Erstgespräch zur Klärung des Therapiebedarfs, allerdings vergehen bis zur ambulanten Regeltherapie meist noch Wochen
  • Anerkennungsverfahren (durch die Krankenkassen) für Psychotherapeuten dauern häufig lange (1: 3100 ist vorgeschlagener Schlüssel), 7000 Kassensitze fehlen
  • Bedarfsplanung ist aus dem Jahr 1999!

Ergänzungen durch niedergelassene Kinder- und Jugendlichen-Therapeutin (Martina Marx) bestätigen die Versorgungslücke insbesondere bei dieser Zielgruppe – immer mehr Jugendliche suchen selbst den Weg zu Therapeuten, sie berichtet anschaulich vom Alltag ihrer Arbeit und den häufigsten Anfragen ihrer Klienten. Aus ihrer Sicht muss der schnelle, niedrigschwellige Zugang dieser Altersgruppe zu ambulanten Angeboten unbedingt ausgebaut werden. Kinder und Jugendliche in Einrichtungen der Erziehungshilfen benötigen aufgrund der hohen Belastungserfahrungen aus dem familiären Umfeld besondere psychotherapeutische Angebote, die u.U. auch in den Einrichtungen angeboten werden könnten/sollten – damit könnten sie in ihrer gewohnten Umgebung bleiben.

3.

Praxisbeispiel: Modellprojekt des ASB Barnim, stationäre Einrichtung Erziehungshilfe „Bergvilla“ in Kooperation mit dem Krankenhaus in Eberswalde zur psychotherapeutischen und psychiatrischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen (wird nach Auslaufen der Projektförderung fortgesetzt)

  • Sprechstunden vor Ort in der Einrichtung (Kinder können in gewohnter Umgebung bleiben)
  • Gemeinsame Fallbesprechungen von Mitarbeiter/-innen der Einrichtung und der Klinik- führt zu mehr Kooperation und Netzwerkarbeit, gemeinsames Verständnis
  • Rotes Telefon für Krisenfälle
  • Mitarbeiter/-innen der Einrichtung begleiten Kinder und Jugendliche während der stationären Aufnahme und halten engen Kontakt bei längeren Aufenthalten.

4.

Die Unterversorgung und der erschwerte Zugang zu ambulanter Psychotherapie stellt eine Einschränkung des Menschenrechtes auf Gesundheit dar und beeinträchtigt Teilhabe und Selbstbestimmung bei längeren Krankheitsverläufen.

5.

Der Paritätische sollte gemeinsam mit der Ostdeutschen Psychotherapeutenkammer bzw. der Bundespsychotherapeutenkammer auf die Aktualisierung der regionalen Bedarfsplanungen in den Bundesländern einwirken und fortlaufend auf die schlechte Versorgungssituation und deren Folgen für die Betroffenen hinweisen. Neben der Kooperation von Trägern mit psychiatrischen Krankenhäusern und Akutkliniken soll die Zusammenarbeit mit den niedergelassenen Psychotherapeuten und -therapeutinnen verbessert werden. 

Mit dem Begriff “Illegalisierte”  sind Menschen gemeint, die sich ohne behördliche Registrierung in Deutschland aufhalten. Sie sind unsichtbar und aufgrund ihrer aufenthaltsrechtlichen Situation leichte Beute für Ausbeutung. Sie haben weder Recht auf gesundheitliche Versorgung – noch auf Sozialleistungen. Sozialleistungen stehen ihnen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz theoretisch zu, sie müssen aber mit einer Verhaftung und darauf folgender Inhaftierung rechnen, wenn sie Kontakt zu den Ämtern aufnehmen. Die Ämter sind verpflichtet, sie bei der Ausländerbehörde zu denunzieren, mit Ausnahme der Bildungseinrichtungen. Nur in einem medizinischen Notfall sind Ärzte und Krankenhäuser verpflichtet ihnen medizinische Hilfe zu geben. Solange sie krank und „abschiebungsunfähig“ sind, müssen sie keine Abschiebung befürchten. Wenn sie aber wieder genesen sind und abgeschoben werden können, müssen sie mit einer Verhaftung und Abschiebung  rechnen. Foto: Blick in den Workshopraum

Leitfragen:

  • Wie kann die menschenrechtliche Situation von illegalisierten Menschen in Deutschland verbessert werden, insbesondere im Gesundheitsbereich?
  • Welche Instrumente und Konzepte stehen
    Paritätischen Organisationen zur Verfügung, um diese Zielgruppe zu erreichen und zu versorgen?

