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Bürgergeld - zentrale Änderungen zum 1. Juli 2023

Die Bürgergeldreform der Ampel-Koalition sollte Hartz IV überwinden. Dafür änderte die Regierung das SGB II - die Grundsicherung für Arbeitsuchende - in zahlreichen Aspekten. Ein Teil der Änderungen tritt nunmehr zum 1. Juli 2023 in Kraft.

Die Bürgergeldreform der Ampel-Koalition strebte eine Ablösung des Hartz IV-Gesetzes an. Die Reform sollte nach dem Willen der Regierung mehr Chancen, mehr Respekt und mehr Zusammenhalt ermöglichen. Dazu wurden zahlreiche Regelungen der „Grundsicherung für Arbeitsuchende“ - so der offizielle Titel des SGB II, der nunmehr zum 1. Januar 2023 durch den Titel „Bürgergeld“ ergänzt wurde – geändert. Der Paritätische hat in seinen Stellungnahmen zu der Reform vornehmlich kritisiert, dass eine Anhebung der Leistungen auf ein armutsfestes Niveau ebenso wenig realisiert wurde wie die vollständige Abschaffung von Sanktionen. Die Kernprobleme von Hartz IV wurden daher aus der Sicht des Paritätischen nicht korrigiert. Ungeachtet dessen gab es für die Leistungsberechtigten durchaus spürbare Verbesserungen.

Ein Teil der Änderungen durch das Bürgergeldgesetz tritt nunmehr zum 1. Juli 2023 in Kraft. Dies betrifft insbesondere Änderungen bei der finanziellen Unterstützung von Weiterbildungen und der reduzierten Anrechnung von Einkommen. Einige zentrale Änderungen zum 1. Juli sind:

Unterstützung von Qualifizierung:

  • Finanzielle Förderung der Teilnahme an Weiterbildungsmaßnahmen wird eingeführt: bei abschlussbezogenen Weiterbildungen in Höhe von 150 Euro / Monat und bei nicht-abschlussbezogenen Weiterbildungen mit einer Dauer von mindestens 8 Wochen in Höhe von 75 Euro / Monat. Die Förderung von Grundkompetenzen kann auch losgelöst von berufsabschlussbezogenen Weiterbildungsmaßnahmen erfolgen, um die Beschäftigungsfähigkeit zu verbessern
  • Die bereits bestehende Weiterbildungsprämie für Zwischen- und Abschlussprüfungen wird entfristet.
  • Das Nachholen eines Berufsabschlusses kann künftig auch unverkürzt in drei Jahren erfolgen.
  • Der Abschluss einer beruflichen Weiterbildung führt zu einem dreimonatigen Arbeitslosengeld-Anspruch.
  • Als neues Förderinstrument wird die ganzheitliche Betreuung / Coaching in dem Bürgergeld normiert.

Änderungen der Einkommensanrechnung (ausführlich: Fachliche Weisung der BA)

  • Junge Menschen bis 25 Jahre können mehr von ihrem Einkommen behalten. Bei Einkommen aus Schüler- und Studierendenjobs gilt zukünftig ein monatlicher Freibetrag in Höhe der Geringfügigkeitsgrenze (derzeit: 520 Euro). Dieselbe Regelung gilt für junge Menschen, die einen Freiwilligendienst absolvieren sowie Auszubildende, Teilnehmer*innen an einer Einstiegsqualifizierung oder einer berufsvorbereitenden Maßnahme.
  • Einkommen von Schüler*innen aus einem Ferienjob bleiben zukünftig komplett anrechnungsfrei (bislang maximal 2.400 Euro / Kalenderjahr).
  • Die Freibeträge bei Erwerbstätigkeit werden für den Einkommensbereich 520 Euro (aktuelle Geringfügigkeitsgrenze) bis 1.000 Euro erhöht. Zukünftig bleiben von dem Einkommen in diesem Bereich 30 Prozent (statt bisher 20 Prozent) anrechnungsfrei. Damit verbleiben bis maximal 48 Euro mehr bei den erwerbstätigen Leistungsberechtigten.    
  • Mutterschaftsgeld und Erbschaften werden nicht mehr als Einkommen angerechnet. Erbschaften gelten im Folgemonat als Vermögen. Kleinere Erbschaften bleiben somit anrechnungsfrei, sofern die Vermögensfreibeträge nicht überschritten werden.