Impulse:

Anja Dieterich, Koordinatorin BAG Gesundheit/ Illegalität

Dr. Zahra Mohammadzadeh, Gesundheitsamt Bremen, Abt. Migration und Gesundheit

Moderation:

Sergio Andrés Cortés Núñez, Der Paritätische Gesamtverband

Recht auf Selbstbestimmung

Foto: Blick in den WorkshopraumSowohl aus Perspektive intergeschlechtlicher Menschen als auch aus Sicht menschenrechtlicher Gremien sind medizinisch unnötige Eingriffe an intergeschlechtlichen Säuglingen und Kindern ohne ausdrückliche und informierte Einwilligung unmenschliche Behandlungen und schädliche Praktiken, die beendet werden müssen. Dennoch werden diese Kinder weiterhin in Deutschland operiert und müssen mit den schmerzlichen, lebenslänglichen Folgen dieser Eingriffe leben, die zugleich ein binäres Geschlecht vorzuschreiben versuchen – ohne, dass die betreffende Person selbst darüber (später noch) entscheiden kann. Ein weiteres Problem ist die  grund- und menschenrechtlich gebotene rechtlich Anerkennung der Geschlechtlichkeit und Geschlechtsidentität im Sinne eines entsprechenden Geschlechtseintrags. Das Bundesverfassungsgericht hat am 8.11.2017 der Klage einer intergeschlechtlichen Person Recht gegeben und damit die momentane Regelung zum Geschlechtseintrag als verfassungswidrig erklärt. Der Gesetzgeber muss bis Ende 2018 ein Gesetz verabschieden, womit entweder gar kein Geschlechtseintrag vorgeschrieben wird oder es muss eine dritte Option geschaffen werden.

Die menschenrechtlichen Probleme und Lebenslagen intergeschlechtlicher Menschen und ihrer Angehörigen zu verstehen und zu diskutieren, stand im Mittelpunkt des Workshops. Konkrete gesetzgeberische Lösungen wurden erörtert – zum einen für das 2018 erscheinende Gesetz zum Geschlechtseintrag und zum anderen hinsichtlich der operativen Praxis an intergeschlechtlichen Kindern.

Impulse:

Lucie Veith: Inter-Aktivist*in, Peer-Berater*in und Preisträger*in für das Engagement gegen Diskriminierung 2017 der Bundesrepublik Deutschland

Hier finden Sie die Präsentation von Lucie Veith„Inter* – was ist das? Intergeschlechtliches Leben und Menschenrechte“.

Dr. Petra Follmar-Otto: Leiter*in der Abteilung Inland/Europa des Deutschen Institut für Menschenrechte; Projektleiter*in „Geschlechtervielfalt im Recht - Status quo und Entwicklung von Regelungsmodellen zur Anerkennung und zum Schutz von Geschlechtervielfalt“ (Gutachten im Auftrag des BMFSFJ)

Hier finden Sie die Präsentation von Dr. Petra Follmar-Otto„Menschenrechte intergeschlechtlicher Menschen verwirklichen“.

Ursula Rosen: Elternteil eines intergeschlechtlichen Kindes

Moderation:

Greta Schabram, Der Paritätische Gesamtverband

Menschen, die z.B. aufgrund ihrer Pflegebedürftigkeit, psychischen Erkrankung oder Behinderung soziale Dienste in Anspruch nehmen, sind oftmals darin eingeschränkt, ihr Recht auf ein selbstbestimmtes Leben angemessen einfordern zu können. Sie sind angewiesen auf eine Umgebung, die sie aktiv dabei unterstützt und ermutigt (Prinzip der assistierten Autonomie). Das Deutsche Institut für Menschenrechte konstatiert dabei z.B. für den Bereich der Pflege noch deutliche Umsetzungsdefizite in Deutschland.

Foto: Die ImpulsgeberLeitfragen im Workshop waren:

  • Wo stehen wir mit der Umsetzung von Selbstbestimmungsrechten?
  • Was können sowohl Träger als auch der Paritätische tun, um das Menschenrecht auf Selbstbestimmung – auch und gerade in Abhängigkeitsverhältnissen – zu sichern und umzusetzen?
  • Welche politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen benötigen Träger, um das Selbstbestimmungsrecht ihrer Nutzer/-innen zu gewährleisten?

Impulse:

Bernd Hoeber, Der Paritätische Nordrhein-Westfalen

Hier finden Sie die Präsentation von Bernd Hoeber„Selbstbestimmung – auch in Abhängigkeitsverhältnissen!“.

Thorsten Mittag, Der Paritätische Gesamtverband

Hier finden Sie die Präsentation von Thorsten Mittag„Selbstbestimmung ermöglichen: Was heißt das für Träger in der Pflege?“.

Moderation:

Bernd Hoeber, Der Paritätische Nordrhein-Westfalen

Die Diskussionsergebnisse im Überblick (Bernd Hoeber)

1.      Ökonomie und Alltagswirklichkeit nicht gegen die Rechteperspektive ausspielen

(Selbstbestimmungs-)Menschenrechte ernst zu nehmen, bedeutet, den Werte- und Rechtediskurs zu Ende zu denken und zu führen.

Es darf nicht vorschnell in eine Diskussion um das – angesichts – ökonomischer Begrenzungen und Beschränkungen – nur Mögliche gehen.

Beide Bereiche (Rechteperspektive und Ökonomie) werden häufig zusammen gedacht, die (Selbstbestimmungs)-Rechte fallen dabei einem pragmatischen Zugang zum Opfer. Das stärkt uns nicht, sondern schwächt uns darin, eine menschenrechtlich fundierte Position zu vertreten.

2.      Haltung reflektieren und „Kultur des Respekts“ entwickeln

Um (Selbstbestimmungs-)Menschenrechte umzusetzen, bedarf es einer Haltungsüberprüfung und –Reflexion von Seiten der Träger und Fachkräfte.

Die menschenrechtliche Perspektive kann dabei als Analyseinstrument, Kompass und Orientierungshorizont dienen.

Ökonomische Gründe für Einschränkungen und Begrenzungen der Rechteperspektive der Nutzer/innen werden z.T. auch vorgeschoben, um Haltungsveränderungen zu vermeiden.

3.      Menschenrechtsbildung und Beschwerdestellen

Häufig wissen Nutzer/innen zu wenig über(Selbstbestimmungs-)Menschenrechte: hier braucht es Weiterbildungsangebote „Ich kenne meine Rechte“ in bedarfsgerechter, verständlicher Form (u.a. in leichter Sprache usw.)

Unabhängige (unabhängig von den Interessen der Einrichtungsträger als auch der Kostenträger) Beschwerdestellen in den Bereichen Psychiatrie, Eingliederungshilfe, Pflege fördern bzw. einfordern! Das unterstützt Nutzer/-innen in der Wahrnehmung ihrer Rechte gegenüber Einrichtungen und Kostenträgern und trägt dazu bei, Verstöße gegen Selbstbestimmungsrechte zu ahnden.

4.      Öffentlichkeitsarbeit für Menschenrechte (Selbstbestimmungsrechte)…

…stärkt das Bewusstsein für Menschenrechte (Selbstbestimmungsrechte) und schafft eine Basis für politische Forderungen. Menschenrechte sollen nicht immer wieder auf die hinteren Plätze der öffentlichen Agenda rücken. Dabei müssen Akteure der Sozialen Arbeit / Wohlfahrtspflege auch lernen, Bündnisse einzugehen und Kooperationen zu entwickeln, um ihre Wirkungsmacht zu stärken.

5.      Spielräume ausloten und Handlungsoptionen finden

Im Umgang mit menschenrechtsbehindernden Alltagszwängen, fehlenden Ressourcen, (gewollten) ökonomischen Unterausstattungen geht es auch darum, Spielräume besser auszuloten und im Sinne der Nutzer/-innen / Menschen zu nutzen. Handlungsoptionen erweitern, kann auch bedeuten, Aufträge abzulehnen.

In Einrichtungen der psychiatrischen Versorgung kommt es aus verschiedenen Gründen zur Anwendung von Zwang und Gewalt. Neben der unfreiwilligen Unterbringung, Zwangsmedikation, Fixierung und Isolation, gibt es aber auch viele unscheinbare Formen und niederschwellige Verletzungen von Rechten erkrankter Menschen.

In diesem Workshop haben wir uns anhand von beispielhaften Situationen über das Verständnis von Menschenrechtsverletzungen auseinandergesetzt und diskutiert, in wie weit die Regelungen der UN-BRK im Alltag anwendbar sind bzw. ob sie im Alltag hilfreich sein können.