Schließlich wird ab Juli die Eingliederungsvereinbarung durch einen neu gestalteten Kooperationsplan ersetzt (ausführlich: Fachliche Weisung der BA). Der Kooperationsplan soll flexibler auf die Wünsche der Leistungsberechtigten eingehen und gemeinsam entwickelte Wege zu einer gelingenden Integration verankern. Durch den Verzicht auf Rechtsfolgenbelehrungen soll ein vertrauensvollerer Umgang ermöglicht werden. Sanktionen aufgrund von Pflichtverletzungen sind damit zunächst nicht mehr möglich. Bei Meinungsverschiedenheiten kann ein Schlichtungsverfahren in Gang gesetzt werden. Bei aus Sicht der Jobcenter unzureichender Mitwirkung können auch Rechtsfolgenbelehrungen mit der Androhung von Leistungsminderungen eingesetzt werden.

Auch die neuen Regeln zur Erreichbarkeit von Leistungsberechtigten (§ 7 b SGB II) treten zum 1. Juli 2023 in Kraft. Zur Konkretisierung der Erreichbarkeitsanforderungen liegt ein Verordnungsentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vor, der ebenfalls zum 1. Juli in Kraft treten soll. Dieser findet sich hier dokumentiert und kommentiert. Grundsätzlich müssen erwerbsfähige Leistungsberechtigte dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, wenn Sie ihre Ansprüche nicht verlieren wollen. Dazu zählt grundsätzlich, dass sie schnell erreichbar und für Vermittlungsaktivitäten verfügbar sein müssen. Durch die Neuregelung werden die Auflagen erleichtert. So ist nunmehr nicht mehr notwendig, dass Leistungsberechtigte an allen Werktagen (dazu zählt auch der Samstag) persönlich Benachrichtigungen entgegennehmen müssen. Benachrichtigungen können künftig auch von Dritten entgegengenommen und weitergeleitet werden. Dies ist insbesondere für wohnungslose Menschen eine deutliche Verbesserung. Auch die Bestimmung des orts- und zeitnahen Bereichs, in dem sich Leistungsbeziehende grundsätzlich aufhalten dürfen, wird erweitert. Diese Bestimmung gilt als erfüllt, wenn das Jobcenter innerhalb von zweieinhalb Stunden zu erreichen ist.  
Zu kritisieren ist an den Bestimmungen u.a., dass ein Verfahren oder eine Verpflichtung für eine zeitnahe Zustimmung der Jobcenter für Abwesenheiten fehlt. Sofern eine Zustimmung der Jobcenter erst wenige Tage vor der gewünschten Abwesenheit erteilt wird, besteht keine Planungssicherheit. Zumeist entstehen bei kurzfristiger Planung zudem höhere Kosten.

Insgesamt stellen die zum 1. Juli 2023 in Kraft tretenden Änderungen für die einschlägig betroffenen Leistungsberechtigten nennenswerte Verbesserungen dar. Dies gilt insbesondere für die geänderte Einkommensanrechnung bei jungen Menschen. Auch die verbesserte finanzielle Unterstützung für Teilnehmende an Weiterbildungsmaßnahmen ist zu begrüßen. Das Instrumentarium der Jobcenter für die Förderung von Leistungsbeziehenden ist damit ausgeweitet worden. Die Reform leidet aber erkennbar darunter, dass es an einer entsprechenden Finanzausstattung der Arbeitsförderung der Jobcenter mangelt. Neue Instrumente nutzen wenig, wenn das Geld fehlt, um sie einsetzen.  

Für weitergehende Infos zum Bürgergeld:

Werner Hesse (2023): Das neue Bürgergeld. Alles was Sie über die neue Nachfolgeregelung zum bisherigen Hartz IV wissen müssen. Hrsg. Vom Paritätischen Gesamtverband. München: C.H.Beck

Harald Thomé (2023): SGB II – Folien mit weitgehender Einarbeitung der Änderungen durch das sog. „Bürgergeld“, online verfügbar:  https://tacheles-sozialhilfe.de/informationen/folien-sgb-ii.html

Darüber hinaus gibt es eine einschlägige Broschüre des BMAS:
Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2023): Bürgergeld. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Online verfügbar: https://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/Publikationen/a430-grundsicherung-fuer-arbeitsuchende-sgb-ii.pdf?__blob=publicationFile&v=9

Diese Information gibt es auch in Leichter Sprache.