Foto: Blick in den WorkshopraumImpulse:

Guido Vollmann, Unterausschuss der Vereinten Nationen zur Prävention von Folter und anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (UN SPT)

Petra Rossmanith, Bundesnetzwerk unabhängiger Beschwerdestellen Psychiatrie

Moderation:

Patrick Nieswand, DGSP e.V.

Die Diskussionsergebnisse im Überblick (Patrick Nieswand)

  1. Rechte von Menschen mit psychischen Leiden müssen Schritt für Schritt und gerade in Zeiten zunehmender Stigmatisierung stetig weiter erkämpft werden.

  2. In Anbetracht der Wahrung der Rechte von Menschen mit psychischen Leiden gemäß der UN-BRK steht das psychiatrische Hilfesystem in Einzelfällen oftmals vor einem Dilemma. Dies wurde anhand von vier Fallbeispielen diskutiert, die jeweils einem Artikel der UN-BRK gegenübergestellt wurden.

  3. Lösungsansatz für schwierige Einzelfälle: Sorgfältige Besprechung der Situation mit den Betroffenen, gemeinsames Abwägen und Finden von Lösungen.

  4. Die Situation in Institutionen sind oft Grund und Voraussetzung für Zwangsmaßnahmen, die unter Umständen zu verhindern gewesen wären. Mitarbeiter sollten eine sozialpsychiatrische Grundhaltung erlernen können und verinnerlichen.

  5. Viele der Duisburger Schüler hat das Thema angesprochen. Das hat die Diskussion sehr belebt, viele Fachbegriffe wurden verdeutlicht. Die Schüler boten eine frische und differenzierte Sicht auf die Fallbeispiele.

Recht auf Wohnen

Recht auf Wohnraum

Seit einigen Jahren hat sich der Staat praktisch vollständig aus dem Bau und der Verwaltung von sozialem Wohnraum zurückgezogen (Aufgabe der Wohngemeinnützigkeit). Die Mietpreisbindung für geförderten Wohnraum wurde verkürzt und läuft aus, kommunale Wohnungsbaugenossenschaften wurden verkauft. Alle Hoffnung lag auf den Kräften des Marktes.

In den letzten Jahren zeigt sich aber in vielen Regionen ein dramatisches Bild:

  • Die Mieten steigen sprunghaft,
  • es herrscht ein Mangel an bezahlbarem Wohnraum,
  • die Zahlen der Wohnungs- und Obdachlosen vervielfachen sich innerhalb kurzer Zeiträume. (In der Landeshauptstadt Kiel haben sich zwischen 2008 und 2015 die Zahlen der Wohnungsnotfälle mehr als verdreifacht.)

Die Profite am Wohnungsmarkt steigen. Zunehmend flüchten Anleger ins ‚Betongold‘. Das ‚Recht auf Eigentum‘ (GG. Art. 14) ist gewahrt.

Foto: Blick in den WorkshopraumMangel an Wohnraum und Mietsteigerungen sind oft Thema in der Sozialen Arbeit. Steigende Mieten verstärken die Armut, verdrängen Menschen aus Quartieren, machen es Menschen mit Behinderung oder Rentnern unmöglich passenden Wohnraum zu finden. Wohnraummangel betrifft Entlassene aus der Haft, Frauen nach einem Aufenthalt im Frauenhaus, Studierende, Migranten, kinderreiche Familien,….

Ein Recht auf (bezahlbaren) Wohnraum gibt es in der BRD nicht – wohl aber in der UN-Menschenrechtscharta (Art. 25).

Moderation:

Jan Dreckmann, Der Paritätische Schleswig-Holstein

Die Diskussionsergebnisse im Überblick (Jan Dreckmann)

Im Impulsvortrag wurde in die ‚Problematik Wohnraum‘ eingeführt. Es wurde die soziale Brisanz erläutert und die Öffentlichkeitsarbeit dazu in SH dargestellt.

1.      Beispiele Menschenrechtsverletzungen

  • Diskriminierung bei der Wohnungsvergabe (‚Frauen mit Kopftuch‘)
  • Verarmung von Haushalten (Differenz der Mietobergrenzen wird oft aus Regelsatz bezahlt) Dies führt zum Ausschluss an kultureller Teilehabe
  • Ablehnung von Bewerbern mit ‚Schufa‘-Eintrag.

2.      Politische Forderungen

  • Wohnungspolitik als Daseinsvorsorge/Der freie Markt regelt es nicht!
  • Wohnungspolitik ist Sozialpolitik/Milieuschutz/Erhaltungssatzungen/sozial gerecht Bodenpolitik
  • Wohnungsbau muss als Aufgabe von Politik ganzheitlich wahrgenommen werden/Integriertes Wohnraumversorgungskonzept
  • Wohnungsgemeinnützigkeit wieder einführen/Genossenschaften/Auflagen für Investoren/Bau von gefördertem Wohnraum
  • Wohnraumentwicklung kommunal übergreifend betreiben/Regionale Disparitäten berücksichtigen (Wohnen im ländlichen Raum)/Infrastruktur überall mitdenken
  • Besteuerung von Einkünften aus Vermietung + Verpachtung sowie Spekulationsgewinnen

3.      Aktionen/Maßnahmen/Projekte

Ankauf von Sozialbindungen in allen Bundesländern

4.      Kooperationspartner

Kommunale Wohnungsunternehmen

Wohnungslosigkeit ist ein Verstoß gegen die Menschenrechte und das Sozialstaatsgebot. In Deutschland leben rund 37.000 Jugendliche und junge Erwachsene auf der Straße. Sie haben von der Straße aus keine Möglichkeit, eine Wohnung, einen Ausbildungsplatz oder Sozialleistungen zu erhalten, denn dafür benötigt man in der Regel einen festen Wohnsitz. Auf dem allgemeinen Wohnungsmarkt sind sie chancenlos gegenüber  Wohnungssuchenden mit festem Einkommen und Wohnsitz. Die Angebote der Wohnungslosenhilfe sind nicht passend für Jugendliche. Die zuständige öffentliche Jugendhilfe lehnt meistens  Maßnahmen ab, sobald Jugendliche volljährig werden oder sind und verweist sie an die Sozialhilfe.

Foto: Blick in den WorkshopraumLeitfragen im Workshop waren:

  • Was bedeutet das Menschenrecht auf einen angemessenen Lebensstandard für Straßenjugendliche?
  • Wie kann dieses Menschenrecht auf angemessenes Wohnen i.S. der UN Sozialcharta für Straßenjugendliche umgesetzt werden?
  • Welche Zugangsbarrieren gibt es für Straßenjugendliche bei  der Berufsausbildung und bei der Umsetzung des Rechts auf Bildung?

Impulse:

Andre Neupert mit Nele Winther und Linus Endruweit, MOMO – the voice of disconnected youth, Berlin

Kerstin Romberg-Giese mit  Muhammad Al-Sakkaf, Gesellschaft freie Sozialarbeit e.V., Herne

Tanja Bauer mit Melissa Adar, Gangway e.V., Berlin

Moderation:

Cornelia Benninghoven

Die Diskussionsergebnisse im Überblick (Gabriele Sauermann):

  1. Jugendliche und junge Erwachsene erleben Wohnungslosigkeit als einen Verstoß gegen ihre Menschenrechte, weil sie keine angemessene Unterbringung haben. Wohnungslosigkeit unter Jugendlichen hat viele sichtbare, aber auch unsichtbare Facetten. Ein Teil der wohnungslosen Jugendlichen lebt obdachlos auf der Straße, andere wohnen wechselweise bei Freunden auf dem Sofa (Couchsurfing), andere leben in Abrisshäusern oder anderen unzumutbaren Wohnverhältnissen. Sie haben alle das gleiche Problem: Sie sind chancenlos, eine eigene Wohnung anzumieten, weil Eltern aus Geldmangel oder sonstigen Gründen nicht bürgen können, Schufa-Einträge negativ wirken, keine feste Arbeitsstelle und damit kein regelmäßiges Einkommen nachgewiesen werden kann usw.

  2. Jugendliche ohne festen Wohnsitz haben Probleme Sozialleistungen nachzufragen oder Hilfe in Anspruch zu nehmen, vor allem, wenn sie volljährig werden. Jugendliche wünschen sich eine/-n feste/-n Ansprechpartner/-in, dem/der sie vertrauen können. Niedrigschwellige erste Anlaufstellen könnten aus Sicht der Workshop-Teilnehmer/-innen auch Jugendzentren sein. In vielen Kommunen seien jedoch die Jugendzentren eingespart worden.

  3. Bei einer möglichen Ausbildung oder bei der Frage des Berufswunsches sollten die Wünsche der Jugendlichen stärker berücksichtigt werden, auch wenn es sich aus Sicht von Pädagog/-innen und Fachkräften um sogenannte einfache und unqualifizierte Jobs handeln würde. Auch einfache Jobs können ein guter Einstieg sein, um berufliche Erfahrungen zu sammeln. Erfahrungen mit den neu gegründeten Jugendberufsagenturen werden unterschiedlich bewertet.

  4. „Selber machen“. Die Workshop-Teilnehmer/-innen befürworten Maßnahmen und Projekte, wie z. B. den Bau oder die Sanierung eines Altbaus oder die Besetzung von sogenannten Schrottimmobilien, bei denen sie selbst aktiv werden und sich beteiligen können.

  5. Politische Forderungen der Workshop-Teilnehmer/-innen:
  • Bundesweit müssen Zahlen, Daten und Fakten zur Wohnungslosigkeit erhoben werden.

  • Jugendliche und junge Erwachsene brauchen 1en federführenden Ansprechpartner, an den sie sich wenden können, und werden nicht an (zu)viele Institutionen verwiesen.

  • Unterstützungs- und Hilfeleistungen sollen zukünftig (wie) aus einer Hand und rechtskreisübergreifend gewährt werden.

  • Es müssen flächendeckend niedrigschwellige Anlaufstellen und Begegnungsräume für Jugendliche zur Verfügung stehen (u.a. Jugendzentren).

  • Alle Jugendlichen bekommen sanktionsfreie Räume, in denen sie sich selbst organisieren können.

Der Träger Neue Wohnraumhilfe gGmbH ist in der Region Darmstadt aktiv, die nach dem Hessischen Sozialbericht einen der problematischsten Wohnungsmärkte in Hessen  hat und einen hohen Zuzug.  Ziel der Neuen Wohnraumhilfe gGmbH ist es, Wohnraum an Menschen in prekären Lebenslagen zu vermitteln,  z.B. Haftentlassene, Wohnungslose, Alleinerziehende, von Gewalt Betroffene, Geflüchtete etc. In diesem Spannungsverhältnis akquiriert die Neue Wohnraumhilfe gGmbH als gewerblicher Mieter Wohnraum und vermietet diesen an Klienten und Klientinnen. Als neuen Lösungsansatz will sie in einem geförderten Pilotprojekt sozialen und gleichzeitig ökologischen Wohnraum selbst schaffen.

Foto: Blick in den WorkshopraumLeitfragen im Workshop waren: 

  • Was sind die rechtlichen und finanziellen Herausforderungen für einen sozialen Träger im Spannungsfeld als Mieter/Vermieter?
  • Was sind die Chancen und Risiken bei der Schaffung von sozialem Wohnraum durch Neubau?
  • Welche neuen Ansätze gibt es bei der Unterbringung geflüchteter Menschen?
  • Wie kann man Diskriminierung verhindern und Akzeptanz der Klient_innen im nachbarschaftlichen Umfeld fördern?
  • Welche Bedeutung hat die Kooperation in einem Netzwerk unterschiedlicher Träger und Akteure?

Impulse:

Doreen Petri, Geschäftsführerin, Neue Wohnraumhilfe gGmbH, Darmstadt, und Wolfgang Bauer-Schneider, langjähriger Geschäftsführer der Neuen Wohnraumhilfe gGmbH. Vorgestellt wurden die Organisation und ihre vielfältigen Arbeitsfelder und das geförderte Pilotprojekt PassivHausSozialPlus, mit dem sozialer und ökologischer Wohnraum geschaffen werden soll.

Moderation:

Lars Lauer und Annette Wippermann, Der Paritätische Hessen

Diskussionsergebnisse im Überblick (Barbara Helfrich)

Situation auf dem Wohnungsmarkt in Hessen:

Nur noch 8 Prozent der Wohnungen in Frankfurt haben eine Sozialbindung.

Aber 49 Prozent der Einwohner*innen haben Anspruch auf eine Sozialwohnung

Folgen: Frauenhäuser u. a. Soziale Einrichtungen können keine neuen Menschen aufnehmen, weil Personen, die schon wieder eigenständig leben könnten, keine Wohnungen finden und Plätze blockieren.

Fachkräfte in der Sozialen Trägern finden im Ballungsraum keine erschwingliche Wohnung.

Soziale Träger können zur Lösung des Problems beitragen.

Doreen Petri, Geschäftsführerin der Neue Wohnraumhilfe gGmbH (NWH) Mitgliedsorganisation des PARITÄTISCHEN Hessen mit Sitz in Darmstadt, stellt die Arbeit der NWH vor.

Fragen aus dem Publikum:

Wie werden die Mietverträge mit den Klient*innen gestaltet? Warum muss überhaupt ein Träger zwischengeschaltet werden?

Die Mieter*innen der NWH haben normale Mietverträge mit allen Rechten. Die Wohnungsunternehmen legen Wert darauf, dass die NWH als Dienstleister zwischengeschaltet ist.

Wie verträgt sich die Tätigkeit als Vermieter mit der Gemeinnützigkeit?

Die NWH bietet nur bestimmten Personen Wohnraum an und bedient nicht den allgemeinen Wohnungsmarkt. Wenn Mieter*innen ihre Lebenslage stabilisieren, scheiden sie aus dem Projekt aus, werden mit ihren Wohnungen an die Wohnungsbau-Unternehmen zurückgegeben.

Wie hoch ist der Anteil der Wohnungen, die der NWH von privaten Vermietern zur Verfügung gestellt wird? Wie hoch ist die Bereitschaft der privaten Vermieter, an die Klient*innen zu vermieten?

Nur sehr wenige Eigentümer wollen direkt an den Personenkreis vermieten, zu dem die Klient*innen der NWH gehören. Aber auch wenn die NWH als Dienstleister zwischengeschaltet ist, stellen sie der NWH nur wenige Wohnungen zur Verfügung, etwa 10 Prozent. Größter Partner der NWH sind Wohnungsbau-Unternehmen.

Wie wird das Projekt refinanziert?

Der LWV (überörtlicher Sozialhilfeträger in Hessen) finanziert mit 100.000 Euro im Jahr. Die NWH vermietet die Wohnungen zu einem höheren Preis, als sie sie anmieten, so erwirtschaftet sie einen Überschuss, mit dem sie die Mitarbeiter*innen zu bezahlt. Zudem   zahlt die Stadt eine Wohnraumbeschaffungspauschale von 1000 Euro bei erfolgreicher Unterbringung.

Wie wird mit der Mietkaution verfahren?

Sie wird in der Regel vom Jobcenter als Darlehen zur Verfügung gestellt.

Wolfgang Bauer-Schneider stellt das Bau-und Wohnprojekt PassivhausSozialPlus vor, das die NWH als Bauherr auf einer Konversionsfläche der Stadt Darmstadt umsetzt.

Fragen aus dem Publikum:

Wie sind die niedrigen Mieten (6,50 € kalt/2 € NK/qm), trotz der hohen ökologischen Standards mit entsprechenden Baukosten möglich?

Nur durch die Zuschüsse des Landes Hessen sind die niedrigen Mieten möglich, sonst würden sie bei 8 bis 9 Euro kalt liegen. Mit einer Rendite-Erwartung ist das Projekt nicht vereinbar.

Wie wird die durch Fotovoltaik erzeugte Energie verwendet?

Sie wird direkt im Haus genutzt, überschüssige Energie wird in das Netz einer kleinen lokalen Genossenschaft eingespeist. Aus diesem Netz kann bei Bedarf auch zusätzlich benötigte Energie bezogen werden.

Neben dem Projekt der NWH entstehen zwei weitere Wohnprojekte. Leben dann nicht zu viele besondere Menschen auf einem Platz?

In die Wohnprojekte, die nebenan entstehen, ziehen keine Personen mit besonderen Problemlagen ein. Die NWH hat zudem die Erfahrung gemacht, dass es in den von ihr betreuten Wohnanlagen ruhig ist, obwohl dort viele Menschen in besonderen Lebenslagen zusammenleben.

Was ist das Ziel beim Monitoring-System zur Reduzierung der NK?

Antwort: Es ist ein Modell-Projekt, um den Verbrauch radikal zu reduzieren, um die Umwelt und den Staat zu entlasten (den Sozialhilfeträger muss geringere NK zahlen).

Fazit: Eine Unterstützung und Realisierung ähnlicher Projekte bundesweit wäre wünschenswert und nötig um den Bestand an ökologisch nachhaltigen Sozialwohnungen zu erhöhen.